von Daniel Krislaty & Mathias Haden, 09.07.2015
Große Töne der so bodenständigen Band.
Die einzig wahre 'Band' schien sich nach der erfolgreichen Sezession von der abenteuerlichen Begleitgruppe Bob Dylans zur selbstständigen Folk-Rock-Sensation US-Amerikas ein wenig auf den Lorbeeren der umjubelten ersten beiden Alben auszuruhen. In Wahrheit zerschellten die Band-Mitglieder an den eigenen hohen Erwartungen, die spätestens nach dem self-titled Brown Album ins Unermessliche gestiegen sind. In den 70ern mit zwei weniger außergewöhnlichen Werken angekommen, galt die märchenhafte Band plötzlich und sehr vorschnell als entzaubert, worauf erst 4 Jahre später die nächste Veröffentlichung von eigenem Material folgen sollte. Northern Lights - Southern Cross markierte diese gewinnbringende Rückkehr einer unentbehrlichen 60s-Band, welche nach den langen Wehen des Selbstzweifels beeindruckend und wiedererstarkt in den Ring steigt.
Dabei ist vor allem musikalisch nicht unbedingt von einer Rückkunft zu den kernigen down-to-earth-Kompositionen des Brown Albums zu sprechen, wie es der Opener Forbidden Fruit sehr anschaulich zelebriert. Der deutlich dickere Klang orientiert sich an einer vielschichtigen Übereinanderreihung von Synthesizern und Instrumenten. Dem gewohnt überragenden Musicianship der Band zum Dank entsteht ein trotz allem vertrauter Eindruck, welcher sich im Dixielandgemenge Ophelia ebenso beeindruckend hält wie durch die jazzige Spannbreite im Positiven weiterentwickelt. Ruhigere Töne schlägt das gefühlvolle Hobo Jungle über das Verlorensein an, welches Richard Manuels gesangliche Stärke und tosende Authentizität eindrücklich auf den Punkt bringt.
Ebendiese persönliche Rawness schließt sich in Acadian Driftwood mit jenen der beiden anderen Sänger, Levon Helm sowie Rick Danko, zusammen und ergibt einen der besten Band-Songs überhaupt. Das anmutige Medley aus dem selbstbewussten Zusammenspiel der fünf 'Bandsies' im Bann einer zerschneidenden Violine stößt ebenso wie die geschichtssensiblen Lyrics ein Portal in das Jahr 1969 zur Zeit des self-titled Meisterwerks einmalig auf. Robbie Robertsons Entwurf eines historischen Kampfes um amerikanischen Boden ist dabei ebenso faszinierend und detailschön wie jener in It Makes No Difference intensiv und unentwegt. Letzteres bettet die bittertraurigen Zeilen in Soul-Gewänder bestehend aus Dankos emotionsgeladener Stimme und Robertsons sowie Garth Hudsons ineinandergreifendes Gitarren- bzw. Saxophonspiel. Einen Schritt weg vom ursprünglichen Folk-Rock machen die unterhaltsamen R&B-Statements Jupiter Hollow und Rags And Bones. Ebenso wie das cozy Ring Your Bell befinden sich jedoch beide nicht ganz in Schlagdistanz zu den zuvor genannten, phänomenalen Titeln. Der wunderbar wirre Text von Rags And Bones bekommt aber Charmepluspunkte!
Die fleißige Überschattierung von Synth-Spuren durch den großartigen Garth Hudson hat sich als Goldgriff erwiesen. Neben der neugewonnenen Extravaganz der ohnehin reichen Musik sind auch Robertsons Texte nach längerer Abstinenz eine wahre Freude. Die Band befand sich wieder im Aufwind, nachdem auch die Veröffentlichungen der kaltgelegten Basement Tapes mit Bob Dylan aus den 60ern sowie das gemeinsame aktuelle Werk Planet Waves mit ebenjenem zeitnah davor bereits positive Signale in Richtung Wiedererstarkung ausgesendet hatte. Für die Größe und Bedeutung des Quintetts war die Schaffensdichte relativ begrenzt und wird durch das besondere Augenmerk auf die beiden ersten Alben ungebührlicherweise weiter beschnitten. Northern Lights – Southern Cross ist allerdings keine LP, die einfach so übergangen werden darf. Keinesfalls.
D-Rating: 9 / 10
Die Rückkehr zu alter Stärke spuckt zwar mitunter 'große Töne', besinnt sich aber auch auf vergangene, bodenständige Blütezeiten.
Ehre, wem Ehre gebührt. Das wussten schon die alten Griechen, als sie ihren Göttern Tempel errichteten und das weiß auch der durchschnittliche Musikkritiker, wenn er für Dylan, Beatles oder Stones die Werbetrommel rührt. In die lange Liste der Unantastbaren gehört natürlich auch jene Band, die besagtem Dylan mit ihrer Handvoll der besten Musiker aller Zeiten zur Seite stehen durfte und schließlich mit ihren ersten beiden Alben amerikanische Musikgeschichte schreiben durfte. Glaubt man meinem Kollegen und Vorsprecher allerdings, waren diese nicht das Ende der Fahnenstange der ungezähmten Kreativität.
Diese versprühen die einleitenden Tracks am sechsten Studioalbum der Kanadier jedenfalls noch nicht so recht. Klar, sowohl das in seiner vielschichtigen Opulenz erfreulich bewegliche Forbidden Fruit, als auch das rührende Hobo Jungle mit Manuels sehnsüchtigem Gesang sind gute Nummern, werden den vorangegangenen Lobpreisungen aber nicht wirklich gerecht. Erst mit dem jazzigen "Dixielandgemenge" Ophelia und seiner hübschen Kombination aus Bläsersektion und sprudelnden Synthies, vor allem aber mit dem brillanten Acadian Driftwood nimmt die Scheibe so richtig Fahrt auf. Während man bei ersterem die herrlich frische Südstaatenluft beinahe einatmen kann, beackern Manuel, Helm und Danko in letzterem akadische Zeitgeschichte, verschmelzen im perfekten Harmoniegesang des Refrains zu einer himmlischen Einheit und erschaffen unter tatkräftiger Mithilfe von Byron Berlines Fiddle damit nicht nur einen der besten Band-Songs, sondern den definitiv besten, Punkt.
Einmal den Wind in den Segeln, bremst sich Northern Lights - Southern Cross nur ungern wieder ein. Genaugenommen erst mit dem letzten der acht Stücke, dem trotz Charmepluspunkten doch abfallenden Rags And Bones, das in seiner Keyboard-affinen Melancholie und seiner textlichen Umnachtung zwar Spaß bereitet, an den hohen Ansprüchen der LP allerdings zerschellt. Diese haben allerdings die beiden vorangegangenen Stücke, namentlich It Makes No Difference und Jupiter Hollow, deutlich erfüllt. Einerseits eine Ballade mit Fokus auf das wunderbare Zusammenspiel zwischen Danko, der wie eine hingebungsvolle Nachtigall trällert und jeden Ton trifft, und dem bereits vom Vorsprecher zurecht gelobten Spiel bzw. Harmoniegesang seiner Kollegen, allen voran ein wie immer umwerfender Garth Hudson am Saxophon; andererseits eine kosmisch angehauchte Machtdemonstration an den Keyboards mit pulsierenden R&B-Vibes.
Letztlich kann man dem Vorsprecher, der in seiner inbrünstig lodernden Euphorie mal wieder übers Ziel hinausgeschossen ist, also gar keine Vorwürfe machen. Auf Northern Lights - Southern Cross findet das kanadische Quintett mit alter, bewährter Erfolgsformel und neuen, moderneren Ansätzen wieder zurück zu scheint's verjährter Stärke, schüttelt auffallend lässig einige ihrer besten Stücke aus dem Ärmel und verdeutlicht mit beeindruckender Konstanz und 'großen Tönen' erneut, zu den Allergrößten zu gehören, die 60s und 70s uns in gönnerhafter Großzügigkeit hinterlassen haben.
M-Rating: 8 / 10