von Kristoffer Leitgeb, 09.08.2020
Ein kleiner Schritt hin zur Konventionalität, ein größerer in Richtung des perfekten Sounds.
Gemeinhin werden die 80er als das ausgeflippte Jahrzehnt dargestellt, in dem Frisuren, Kleidung, Farben, filmische Special Effects, Drogen und David Hasselhoff alles durften und bei Gelegenheit außer Kontrolle gerieten. Das mag opportun erscheinen in Anbetracht dessen, was denn da wirklich alles verbrochen wurde, von Vamos A La Playa bis zu Cheri Cheri Lady, von Tom Selleck bis zu Brigitte Nielsen. Auf der anderen Seite war damals weder von Blümchen noch Pur noch der Kelly Family groß die Rede, insofern ist es ein streitbares Urteil. Auch aufgrund einer nicht zu ignorierenden Tatsache: Angefangen hat all das schon in den 70ern. Die definitiv nicht drogenfrei zustandegekommenen Videos und Aufmachungen von ABBA, die Village People, Boney M., dieses Outfit, das war alles schon da, bevor das Jahr 1980 auch nur in Sichtweite war! Und auch die B-52's sind ganz eindeutig ein Kind der 70er, auch wenn sie ihre ureigene, knallig-bunte Schrägheit und den damit verbundenen Erfolg einigermaßen über den Dekadenwechsel konservieren konnten. Zumindest im ersten Anlauf bedeutete das sogar die nötigen Verbesserungen für den Höhepunkt der Band.
Entsprungen ist er dabei dennoch genau dem, was auch für das im Jahr davor veröffentlichte Debüt als Basis gedient hat. Die Fanlieblinge der Liveanfänge wurden nicht zur Gänze auf dem ersten Album verewigt, sondern sollten auch einem zweiten die nötigen Ohrwürmer und herausragenden Ausreißer bescheren. Dieser Plan ist jedenfalls aufgegangen, wurde doch nicht nur Private Idaho als Leadsingle schleunigst zu einem Klassiker der Band, wie es im Vorjahr Rock Lobster geworden ist, auch die übrige Tracklist lässt keine qualitative Dürre erkennen. Die Leadsingle eignet sich dennoch, um auch gleich einmal ein bisschen auf die Suche nach den Unterschieden zu gehen, die die beiden Alben trennen. Nachdem bei annähernd gleichbleibendem Stil nur das Erstlingswerk den Vorteil des, insbesondere bei den B-52's sehr spürbaren, Überraschungseffekts hat, tut man gut daran, nicht allzu sehr auf der Ausbreitung des bereits bekannten Irrsinns herumzureiten. Zwar ist man nicht gerade auf dem Weg hin zu tiefenphilosophischen Ergüssen, "Wild Planet" ist aber dennoch bodenständiger, geordneter und etwas straighter in seiner Art. Damit verbunden ist auch ein aufgebesserter Klang, dem Produzent Rhett Davies auf die Sprünge hilft und der die Band zumindest in einzelnen Songs an einen Punkt bringt, wo man sie klanglich zwischen "Unknown Pleasures" und "More Songs About Buildings And Food" verorten kann. Das ist ein willkommener Schritt, wird doch so das oft etwas dürre und roh klingende Soundgerüst des Debüts insofern verfeinert, als dass die Rhythm Section weniger der Tanzwut zuarbeitet, sondern trotz starkem, bass- und beatlastigem Drive das große Ganze eher im Fokus steht. Dieses Ganze beinhaltet in den besten Minuten der LP zudem auch wunderbar kratzige Riffs, die es schaffen, sogar die exzentrischen, hell klingenden Auftritte von Fred Schneider, Cindy Wilson und Kate Pierson in eine ernstere Atmosphäre zu gießen.
Das suggeriert in Verbindung mit einer Referenz zu so etwas wie "Unknown Pleasures" und damit einem Urquell des Goth Rock, dass es hier plötzlich ernst zugehen könnte. Dem ist in keiner Weise so. Opener Party Out Of Bounds gibt trotz kratzig-rauem Riff als Nacherzählung einer Partynacht und ihrer Schieflagen durchaus den Ton vor. Eine radikale thematische Umorientierung scheint auch weder nötig noch irgendwie möglich, wenn doch das Um und Auf dieser Band, die sich auf eine so großartige Rhythm Section verlassen kann, trotzdem weiterhin das gesangliche Sparring der drei Gesangspartner ist, die sich mit ihren erratischen Stimmwechseln und den schrillen Ausritten jeglicher Langeweile entledigen. Trotzdem tut die Band gut daran, nicht so überschießend außergewöhnlich zu agieren, dass es schon wieder nervig wird, was das Debüt ultimativ mit sich gebracht hat. Lediglich Quiche Lorraine erweckt hier den Eindruck, es wäre ähnlich mit Absurditäten angefüllt, wie das beispielsweise bei Rock Lobster der Fall war. Letzteres ist und bleibt zwar ein großartiger Klassiker, aber die Umgebung des Albums hat es einem da schon etwas schwieriger gemacht. Quiche Lorraine erfrischt dagegen gerade, weil es hier einsam und allein so otherworldly daneben wirkt, wenn Schneider vom Gassigehen mit seinem kleinen Hündchen erzählt, das aus irgendeinem, normalen Gedanken definitiv verborgenen Grund Quiche Lorraine heißt.
An anderer Stelle ist die Exzentrik etwas mehr auf den klanglichen Aspekt fokussiert, sodass Strobe Light als überdreht funkiger New Wave Rock mit großartigem, trockenem Riff und Wilsons markanter Stimme gefällt. Give Me Back My Man startet dagegen in einer Manier, die an Joy Divisions Transmission erinnert, gräbt sich mit seinem galoppiernden Bass und der eigenwilligen synthetischen Percussion, die Drummer Keith Strickland unterstützt, ins Gedächtnis. Neben dem rundum genialen Private Idaho, das vom Gitarrensound über den makellosen stimmlichen Schlagabtausch und das großartige Wortspiel, das Paranoia und Depression ohne bösen Hintergedanken hinter dem US-Bundesstaat versteckt, alles richtig macht, bleibt aber Dirty Back Road der Albumfavorit. Dessen pulsierender Bass und markant-heller Riff sorgen für den atmosphärischsten Moment des Albums, der es schafft, gleichermaßen angespannt und geschmeidig, melancholisch und angriffig zu klingen, ohne dabei auf den eingängigen Drive zu vergessen, den die B-52's für sich gepachtet haben.
Die überschaubare Tracklist bewirkt bei all dem, dass nicht viel Raum für Enttäuschungen ist. Lediglich Devil In My Car zieht sich unwillkommen in die Länge und riecht gewaltig nach B-Sides-Material. Den übrigen Songs auf "Wild Planet" ist wenig vorzuwerfen, auch wenn man nicht unbedingt in die Verlegenheit kommt, den Großteil des Gebotenen über die Maßen großartig zu finden. Aber der zweite Auftritt des schrillen Quintetts ist durchdachter, klanglich verfeinert und an allen Fronten grundsolide, ohne deswegen gleich dem lockeren Spaß des Debüts den Rücken zuzukehren. Stattdessen ist eine lohnende Balance erkennbar, die die anstrengenden Seiten des self-titled Albums abschwächt und stattdessen insbesondere auf Produktionsebene ideal nachbessert, sodass sich ein dichterer, präziser Sound ergibt. Verbindet sich der mit einer starken Melodie, einem markanten Auftritt der Rhythm Section und der Harmonie des Gesangsgespanns, dann ist das ein freudiges Ereignis, das es hier oft genug zu feiern gibt.