The Beatles - Beatles For Sale

 

Beatles For Sale

 

The Beatles

Veröffentlichungsdatum: 04.12.1964

 

Rating: 6 / 10

von Kristoffer Leitgeb, 10.05.2018


Die künstlerische Müdigkeit ist fast stark genug, um das budgetstarke Pop-Verständnis auszustechen.

 

Fast wäre es soweit gewesen, dass die Fab Four für ein Mal doch ins tatsächliche Mittelmaß abgerutscht sind. So weit reicht die Liebe zu den Liverpoolern meinerseits ohnehin nicht, dass ein solches Urteil unmöglich wäre. Gleichzeitig stellt sich einem natürlich abseits vom gesellschaftlichen Druck - oh Gott, diese Belastung... - auch eine Maschinerie entgegen, die hinter den Beatles gestanden ist, nachdem deren popkultureller Weltmachtstatus erst einmal einzementiert war. Und das war 1964 definitiv der Fall. Immerhin war man mittlerweile ein multimediales Phänomen, die Pilzfrisur das täglich Brot aller Friseure und die Ohnmachtszahlen unter weiblichen Konzertbesuchern waren immer noch schwindelerregend hoch. Insofern konnte man nicht wirklich verlieren, selbst eine Compilation der besten Klospülungsklänge hätte die Charts erstürmt. Die avantgardistische Chuzpe dafür war letztlich noch nicht gegeben, auch Yoko Ono noch nicht im Schlepptau. Trotzdem war die Herrlichkeit im Albumformat weit weg im Winter '64, das Jahr war zu viel; zu viel an Konzerten, an Filmaufnahmen, an Songwriting, an Studiozeit. Das Ergebnis ist nüchtern, niedergeschlagen und der Müdigkeit fast zu viel.

 

Natürlich mangelte es John Lennon nicht an Wegen, die Mäßigkeit von "Beatles For Sale" insofern auszublenden, als dass er die vierte Studioplatte kurzerhand zur bandeigenen Country- und Western-LP erkoren hat. Der Ursprung dessen ist nicht ganz von der Hand zu weisen, wobei man gleichzeitig anmerken sollte, dass den Beatles der Unterschied zwischen Country und Folk entweder nicht bewusst oder egal war. Folk steht auf alle Fälle eher auf der Tagesordnung, wobei man selbst hier oft genug drastische Abstriche machen muss. Nur selten kann man wirklich davon sprechen, dass sich die Briten mit aller Kraft dem Genre verschrieben hätten. Es überrascht eher weniger, dass gerade dann aber auch die besten Minuten des Albums warten. Von Dylan inspiriert und eine der pessimistischsten Kompositionen der frühen Jahre, besticht I'm A Loser als antriebsstarker, vom Blues gezeichneter Folk-Rock, dem sowohl die reichhaltige Percussion als auch die Mundharmonika guttun. Am anderen Ende des Genres und damit für die damaligen Beatles ungewöhnlich puristischer Folk ist dagegen I'll Follow The Sun, das sich als eine der harmonischsten und ausgewogensten Schnulzen aus der Feder von Paul McCartney erweist. Beide eint, dass die gefundene Präzision in der Studioarbeit, die "A Hard Day's Night" ausgezeichnet hat, auch hier zu Tage tritt, während sich Lennon und McCartney gesanglich an ihre bis dahin angesammelten Höhepunkte herantasten oder sie gleich überhaupt in den Schatten stellen.

 

Gerade das sind allerdings Merkmale, die das Album allzu selten auszeichnen. Das eröffnende No Reply ist zwar das womöglich emotionalste Stück der Beatles-Frühphase, markiert einen wütend-gekränkten Start für die atmosphärisch ernste LP. Gleichzeitig lebt der Track aber auch von einer gesanglichen Performance, die wohlwollend als rau und ungeschliffen zu bezeichnen ist. Eine Spur von Chaos hört man aber auch heraus, was durch das dezent störrische musikalische Ganze verstärkt wird. Weder wirkt Ringos Drumperformance wirklich rund, noch scheint an der Gitarrenfront wirklich irgendwas vollends damit abgestimmt zu sein. Das allein ist kein Achsbruch, ganz im Gegenteil steigert sich da der emotionale Nachdruck gleich noch.

 

Blöd ist jetzt, dass die übrige Tracklist in zweierlei zerfällt, nämlich ordentliche, aber der im Opener noch förderlichen fehlenden Finesse wegen kaum einmal rundum gefallende Eigenkompositionen und insgesamt als miserabel zu titulierende Coverversionen. Die erste Kategorie ist zweifellos die interessantere, wobei der Spagat zwischen der neugefundenen Liebe zum Folk und der Rückbesinnung auf die ursprüngliche Mischung aus R&B und klassischen Rock 'n' Roll wenig an wirklich gewinnenden Minuten hervorbringt. Single Eight Days A Week schlägt genau in diese Kerbe und ist, dank Claps und stark abgestimmtem, mehrstimmigem Gesang ein sicherer Hit. Nur ist es auch relativ gesehen, also im Vergleich zu so manchem früheren Chartbreaker der Band, Magerkost, ohne jeglichen speziellen Touch, eher routiniert und pflichtschuldig heruntergespielt als mit dem jugendlichen Charme, der von I Want To Hold Your Hand bis zu A Hard Days' Night alles bestimmt. Zu verkraften wäre das ganz einfach, würde man auf textlicher oder aber atmosphärischer Ebene punkten und die äußerst leichtgewichtigen früheren Tage vergessen machen. Versucht wird das in dem Sinne - abseits der bereits oben herausgehobenen Folk-Treffer - ohnehin nur ein Mal, namentlich mit Baby's In Black. Nur dass dessen flehentlich düsterer Touch und die tatsächlich aufkeimende Country-Anwandlung nicht genug an atmosphärischem Nachdruck entfalten, um für mehr als eine nett inszenierte Herzschmerz-Ballade zu reichen. Ähnlich nett anzuhören und doch ohne genialen Funken sind Every Little Thing, dem eigentlich nur George Martins Klavier und die pointierte Hook im Refrain wirklich aufhelfen, und das etwas altbacken wirkende What You're Doing.

 

Jetzt ist das entweder mangelndes hochkarätiges Material oder aber es sind starke Filler. Beides ist argumentierbar, wobei eine glorreiche LP es sich nur dann leisten kann, so viele noch so nette Filler einzustreuen, wenn denn die Totalausfälle ausbleiben. Und nein, das tun sie nicht im Geringsten. Schuld daran sind die Coverversionen und das hat den Vorteil, dass es wenig am Monument der Beatles kratzt, aber auch den Nachteil, dass "Beatles For Sale" zunehmend mager wirkt. Einzig das locker runtergespielte Rock And Roll Music von Chuck Berry wirkt einigermaßen auf der Höhe, auch wenn es unpassender nicht sein könnte als auf diesem Album. Dem gegenüber steht die sowieso hinreichend gescholtene Version von Mr. Moonlight, die schief mehrstimmig gesungen, lustlos dahinmusiziert und mit der miserabel gespielten Hammond Orgel endgültig komplett getötet wird. Gleichzeitig ist Words Of Love der fadeste Anflug von Kitsch, den sich die Beatles je erlaubt haben, und Ringo-Song Honey Don't wartet zwar mit ein paar netten Gitarrenausritten von George Harrison auf, ist aber ansonsten selbst auf nur drei Minuten ziemlich langatmig, weil textlich eintönig und zahm eingespielt.

 

Und so etwas lähmt irgendwann, selbst auf nur etwas mehr als einer halben Stunde. Effektiv ist die Herrlichkeit nach gerade einmal vier Songs ad acta gelegt, sodass die zweite Hälfte trotz obligatorischem Nummer-1-Hit und der einen oder anderen ordentlichen Darbietung eine reichlich fade Affäre wird. Es spricht wahrscheinlich trotzdem für die Magie der Beatles, dass selbst dann noch aus "Beatles For Sale" ein passables Album wird. Mit dem Mögen ist das nur relativ schwer bei dieser Tracklist, die in so vielen Belangen verfehlt wirkt und sich einfach zu sehr wenig summiert. Am Ende des Tages ist es womöglich die schwächste LP, die man im regulären Fundus der Beatles finden wird. Das einzige, was wirklich auf der Habenseite bleibt, ist ein Schritt weg vom verliebt-romantischen Dauersermon, der die 1963 noch das Um und Auf war, dafür in eine nachdenklichere und vielschichtigere Richtung. Die ist aber immer noch weit genug weg, dass nur sehr wenig zwingend genug klingt, um legitim als Beatles-Klassiker zu gelten. Das Album in seiner Gesamtheit schafft es da schon gar nicht hin.

 


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