Sum 41 - Order In Decline

 

Order In Decline

 

Sum 41

Veröffentlichungsdatum: 19.07.2019

 

Rating: 7.5 / 10

von Kristoffer Leitgeb, 04.04.2021


Mit der Politik im Visier und der Wut im Bauch ist der Anschluss an frühere Großtaten gefunden.

 

Jene Zeiten, in denen reaktionäre, konservative, militante und despotisch-autoritäre Figuren und politische Strömungen Erfolg um Erfolg feiern und mit so etwas wie einer Mehrheit im Rücken ansagen, wo es lang geht, sind naturgemäß für ganz, ganz wenig gut und erscheinen im Rückspiegel oft nicht nur wie verlorene Zeit, sondern gleich wie ein Mahnmal zivilisatorischer Regression. Insofern braucht es sie jetzt nicht wirklich. Doch actio fordert reactio, sodass diese finsteren Tage auf einem Nebenschauplatz auch die Tendenz haben, eine Gegenbewegung und lautstarke Rebellion herauszufordern. Dieser Nebenschauplatz ist oft genug die Kunst und präziser noch die Musik, die sich ihrem Wesen nach ja sehr ungern einschränken lässt und dementsprechend mit dem politischen Freiheitsraub nicht allzu gut zurechtkommt, noch dazu eher nicht der konservativen Rückschrittlichkeit zugewandt ist. Deswegen war Nixon ein genauso guter Reibebaum wie wenig später Reagan oder Thatcher, etwas später George W. Bush und so manch andere. Und dann kam Trump. Als Mischung aus xenophobem Macho, kulturfernem Schmock und gewinnsüchtigem Egozentriker mit Aggressionspotenzial eines Kleinkindes  und Gottkomplex wäre der Mann eigentlich die ideale Zielscheibe für alle, die sich abzureagieren hatten an einem Land, das mit gerecktem Mittelfinger und Lachen gegen die Wand zu fahren bereit war. Aber er war auch so weit da draußen, fernab von Gut und Böse und allem, was die Vorstellungskraft hergeben konnte, dass das Ergebnis selbst in der kreativen Kunstwelt eher eine Mischung aus Schockstarre und Resignation ob des unpackbaren Ausgangsmaterials war. Da konnte nichts mehr überspitzt oder angeprangert werden, weil ohnehin alles ganz offensichtlich war. Deswegen zerschellten gute Vorsätze, noble Ansichten und der wütende, herausgeforderte Aktionismus an der Jenseitigkeit dessen, was es zu verarbeiten galt, und der Gegenangriff gegen die personifizierte Verrohung und Unmenschlichkeit blieb zahm und unscheinbar. Ein paar Kanadier schafften es aber immerhin, sich selbst an der nicht zu schulternden Aufgabe wieder aufzurichten und an ihre besten Zeiten anzuschließen.

 

Diese lange, wirklich sehr lange Einleitung soll uns weiter nicht stören beim Blick auf eine Band, die es insbesondere in Form ihres Frontmanns Deryck Whibley vor etwa einem Jahrzehnt beinahe geschafft hat, sich selbst zugrunde zu richten. In einem Dickicht aus undurchsichtiger werdender, schon in der Konzeptphase zum Scheitern verurteilter Rockopern, sich ausbreitender Depression und Alkoholsucht war kein Platz mehr für effektives Arbeiten an der Musik und auch kaum fürs Überleben. Die Rückkehr kam jedoch wie das Amen im Gebet und sie gelang mit "13 Voices" in solider, vorteilhaft komprimierter Form. Und mit Dave Baksh zurück an Bord, der sodann auch hier eine Band musikalisch anführt, die mit nunmehr drei Gitarristen genug aufmunitioniert ist, um die angestaute Wut in gebührender Form zu Songs zu machen. Dementsprechend ist "Order In Decline" der logische nächste Schritt nach dem Vorgänger, spart sich aber dessen Anleihen am voluminösen Stadionrock von Linkin Park und ersetzt diese durch eine kompromisslose Aggressions- und Härtekur.

Quell der Inspiration ist eben oben angesprochener Donald Trump, womit sich Sum 41 wiederum in jene Fahrwässer begeben, die ihnen eineinhalb Jahrzehnte vorher ihren größten musikalischen Triumph beschert haben. "Chuck" hieß er, war zwar ein hier und da naives und weltschmerzendes, vor allem aber ein aggressives, unbarmherziges und leidenschaftliches Statement gegen das Unheil dieser Welt und einen gewissen George W. Bush im Speziellen. Wie schon damals regiert auch diesmal die Vermengung der nur mehr sporadisch spürbaren, poppunkigen Ursprünge mit einer dem Metal und Melodic Hardcore entliehenen Härte. Dazu kommen aber auch erst in den Folgejahren beackerte musikalische Felder in Form dezenter Annäherungen an den Garage Rock und bedeutungsschwangeren Pop Rock.

 

Während davon wenig überraschend nicht alles gelingt, ist die ideal gewählte Leadsingle des Albums ein Mahnmal der musikalischen Wiederauferstehung der Band. Out For Blood ist ein klanglicher Sieg auf allen Ebenen, vereint mit der anklagenden Aura von We're All To Blame und der theatralisch inszenierten Härte von Blood In My Eyes zwei der besten Momente der Bandgeschichte und wird so selbst zu einem ebensolchen. Angetrieben von Riffwänden, die dank der Triplebesetzung und Bakshs Nachdruck am Instrument locker die etwas in den Schatten gestellten Drums abfedern, und geprägt von der eindringlichsten Vorstellung, die Whibley seit langem zu bieten hatte, bekommt man da einen erstklassigen Song aufgetischt. Der darf sich sogar eine ganz kurze, verunglückte, weil in statischer Ruhe verharrende Bridge erlauben, weil direkt danach ein frenetisches Solo mitsamt durchdringendem Getrommel folgt und man von jedem Refrain aufs Neue weggeblasen wird.

Die abseits davon gebackenen Brötchen sind kleiner, aber deswegen auch nicht schlampig. A Death In The Family balanciert stark die High-Speed-Riffkanonaden und die ruhig gezupfte, schleppende und an "Screaming Bloody Murder" erinnernde Melodramatik aus. 45 (A Matter Of Time) ist als direkter Angriff auf Trump vor allem ein Sieg des inbrünstig in Mikro gebrüllten Refrains und seiner schwergewichtigen Riffs insbesondere im Solo. Und Heads Will Roll parkt genau dazwischen einen unerwartet effektiven, weil weiterhin kompromissfrei harten Garage-Rock-Ausflug.

 

Allem gemein ist, dass nicht sonderlich auf die Bremse gestiegen wird und schon gar nicht der Idee Platz gelassen wird, in der Ruhe läge irgendeine Kraft. Tatsächlich ist nach dem ziemlich verunglückten, hymnisch-sphärischen Start von Opener Turning Away beinahe alles der wuchtigen Härte und der punkig-metallischen, wütenden Eindringlichkeit untergeordnet. Und allen berechtigterweise gespaltenen Urteilen zu Sum 41 zum Trotz darf man auch diesmal eingestehen: Das können die schon sehr ordentlich. Stimmen Drehzahl und Dezibel, ist der Band wenig vorzuwerfen, abgesehen vielleicht von der ungebrochen spürbaren Angewohnheit Whibleys, mit so manchem abruptem Tempobruch und der einen oder anderen hemmungslos ausgebremsten Passage der Melodramatik und Theatralik einen recht unverdienten Platz zu geben. Derartige Fehltritte halten sich aber sehr nett in Grenzen. Lediglich The New Sensation ist als zwar schwerstens aufmunitionierter, aber sich eher gemächlich dahinwälzender Rock-Monolith eine Reminiszenz an die stadionbereiten Wuchtbrocken von Muse, die es nicht gebraucht hätte. Uprising lässt grüßen, nur mit härteren Riffs.

 

Und natürlich braucht auch diese LP, wie noch jede der Kanadier, trotz allem eine nutzlose Ballade eingestreut. Diesmal heißt sie Never There und gerät gar nicht etwa sonderlich schmalzig oder geschmacklos, sondern einfach nur dermaßen inhalts- und emotionsarm, das sie mit jeder Minute transparenter zu werden scheint. Wenigstens ist die Bilanz aber auch auf dem Betätigungsfeld keine miserable, weil man auf der anderen Seite zum Albumabschluss Catching Fire und damit eine zwar definitiv kitschige, aber ungleich stimmigere, aufs Stadionformat ausgedehnte Powerballade bekommt. Da helfen die Drums und das Tempo ordentlich mit, alles in gebotener Manier am Leben zu halten.

 

Womit man Sum 41 hier auf einem lange nicht gehörten Niveau erlebt. "Order In Decline" mangelt es zweifelsohne, abgesehen von der herausragenden Leadsingle, an den wirklichen Volltreffern. Gleichzeitig ist es die solideste, von sinnlosen, geschmacksverirrten Ausschweifungen freiste LP, die die Kanadier in 15 Jahren abgeliefert haben. Stattdessen steht der Fokus im Fokus. Man verzichtet einmal mehr auf die große Rock Opera, arbeitet sich dafür in nicht einmal 40 Minuten an der Trump, der Welt und ihren Zuständen ab, macht der eigenen Wut, dem Frust, der Hoffnungslosigkeit Luft und fährt dabei musikalisch wieder die großen Geschütze wie in den guten, alten Zeiten auf. Das heißt jetzt nicht, dass man abgesehen vom einen oder anderen Solo zum Niederknien wirklich virtuos agieren würde. Danach verlangt aber auch absolut niemand, wenn die Kompromisslosigkeit, die dröhnende, stark produzierte und inszenierte Härte zum Programm werden und man über die Tracklist kaum einmal locker lässt. Mehr wünscht man sich fast gar nicht.

 


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