von Kristoffer Leitgeb, 02.01.2015
Ein unwürdiger Abgesang auf die ehemals sprudelnde Kreativität.
Und, schon die ersten Neujahrsvorsätze gebrochen? Wahrscheinlich eher nicht. Wahrscheinlich erst gar keine gefasst. Ist auch besser so. Man kann ja umso weniger enttäuschen, je weniger man sich vornimmt. Eine wichtige Weisheit, die sich rückblickend nicht ganz bis zu den netten Jungs von System Of A Down herumgesprochen hat. Die haben im Laufe ihrer Karriere einfach zu viel an gutem Material abgeliefert, um noch mit niedrigen Erwartungen zu rechnen. Noch schwieriger, nachdem "Mezmerize" an diese Tradition angeschlossen hat, ja, den Vorgänger sogar ziemlich im Regen hat stehen lassen. So stellt sich dann unweigerlich die Frage, warum denn die Schwester-LP aus dem gleichen Jahr nicht ein ebenso gut erzogener Zwilling geworden ist, sondern ein schwieriger, gleichzeitig vorlauter und doch uninteressanter kleiner Counterpart?
Die üblichen Erklärungen warten: Ausgebrannt, Prinzipien verraten oder doch einfach nicht genug an brauchbaren Minuten für zwei auf hohem Niveau schwimmende Alben im Keller liegen gehabt. Nachdem das aber als Erklärung wohl dezent unbefriedigend sein könnte, folgt noch ein kleines mysteriöses Extra zum Rätsel hinter "Hypnotize". Irgendwie schafft man es nämlich in brillanter Manier zu starten, das sogar in zweifacher Ausführung. Attack erlaubt einen kurzen Einblick, wie man das Quartett als Trash Metal-Band erleben dürfte, besticht durch große Wucht mit abgehacktem Riff und brachialen Drums. Gleichzeitig erlaubt man sich einen Blick zurück auf die Tage von Toxicity und A.T.W.A., indem dem lauten Wutausbruch dezenteste, vom Bass dominierte Strophen entgegengestellt werden. Mitsamt der erfolgreichen Gesangspaarung Tankian/Malakian gibt man sich also gewohnt stark. Um auch das kurze Zeit später in den Schatten zu stellen. Dreaming markiert nämlich einen der besten Momente der Band. Das beklemmende Chaos, das die Band in aller Härte und mit den verschiedenen Gesangsspuren großartig abliefert, wird ganz abseits vom trauerbelasteten Texten zur aussagekräftigsten Vorstellung der LP.
Es mangelt in der Folge nicht notwendigerweise an ebensolchen Botschaften, wenn man mit dem Standard-Rocker von Kill Rock 'n' Roll auch einen markanten Rückschritt hinnehmen muss. Obwohl man dank hohem Tempo noch mäßig überzeugt wird, kristallisieren sich bald mehr und mehr der möglichen Fehlerquellen heraus. Vieles hier lässt die Dynamik früherer Jahre vermissen, ergibt sich stattdessen unspektakulären Tempowechseln und wenig beeindruckenden Riffs, die bei Zeiten nur als Unterbau für das zu präsente Gesangsduo zu dienen scheinen. Der auf "Mezmerize" durchaus erfrischende Auftritt von Gitarrist Daron Malakian am Mikro scheint sich diesmal selbst zu genügen. Man singt, um des Singens willen, versucht sich an glatteren und langgezogeneren Passagen, verpasst aber zu oft den Absprung für spannende und effektive Momente. Die Wirkung der ehemals so sprunghaften und energiegeladenen Stimme von Serj Tankian, sie verpufft hier fast vollkommen. So tun sich Songs wie Hypnotize oder U-Fig in ihrer von jeglichen Wirrungen befreiten Minuten schwer, für Unterhaltung zu sorgen. Lediglich die unbeholfen eingeflickten Soli, die mit ihrem leicht folkloristischen Charme punkten, scheinen irgendwie beim Hörer anzukommen.
Man muss sich also auf der übrigen LP mit wirklich wenig begnügen, markieren doch Songs wie das merkwürdig zusammengestückelte Tentative oder das wirklich bedenklich sinnentleerte Vicinity Of Obscenity - auch Dadaismus soll gelernt sein - viel eher Erinnerungen daran, wie gut nicht manches früher war, anstatt ähnliches selbst hervorzurufen. Als zumindest äußerst ambitionierter Moment erweist sich Holy Mountains, das aber nach dem tollen, vielschichtigen Intro und einer stimmungsvoll-ruhigen ersten Strophe wenig mit der dann gefundenen Härte anfangen kann. Das Emotionale geht verloren, das Hymnische kommt und mit diesem Wechsel verebbt im Laufe der über fünf Minuten auch das Interesse vermehrt.
So kommt's dann, dass tatsächlich Tracks wie Stealing Society und Lonely Day aushelfen müssen. Die sind an sich wenig hinreißend. Vor allem Ersterer weiß nach einer knappen halben Minute, sprich einem großartigen Intro, schon nicht mehr viel Außergewöhnliches mit sich anzufangen, verharrt in seiner altbekannten Gesellschaftskritik und ordentlichem Hard Rock, der großteils von den Drums am Leben gehalten wird. Lonely Day könnte dagegen für die Band selbst der schlimmste eigene Track sein. In seiner Natur als auf Teenie-Niveau geschraubte Einsamkeitsode im selben Lager wie der immer-noch-Radiohit Everybody Hurts, hält er eigentlich nichts bereit, was System Of A Down irgendwann einmal ausgemacht hätte. Eine banale Bassline durchzieht den Song, verstärkt vom dezenten Gitarrengezupfe und gelegentlichen Mid-Tempo-Riffwänden. In Wahrheit also der x-te Song dieser Art, geformt zum größten Teil von der für ein Mal wirklich starken Gesangspaarung, deren ansonsten deplatziert wirkende Harmonien kaum besser eingesetzt werden könnten. Und doch, es ist nicht das, was man eigentlich hören wollte. Zumindest nicht mit diesem Bandnamen draufgekleistert.
Bei manch anderem entscheidet man sich dann aber doch gleich dafür, es unter keinem Namen hören zu wollen. Das für lange Zeit letzte Album der Armeno-Amerikaner ist also nicht ganz würdig, als solches zu fungieren. Aber doch nur nicht ganz, denn in Wahrheit zeigt man zumindest zu Beginn noch immer ordentlich Flagge und kämpft sich selbst in den schlimmsten Momenten wacker durch eine zerfahrene, fehlgeleitete LP, die trotz aller Bemühungen weder an alte Tage anschließen will, noch wirklich Brauchbares an neuen Ideen zu präsentieren hat. Damit bleibt einem das bei weitem defensivste Album von Tankian, Malakian & Co, das beim Anfreunden damit ein merkwürdiges Gefühl in der Magengegend verursacht. Und es ist sicher keines von der guten Sorte.