von Mathias Haden, 21.08.2015
Selbst ein schmerzhafter Verlust und schwankende Kreativität können den nächsten Triumphzug nicht verhindern.
Wie einfach es nicht heute ist, fließende Übergänge auf ihre Früh-, Hoch- und Spätphase niederzubrechen. Das Internet, größter Trumpf der allseits beliebten Globalisierung, hilft freilich unermüdlich mit, wenn es darum geht, zum allgemeinen Konsens erklärte Feststellungen, aber auch Hirngespinste und andere frivole Spitzzüngigkeiten in den Äther hinauszupumpen. Eine fünfminütige Recherche reicht da bereits, um eine perfekte, aufs unnötigste Detail getrimmte Chronik über Bill Clintons beliebte Verfehlung mit seiner 'Angestellten' vorzufinden. Auf unsere Disziplin umgemünzt, bedeutet dies etwa gleichermaßen, innerhalb weniger Augenblicke die wichtigsten Jahreszahlen ausmachen zu können. 1963 beginnen die Sixties mit dem kometenhaften Einschlag der Beatles, '65 verändert Dylan mit seinem Vordringen in elektrische Sphären die Landschaft der Populärmusik nachhaltig und '67 sollten halluzinogene Drogen und kurzzeitig für weltverbessernd gehaltene Ideale die Grenzen des eigenen Horizonts wegsprengen, wie man dies sonst nur aus der finalen Sequenz eines klassischen Westlers gewohnt ist.
Auch in den Jahren, die diese legendären Eckdaten umgeben, wurde natürlich eifrig Geschichte geschrieben, die Weichen für jene Meilensteine gestellt. Während etwa im Jahr 1966 halb Europa den Beatles und ihrem Revolver zu Füßen lag, setzten jenseits des Atlantiks Bands wie die Beach Boys und die Byrds alles daran, zu den Pilzköpfen aufzuschließen.
Während Erstgenannte diesem Ziel in einem Ausmaß nahe kommen konnten, über das ich gerne Diskussionen im Kommentarbereich lesen würde, waren auch Gene Clark, Jim McGuinn, Chris Hillman, David Crosby und der gerne unter den Tisch gekehrte Michael Clarke alles andere als untätig. Ein imaginärer Trip in indische Klangwelten sollte den charakteristischen Folk-Sound um eine psychedelische Note erweitern, hatte neben offensichtlichem Erfolg in dieser Causa auch einen der Spiritualität geschuldeten Namenswechsel von Jim zu Roger (McGuinn) zur Folge und führte zwar nicht direkt, aber letztlich über Umwege zum Ausstieg vom primären Songwriter Gene Clark. Ein Ausstieg, der in musikalischer Hinsicht freilich ziemlich schmerzhaft ausfiel, retrospektive aber doch leicht nachzuvollziehen ist; in Anbetracht der prosperierenden Egos der einzelnen Mitglieder und seinen finanziellen Vorzügen als primärer Songwriter.
Immerhin machte sich Clark nicht aus dem Staub, ohne einen Hauch von Magie zu hinterlassen. Denn während der zweite seiner beiden Beiträge zu Fifth Dimension, der dritten Byrds-LP, mit einem Mundharmonika-Intermezzo am Instrumental Captain Soul nicht gerade enttäuschend ausfällt, so ist es Eight Miles High, das schlicht zum Meisterstück des Albums auserkoren ist. Wegen seines angeblich mehrdeutigen Titels als Single bald aus dem Verkehr gezogen, besticht Clarks Auseinandersetzung mit seiner akuten Flugangst, die nicht ganz Unschuld an der Trennung von den Kollegen trug, vor allem durch seine mächtigen, wie eine wütende Feuersbrunst lodernden Raga-Gitarren, mit McGuinn als großem Gewinner neben Clarks hingebungsvollen Gesang und Hillmans unheilvollem Bass nebenher. Sein Gitarrenspiel, von John Coltrane abgekupfert, ist es nicht zuletzt, das dem ganzen Album einen frischen Anstrich gibt. Braver Jingle Jangle war gestern, diabolisches Gefrickel der Sound eines neuen Zeitalters der Psychedelia.
Die im wahrsten Sinne luftigsten Höhen der vor den Arbeiten zur LP zweimal (!) aufgenommene Lead-Single erreichen die verbliebenen vier Vögelchen zwar nur mehr ein einziges Mal, dennoch sollte sich der Abgang des Songschreiberhäuptlings positiv auf die Produktivität und Kreativität der anderen auswirken. Besonders McGuinn, der Erz-Byrd, geht in seiner neuen Rolle auf, darf sich auch den ebenbürtigen Track auf die Visitenkarte drucken lassen. Die von ihm verfassten Einstein-Gedankenspielchen von 5D (Fifth Dimension) sind in ihrer himmlischen Melodie und den grandiosen, der Romantik verschriebenen Songzeilen aber auch zu lohnend, um auch am härtesten Widersacher leichtfertig zu zerschellen:
"Oh, how is it that I could come out to here
And be still floatin'
And never hit bottom and keep falling through
Just relaxed and paying attention"
Das erstmals in Richtung Country abdriftende Mr. Spaceman wird zum gewinnbringenden Zusammenspiel zwischen feinem Humor und jangelnden Folk-Zeit-Reminiszenzen, während sich I See You wieder der aggressiven Gitarren bedient, die auch schon Eight Miles High so unwiderstehlich gemacht haben, und selbst Crosbys konfuses What's Happening ?!?!, das sich zu einem Orkan aus flimmernden Gitarren und immer eindringlicher gestellten Fragen zusammenbraut, sorgt für unvergessliche Minuten - und das, obwohl er keine Antworten zu finden vermag.
Es entbehrt aber wieder einmal nicht einem gewissen Hauch von Ironie, dass sich just nach Clarks Ausstieg die gewohnte Auswahl an Covers aufs Album schummeln konnte, ohne erstmals aber Dylan in den Credits vorzufinden. Wie auch immer, die Ausbeute fällt jedenfalls gemischt aus. Das traditionelle Wild Mountain Thyme fällt mit seinen engelsgleichen Harmoniegesängen ganz klar unter die strahlendsten Lichtblicke der Platte, das traurige I Come And Stand At Every Door, aus dem Gesichtspunkt eines in Hiroshima verstorbenen Kindes wirkt zwar etwas deplatziert, bereichert die LP aber um eine umwerfende Ballade.
Man merkt bereits, so wirklich wollen die einzelnen Tracks nicht zueinander passen; das soulig-spacige Instrumental neben dem aufreibenden Raga-Rock und der tragischen Atombombenerinnerung. Letztlich ist es aber neben den beiden mal mehr (Hey Joe), mal weniger (John Riley) passenden, übrigen Covers und ihrer mal mehr (John Riley), mal weniger überzeugenden Interpretation nur Closer 2-4-2 Fox Trot (The Lear Jet Song), bei dem man sich mit seinen überflüssigen Flugzeugsounds der Frage nach dem großen WARUM? ausgesetzt sieht. Zu diesem Zeitpunkt der ausgearteten Exzentrik der stets eigenwilligen Byrds-Closer hat man trotz abwärts zeigender Formkurve aber ohnehin bereits genug gehört. Die Band verliert ihr bis dato wichtigstes Mitglied, probiert viel und gefällt als Quartett mit verlagerten Aufgabenbereichen. Mehr muss man eigentlich gar nicht wissen, über dieses inhomogene, über weite Strecken aber überaus brillante Werk aus dem Jahr 1966; einer Zeit, in der auch abseits der endlosen, virtuellen Welten vieles, wenn nicht gar alles möglich schien.