System Of A Down - Steal This Album!

 

Steal This Album!

 

System Of A Down

Veröffentlichungsdatum: 26.02.2002

 

Rating: 7 / 10

von Kristoffer Leitgeb, 18.05.2016


Aufgeräumte Gedanken im anarchistischen Gewand. Ein Trip durch die Chaostheorie.

 

Uninteressanter thematischer Exkurs, die 325.: Die Chaostheorie. Entgegen landläufiger Annahmen hat die weniger damit zu tun, wie unberechenbar das Szenario ist, dass das offene Fenster im Eigenheim genau dann zufällt, wenn Chinas Staatsoberhaupt die Klospülung betätigt. Nein, viel weniger skurril. Sie besagt, dass Systeme existieren, bei denen minimale Veränderungen in den Ausgangsbedingungen eines Vorgangs massive Abweichungen im Ergebnis nach sich ziehen. Ergo sind sie quasi unvorhersehbar. Im Lichte dessen, was Meteorologen oft für unnötiges Zeug quatschen, dürfte es niemanden wundern, dass das Wetter gern zu genau diesen Systemen gezählt wird. Ob System Of A Down wirklich auch in diesen illustren Klub aufgenommen werden sollten, ist streitbar. Gar so widerspenstig ist deren Arbeit nicht, als dass Annahmen nicht regelmäßig bestätigt würden. Und doch, "Steal This Album!" versucht alles, um nur ja nie zweimal am gleichen Punkt zu landen.

 

Dieser Umstand allein ist in der Musikwelt alles andere als ein Alleinstellungsmerkmal. Es gibt genug LPs, die fast für jeden Track einen eigenen Pfad einschlagen. Doch das Quartett mit Serj Tankian am Mikro stellt sich dieser Herausforderung trotz der zum Täuschungsmanöver mutierenden Tatsache, dass die Ausgangsposition allzu oft beinahe deckungsgleich ist. Man steht an der Schwelle vom Alternative Metal zum Punk, ist so politisch wie eh und je, dabei sogar noch einmal plakativer geworden und scheut die Vierminutengrenze. Diese Voraussetzungen gelten für Opener Chic 'N' Stu genauso wie für Nuguns oder Thetawaves. Und doch zerrt die Band einen mit jedem neuen Track in eine andere Richtung, erlaubt keine Verschnaufpause in einer Mischung aus musikalischer Manie und gewichtiger Worte mit bei Zeiten unbequem sarkastischem Unterton. Das Ergebnis dröhnt, stampft und legt einen kraftvollen Sprint durch 16 Tracks hin, die trotz ihrer Kürze Ausdauer erfordern.

Ausdauer deswegen, weil im explosiven Start mit der Werbungs-Kritik von Chic 'N' Stu eine verspielte Exzentrik zum Vorschein kommt, die in Verbindung mit latenter Nachdenklichkeit, die in den Texten zum Vorschein kommt, für schizophrene Anwandlungen sorgt. Ob geplant oder purer Zufall, schon wenn einem der unheilschwangere Monolog auf hektischen Fundament von BOOM! entgegenkommt, gibt man sich der auf einen niederprasselnden musikalischen Artillerie geschlagen, kapituliert vor der leicht klaustrophobisch wirkenden Ruhelosigkeit.

 

So überwältigend das klingt, würde ein Tritt auf die Bremse wohl ganz gut tun. Ja, es ist nicht alles so dramatisch, in den Stakkato-Riffs, den auf Rhythmuswandlung spezialisierten Drums und Tankians Gesangsakrobatik steckt schon noch oft genug die nötige Ordnung. Innervision bekommt seine Dynamik zum Beispiel hauptsächlich vom pulsierenden Bass, verarbeitet Daron Malakians Arbeit an der Gitarre zu fließenden Melodien und hymnischen Tendenzen, die für eindringliche Größe sorgen. Das schwergewichtige Mr. Jack setzt auf düster-dramatische Metal-Riffs, opfert punkiges Tempo für rohe Kraft und gesangliches Wehklagen des Duos Tankian/Malakian. All das gelingt, es sind starke Momente auf einem Album, das oft genug hohe Qualität bietet, aber von Kontinuität und Treffsicherheit weit entfernt ist. Es sind Minuten, die die offensichtliche Zerrissenheit zeigen, deren Ursprung wohl eher im Wesen der LP als Outtakes-Sammlung der "Toxicity"-Tage begründet liegt, als dass sie einem großen Plan geschuldet wäre.

 

Mit dieser Vorgeschichte ist es aber umso bemerkenswerter, wie rar sich wirkliche Schwachstellen hier machen. In der Kürze liegt natürlich, das ist wohl unausweichlich, nicht nur Würze, sondern auch manchmal eine gewisse Unnötigkeit. Die 46 Sekunden von 36 hätte man ökonomisch einsparen können, niemand braucht das hämmernde Trommeln und Tankians exzentrische Versuche, dem etwas entgegenzuhalten. Auch das bizarre Fuck The System mag in seiner sich überschlagenden Unruhe nicht wirklich aufgehen. Es sind, genauso wie Bubbles, die Songs, die auch mit Malakians guter Arbeit an der Gitarre eine Mäßigkeit ausstrahlen, die nichts auf "Steal This Album!" zu suchen hat. Da wird die musikalische Verrücktheit, das kompromisslos Anarchistische dieser LP an einen Punkt gebracht, an dem selbst das etwas berechenbar, gewöhnlich und mühsam daherkommt.

 

Doch dem steht viel an wertvoller Arbeit gegenüber. Um das düstere Epos Mr. Jack versammeln sich einerseits der durchdringende Punk-Volltreffer A.D.D., dessen Refrain trotz des hohen Tempos nicht mehr zum Mitsingen einladen könnte - wer könnte auch der Aussage: "We don't give a fuck about your world / With all your global profits and all your jeweled pearls" widerstehen? -, andererseits I-A-E-I-A-I-O mit seinen frenetischen Stakkato-Riffs, kryptischer Lyrik und dem sehr willkommenen Gastspiel der 'Knight Rider'-Titelmelodie.

Wieviel wirklich geht, beweist dann noch einmal der Endspurt, der mit dem Akustik-Track Roulette einen klanglichen Außenseiter im Angebot hat. Eine emotionale Perle ohne jegliche politische Färbung, dafür mit romantischem Unterton und fernab jeglicher Theatralik, akzentuiert nur von leichten Streicher-Sätzen. Das steigert sich nur noch mit der Rückkehr zu härteren Tönen im finalen Streamline, in dem die atmosphärischen, von leichtem Zupfen und Streichern umrahmten Strophen auf aggressive Riffs im Refrain treffen, überstrahlt vom wehmütigen Klagen Tankians über die verlorene Geliebte. Es ist hier, abseits der davor omnipräsenten gesellschaftspolitischen Aussagen, dass sich das Gefühl der Band für tiefgründige Minuten mit perfekt inszenierter musikalischer Untermalung am besten zeigt.

 

Das ist jetzt blöderweise eine wunderbare Kontradiktion der Idee, "Steal This Album!" und Chaostheorie, das würde irgendwie zusammenpassen. Allerdings, ganz so ist es auch wieder nicht. Der Startpunkt ist für Tankian & Co. in den allermeisten Fällen der gleiche und doch strahlt das zusammengebastelte Material in alle Richtungen aus, gibt sich stimmungsvoll und düster hier, sarkastisch und locker dort, anklagend und unbarmherzig wieder woanders. Ohne musikalische Ruhelosigkeit wäre das nicht möglich. Die dritte LP der Armeno-Amerikaner, sie ist oft fast gleich und doch immer anders. Eine bemerkenswerte Leistung, markant abgeschwächt von der Absenz fast jeglichen Flusses und der unvermeidbaren Anwesenheit einiger leidiger Minuten. Doch das eher unfreiwillig aufgenommene Album - remember the leaks! - gelingt. Ein Hoch also auf gewichtige Worte, musikalische Härteeinlagen und natürlich auf das Chaos, unser aller Feind!

 

Anspiel-Tipps:

- A.D.D.

- Roulette

- Streamline


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