von Mathias Haden, 21.07.2015
Die niederländische Luft als Katalysator einer strauchelnden Karriere.
Der Sommer neigt sich langsam dem Ende zu, die letzten Sonnenstrahlen verbrennen noch einmal ungeschützte Haut und Wien driftet allmählich wieder in den obligatorischen Tiefschlaf ab. Ich bin übrigens wieder da, in gesunder Bräune und mit den finalen Impressionen der liebsten Jahreszeit unter unseren Gänsehäuflern und Schweißfetischisten. Und wem könnte man in Sache Sommer, Strand und Sonne, dem magischen SSS-Dreieck, eher das Vertrauen schenken, als jenen blitzblanken Saubermännern von den Beach Boys, die diese erst richtig cool machten?
1972 war man von Strandhymnen, unbeschwertem Surf-Pop und guter Laune allerdings schon ein ordentliches Stück entfernt, auch die bandeigene Sturm & Drang-Phase, die sich bei den Wilson-Brüdern und ihren Kollegen in Meisterwerken wie Pet Sounds manifestierte, gehörte längst vergessenen, mittlerweile längst gefeierten Tagen an. Die Güte ihrer Platten hielt sich zwar genau wie die songschreiberische Brillanz bis zum im Jahr zuvor erschienenen Surf's Up, mittlerweile zehrten aber schwindende kommerzielle Erfolge und Brian Wilsons wachsende psychische Probleme am kollektiven Gefüge, auch von dessen Lieblingsprojekt, dem unveröffentlichten Smile, blieben kaum noch recycelbare Überbleibsel, die noch jede Post-Pet Sounds-LP aufwerten konnten.
Die Zeit war jedenfalls gekommen, sich unter abweichenden Bedingungen wieder ein wenig zu fangen und die kreativen Batterien aufzuladen, besonders aber um den in seiner geistigen Wahrnehmung immer transparenter werdenden Brian Wilson wieder aufzupeppeln. Diesen Tapetenwechsel versprach sich die Truppe vom beschaulichen Holland...
Wie gut dieses waghalsige Unterfangen wirklich aufging, schildert das dem Entstehungsort gewidmete, im Jänner des folgenden Jahres erschienene Album in seinen neun Stücken. Ein kurzer Einblick in die Credits genügt, um Brian Wilson als passive Teilzeitkraft zu entlarven. Während die emsigen Burschen, die Langzeitbeschäftigten Al Jardine, Mike Love und Carl und Dennis Wilson plus Rookies Blondie Chaplin und Ricky Fataar im Studio alle Register zogen, um ohne das einstige Mastermind zu bestehen, verbrachte dieser seine kostbare Zeit damit, eine belanglose Märchengeschichte in EP-Länge aufzunehmen. Böse sein kann man ihm, dieser gequälten Seele, aber ohnehin nicht, noch nicht einmal für den mäßigen Hoffnungsaspirant Funky Pretty kann man sich zu nachhaltigen Vorwürfen hinreißen lassen. Abseits seiner träumerischen Piano-Line hat diese Nummer zwar nicht allzu viel zu bieten, scheint zudem mit ihren laschen Synthiespritzern mit jedem Augenblick an Intensität einzubüßen, während der nichtssagende Text unbehelligt vorbeirauscht. Aber hey, immerhin darf sich Brian für Opener Sail On, Sailor verantwortlich zeichnen, geschrieben mit Van Dyke Parks, etwas aufgefrischt und nachträglich beigefügt, um Zeitgeist und die Forderung des Labels nach Hitmaterial für die LP gleichermaßen zu befriedigen. Bereits sein unwiderstehlicher Auftakt mit sanften Klaviertakten begeistert, ehe Gitarren, Synthies und ein souveräner Chaplin als Lead-Singer das optimistische Stück weiter aufwerten.
Das war es dann aber endgültig mit Wilsons Beiträgen zur LP, bis auf ein bisschen Piano und Synthesizer hie und da - und einer einzigen Line. Macht aber auch gar nichts, denn die ehemals so auf ihn angewiesenen Mitstreiter kommen bestens zurecht, den strahlendsten Lichtblick ihrer Arbeit stellt die sehnsüchtige Suite California Saga dar. Mit Big Sur beginnt das ungehaltene Vergnügen, wenn Love zu lieblichen Mundharmonika- und Pedal Steel-Klängen seine romantischen Impressionen zum Besten gibt und von erneut magischen Backingvocals mustergültig unterstützt wird:
"Crimson sunsets and golden dawns
A mother deer with their newborn fawns
All under big sur skies (big sur mount)
That's where I belong"
Das folgende The Beaks Of Eagles übernimmt sich in seiner Pro-Natur-Message ein wenig, weiß auch mit seinen Spoken-Word-Passagen wenig anzufangen, bietet nichtsdestotrotz in seinen von Musik gestützten Strophen die gute, alte, verdammt amerikanische Beach Boys-Schule. Den Abschluss bildet das überaus würdige California, mit dem erwähnten One-Liner 'on my way to sunny californ-i-a'. Während Love mal wieder ordentlich die Werbetrommel für die vermisste Heimat rührt, sich im Refrain mit der Huldigung des liebsten Elements der alte Kreis schließt, ist es vor allem sein homogener Mix aus Banjo, Moog Bass und lässigen Bläsern, die dem Track die perfekte Würze verpassen, auch das Gastspiel von On-Off-Mitglied Bruce Johnston als zusätzlicher Stimme weiß zu gefallen.
Auch fern ihrer geliebten Strände wissen die Strandjungen mit herrlichen Melodien und feinster Pop-Sensibilität aufzutrumpfen. Das von Dennis Wilson geschriebene, von Bruder Carl vorgetragene Steamboat plätschert im wahrsten Sinne des Wortes zu atmosphärischen Klangwogen sanft den niederländischen Kanal hinunter, während Carls The Trader mit großem Melodiekino und harmonischer Mischung aus mächtigem Gesang und instrumenteller Versiertheit richtig aufgeigt, natürlich noch genug Fokus auf eine herrliche Hook legt. Selbst die zarte Ballade Only With You hält gerade noch den Spagat zwischen Romantik und Kitsch...
... was man vom überkandidelten, überproduzierten Leaving This Town in all seiner weinerlichen Wehmütigkeit nicht gerade behaupten kann, das mit seiner erschöpfenden Länge, den weichgespülten, allmählich das Zepter an sich reißenden Synthesizern und einer eher lauwarmen Performance Chaplins hinterm Mikro nicht über seine ordentlichen Ansätze hinauskommt.
Kleine Kritikpunkte am Rande allerdings, die die Freude über das lohnende Spätwerk, vielleicht das letzte große Werk der Kalifornier nicht wirklich trüben können. Die Arrangements sitzen, die Songs sind überwiegend gut und der Luftwechsel hat der Truppe, wenn auch nicht dem depressiven Ex-Häuptling, anscheinend gut getan. Somit bietet die nunmehr 19. LP der Beach Boys letztlich nicht die Wundertaten der Hochphase unter der disziplinierten Ägide des perfektionistischen B. Wilson, alles in allem aber eine erfrischend homogene, in sich geschlossene Teamleistung, die mit mächtigen Highlights und großer Pop-Affinität beinahe jede Stärke der Amerikaner vereint.