von Kristoffer Leitgeb, 07.01.2016
Better than ever und das trotz des Abschieds von Country und musikalischer Unschuld.
Weit drüben im Osten, viel weiter noch als Debrecen oder Kiew, da behaupten manche, der Weg sei schon das Ziel. Für uns Europäer bedeutet das, dass ein Paradoxon geschaffen wird, wo bisher noch nie eines war. Schon einmal fragte ein Kabarettist folgerichtig: "Wenn der Weg das Ziel ist, reichts dann für Alkoholiker einen Durscht zu haben, um bereits betrunken zu sein?" In der Musik dagegen offenbart sich einem, folgt man dem Leitsatz, ein unfassbares Maß an Sinnlosigkeit. Wie an Songs oder Alben basteln, wenn denn dann eh nur mehr der Weg dorthin zählen soll? Nur gut, dass die meisten das alles nicht so ernst nehmen. Sonst wäre auch Taylor Swift nicht ganz so weit gekommen und hätte vor allem höchstwahrscheinlich nie das Ziel eines jahrelangen Weges gesehen. Der endet erwartungsgemäß nicht im tiefsten Country-Tal, sondern in poppigen Höhen und mit der Bestätigung dessen, was ohnehin alle immer wussten: Diese Frau hat Talent!
Auf alle Fälle ist mit "Speak Now" das finale Produkt von Phase 1 ihrer Karriere geschaffen und diese paar Jahre standen ja anscheinend unter dem vielsagenden Motto "Make Country Pop Again". An und für sich kein Problem, jede Transponierung des Genres weg vom Südstaaten-Kitsch ist immerhin sehr zu begrüßen. Jetzt hat Swift sich dafür entschieden, den einen Kitsch auf der Mülldeponie abzuliefern, dafür aber den kindisch-verträumten, ewig verliebten gleich von dort als Ersatz mitzunehmen, was Fragen aufwirft und uns allen Songs wie das peinliche White Horse eingebrockt hat. Selbiges also jetzt beim Grande Finale auf über eine Stunde ausgewalzt zu hören, das macht misstrauisch, stellt sich allerdings dank des gedanklichen Wachstums der US-Amerikanerin als unbegründete Sorge heraus. Ihr dritte LP ist ohne jeden Zweifel ihre ausgereifteste, dementsprechend auf dem Pfad der punktgenauen Hyper-Produktion unterwegs, aber eben auch mit der Qualität eines erfrischenden Naturells, einer Songwriterin mit Hang zum authentischen Geschichtenerzählen und einer Mischung aus Pop und Rock, die nebst beginnendem Größenwahn auch unvergleichliches Gefühl für starke Hooks offenbart.
Folglich sind die Frühstarter Mine und Sparks Fly berechtigte Hitsingles, die einem vor allem darlegen, dass Swift ohne große Mühe alles richtig machen kann. Natürlich mag manchen die textliche Wiederaufbereitung der ersten amourösen Erfahrungen der ewigen Unschuld ein bisschen mühselig, ein bisschen (viel) überrepräsentiert, ein bisschen (ganz viel) kindisch vorkommen. Aber erstens geht es in den süßlich-beschwingten Minuten weit eher um die grenzgenialen Refrains als um Wortklauberei, zum anderen könnte gerade die doch für positive Verwunderung sorgen, allein weil Swift inmitten eines Klischeehaufens mitunter neue Facetten und den Raum für kreative Zeilen findet. Nichtsdestotrotz hilft allen voran die Tatsache, dass den poppigen Folk- und Country-Avancen der Vorgänger hauptsächlich professionalisierter Pop-Rock mit Hang zum Heartland nachfolgt. Im Lichte ihrer begrenzten stimmlichen Fähigkeiten und ihrer Melodiedomäne gäbe es nichts, was ihr besser stehen könnte. Das leichte Banjo, ein paar kleine Einwürfe an der Fiddle oder Mandoline sind immer noch drinnen, aber "Speak Now" ist trotz verspielten Sounds ein Album für die großen Bühnen, das nach Hymnen, Ohrwürmern und begnadeten Harmonien verlangt.
All das bietet Swift in der ersten Hälfte en masse, setzt mit dem Hochzeitscrash des Titeltracks auch im Up-Tempo-Bereich die altbekannten ruhigen, teils akustischen Akzente. Während damit die Rückbesinnung auf frühere Momente wie Hey Stephen oder Fearless souverän und überraschend gut gelingt, wartet mit Mean sogar noch ein wirklicher musikalischer Ausritt - zu Pferde, gesattelt, dementsprechend tatsächlich einmal Country. Wie weit sie davor schon von ihrem Muttergenre entfernt war, merkt man spätestens da, weil einem die Abrechnung mit den nicht verstummenden Kritikern musikalisch etwas unbeholfen vorkommt. Obwohl der Beat und der dominante Bass sitzen, harmoniert zumindest die Songwriterin nicht so ideal mit der gebotenen Musik, lässt aber immerhin eine Tirade mit dem nötigen Augenzwinkern los, um so Unzulänglichkeiten gekonnt auszubügeln. Zusammen mit dem am anderen Ende des Swift'schen Spektrums angesiedelten The Story Of Us, einem Synth-Rock-Monstrum, dem nicht zu entkommen ist, wäre schon fast eine Armada großartiger Pop-Tracks versammelt, die ihr ein erstes ebenso großartiges Album bescheren könnten.
Zunichte gemacht wird dieses Vorhaben von der Songwriterin selbst, weil sie - und hier kommt jetzt der dämmernde Größenwahn ins Spiel - sich dazu hinreißen lässt, ihren starken Up-Tempo-Momenten zumindest ebensoviele langgezogene, der Melodramatik nahe Balladen zur Seite stellt. Die sind schwerer zu verdauen, kratzen an Minutenmarken, die ihnen fast durch die Bank nicht bekommen, und driften durch die von Swift verordnete Studioglätte noch dazu in Richtung eines musikalischen "Reich und Schön" ab. Sprich: Die Fassade emotionsbeladen, allerdings von zu viel Pomp und Kitsch umgeben, als dass vom Gefühl noch viel überbleiben würde. Zumindest aber versucht sich Swift daran, ihrer Stimme mehr als üblich abzuverlangen und trägt so das düster-zurückhaltende Innocent und das von Streichern dominierte Haunted sicher über die Ziellinie. Mit dem ewig dahinplätschernden Last Kiss, dem die eingestreute Slide Guitar nichts Gutes tut, gelingt ihr das allerdings nicht wirklich, da ist die Luft schon vor dem ersten Refrain draußen.
Warum dem so ist, das könnte das uncharakteristische Prunkstück der LP schnell erklären. Better Than Revenge treibt die Sängerin nämlich überhaupt gleich in den Pop-Punk hinein, ist aber als Rachesong, adressiert an Ex-Partner Joe Jonas und dessen damalige Freundin Camille Belle, ungleich natürlicher und direkter. Dass ihr in der Mischung aus Wut und höherem Tempo die feine Klinge textlich etwas abhanden kommt, erklärt sich fast von selbst, aber bereits die Eröffnung mit dem Satz "Now go stand in the corner and think about what you did!" versprüht mehr Leben und vermittelt einem ungleich mehr Emotion, als es auch nur eine ihrer Balladen könnte. Fortgesetzt wird das mit ziemlich aufgeladener Stimmung und mehr als einer Stichelei:
"But sophistication isn't what you wear or who you know
Or pushing people down to get you where you wanna go
They wouldn't teach you that in prep school so it's up to me
But no amount of vintage dresses gives you dignity"
Vielleicht macht es auch nur der Umstand, dass aus dem Track Swifts persönliche Erfahrungen sprechen, aber so hätte es trotz lyrischer Luft nach oben auch aussehen können, das ganze Album. Auch wenn daraus nichts geworden ist, bleibt einem immer noch die beste Songsammlung, die Swift bis dato abgeliefert hat. Routiniert genug, um meist die Balance aller Liedteile im Blick zu behalten, erwachsen genug, um selbst den Kitsch oft genug seiner schwierigen Seite zu berauben, talentiert genug, um das alles mit lächerlich guten Melodien zu unterlegen. Es war in der Folge Swifts ganz persönliche Entscheidung, dieses Upgrade ihres Sounds als ein vorläufiges Ziel ihrer Karriere anzunehmen, sondern möglichst schnell in anderes Terrain vorzudringen. Nicht unbedingt zu ihrem Besten.