von Kristoffer Leitgeb, 13.06.2015
Starker Party-Rock mit charakterlicher Schräglage.
Eine Frage, auf die der geneigte Musiksammler unweigerlich in seinen Erkundungsreisen durch die Welt wohlgeformter Akustik irgendwann stößt, lautet wie folgt: Was mach ich mit all den CDs? Ja, wer die Sache ernst nimmt, der baut sich irgendwann daheim die New Yorker Skyline aus Tonträgern nach oder reserviert ganze Räume für diese in realita anno 2015 nicht mehr ganz so nützlichen Scheiben. Doch der gewiefte Sammler weiß damit umzugehen, indem er den Alben eine wunderbare Form des Multitaskings abverlangt. Da landen die unrühmlichen Exemplare - Backstreet Boys' "Millennium", Alkbottles "Hier Regiert Der Rock 'n' Roll" oder gar Crazy Frogs "Crazy Frog Presents Crazy Hits", ein absolutes Muss für jeden - dann schon einmal unter dem willkürlich zu kurz geratenen Bein des Esstisches, damit Mahlzeiten nicht mehr das Feeling von schwerem Seegang vermitteln. Oder sie werden zum stylischen Untersetzer. Und die B-52's? Gehen immer super, um jemandem mit den Covers das Augenlicht zu nehmen. Man kann sie aber auch hören.
Das Debüt soll sich dafür ja besonders gut eignen. Die Ideen noch ganz frisch, das Blut in den Adern noch jung und voller mit Sauerstoff denn je und es war 1979, also noch nicht 80er und damit, wie jeder weiß, infinit besser als alles, was dann kam. Wobei das Quintett modisch eindeutig seiner Zeit voraus und schon komplett auf die bunten Eighties getrimmt war. Musikalisch schaut es für die konträren Sangeskünste von Fred Schneider und den dynamischen Damen Kate Pierson und Cindy Wilson, vor allem aber für Gitarrist Ricky Wilson anders aus. Denn auch mit dem gezwungenermaßen aufgedrückten Post-Punk-Label tun sich eigentlich Welten zwischen Funk, Disco, Surf Rock und Rockabilly vor einem auf. Dass das reibungslos funktionieren kann, beweist der Klassiker aller Klassiker dieser Band, Rock Lobster. Es ist nur einer von Ricky Wilsons vielen starken Auftritten und doch bleibt der simple Surf-Riff schon nach dem Intro unvergessen. Was sich drumherum abspielt, ist ein ohne viel Schnickschnack eingespielter Mix aus trockenen Drums, Synth-Bass und Retro-Keys. Ein unglaubliches Unterfangen, das über sieben Minuten am Leben zu erhalten, den US-Amerikanern gelingt es allerdings. Die Geheimwaffe ist das Weirdo-Trio am Mikro, das sich mit der sprechenden Autorität Fred Schneider, schrillen Gesängen und Nonsens-Geräuschen ins Gedächtnis brennt. Umso besser werden die schrägen Zeilen, die aus einer kleinen Strandparty einen Trip in die Welt der Meeresaquaristik machen:
"We were at a party
His ear lobe fell in the deep
Someone reached and grabbed it
It was a rock lobster
We were at the beach
Everybody had matching towels
Somebody went under a dock
And there they saw a rock
It wasn't a rock
It was a rock lobster"
Acht weitere Songs warten und der Band gehen die Trivialitäten noch lange nicht aus. Doch mit ihnen kommen oft genug auch starke Performances, die den niedergeschriebenen Schwachsinn in Melodie-Form dann plötzlich ganz unbedenklich und gar sympathisch erscheinen lassen. Oft ist es dem Guitarero vorbehalten, musikalisch aufzudrehen und mit seinen lockeren Riffs für Dampf zu sorgen. Man könnte ihn auch direkt in die 60er zurück verfrachten, so wie das leichte Blues-Gezupfe in 52 Girls oder das an die Anfänge des Hard Rock erinnernde Hero Worship klingen, beide noch dazu mit zweiter Gitarre verstärkt. Noch dazu, wo die Produktion alles andere als überbordend, in Wahrheit fast karg geraten ist. Den Vocals hat man einen hohlen Klang verpasst, den Drums erlaubt man keinen unnötigen Nachhall, den Riffs keine weichgespülten Klänge. Das schafft mit den starken Beats den nötigen Drive, damit sich Wilson, Pierson und Schneider austoben können. Zurückhaltender passiert das im knackigen 6060-842, das sich verdammt harmonisch präsentiert, etwas extrovertierter wird die Sache dann bei There's A Moon In The Sky (Called The Moon). Allein für den Titel gibt's Punkte, mit dem Dialog am Mikro wird die Sache aber noch runder. Just like the moon...
Lava ist üblicherweise nicht so rund, der gleichnamige Song präsentiert sich auch als einer der kleineren Hemmschuhe der LP. Da wird dann endgültig härtere Trägheit zelebriert, der Band tut das auch dank der gebräuchlichen Songlängen um die fünf Minuten nicht so gut. Ähnlich wie auch Dance This Mess Around. Das präsentiert die gleiche Monotonie, die Rock Lobster ausgezeichnet hat, findet damit aber wegen der müden Präsentation und den fehlgeleiteten Vocals nicht zu dessen Stärke. Womit wir beim qualitativ sicher nicht passenden Closer Downtown angelangt wären. Der will als einziger wirklich gar nicht, tut als gaggigster aller Gag-Tracks auf dem Album eher wenig, um sich aus der Schwachsinnigkeit zu befreien. Dafür ist die fade Keyboard-Melodie auch sicher nicht das richtige Rezept.
Auf neun Songs aufgerechnet drückt das das Debüt allerdings nicht zu sehr in Richtung Abgrund. Nein, da müssen sich die schrägen Vögel keine Sorgen machen. Zu gut funktioniert das Lead-Gespann um Fred Schneider, zu gut präsentiert sich Ricky Wilson an seinen sechs Saiten, zu perfekt eignet sich die LP für jede Party. Also vielleicht heute nicht mehr, in diesen Zeiten voll von Get Lucky, Royals oder Wake Me Up. Aber damals im Jahre 1979, da machte man der müde gewordenen Disco-Meute Feuer unterm Hintern, überrundete sie eigentlich auch gleich mal. Wie? Mit charmant blöden Texten, Rock, der den Namen noch verdient, und mehr Mut zum schräg Sein als die meisten anderen selbst in dieser Ära bewiesen haben. Oh, und die verdammt starken Songs nicht zu vergessen, nein, die gehören ganz sicher auch ein bisschen dazu.