von Kristoffer Leitgeb, 15.08.2015
Die harte Rock-Welt des depressiven Wahnsinns als qualitatives Aufbäumen gegen wirkungslose Hip-Hop-Experimente.
Es ist ja immer etwas blöd, wenn so ein ganzes Genre in Verruf gerät. Hausgemacht sicher und bei so etwas wie Crunkcore kann, darf und wird auch wirklich niemand widersprechen, wenn man ihm als Entstehungsort einen von Dantes vielen Kreisen der Hölle nachsagt. Aber trotzdem steckt in dieser quasi allgemeinen Verbannung in die finsteren Ecken des miserablen Geschmacks immer eine Endgültigkeit, die vielleicht ein bisschen gar viele musikalische Türen auf einmal zuschlägt. Und letztlich darf ja doch jeder mögen, was er mag. (Der Satz sollte übrigens jedem in Maßen weh tun.)
Auch Nu-Metal darbt nun seit ewigen Zeiten in diesen Ecken, aus denen man, möchte man eines guten Gehörs bezichtigt werden, tunlichst nichts hervorholen sollte. Linkin Park, Papa Roach, Limp Bizkit, die Liste der Bands, die diesem Genre seinen schlechten Ruf zugefügt haben, ist lang. Aber es gab Zeiten, da war das alles sehr, sehr, sehr erfolgreich und vor allem neu, ergo noch nicht uncool, ergo sind irgendwann die ganzen Bands, die das auch machen wollten, aus dem Boden geschossen. Such A Surge waren da mittendrin, aber auch aus Deutschland, deswegen immerhin schon mal anders genug für die altbekannte Daseinsberechtigung. Und für ziemlich düstere Töne.
Wobei letzteres wiederum nicht so anders ist, positivistische Tendenzen im Nu-Metal sind ja ohnehin ähnlich rar gesät wie das Infragestellen von Gott im Islam. Und damals, Mitte der 90er, war man schon überhaupt aggressiver unterwegs als in den bald folgenden großen Tagen des Genres. Und trotzdem, man merkt den Deutschen bald die offensichtliche Eigenständigkeit an. Erster bedeutender Anhaltspunkt: Das Frontduo Oliver Schneider und Michel Begeame liefert Texte auf Deutsch, Englisch und Französisch. Eine wichtige Lektion, die die Band dabei früh gelernt zu haben scheint, ist das feinsäuberliche Trennen dieser drei, sodass man zumindest fast immer in den Genuss kommt, songintern nur mit Einsprachigkeit bedient zu werden. Zu Beginn bekommt man außerdem noch ziemlich hochklassige Härte serviert. Die äußert sich natürlich in entsprechenden Riffs, die in ihrer rohen Abmischung für kraftvolle Soundwände sorgen, gleichzeitig aber immer Platz für ein ordentliches Durchschnaufen in ruhigeren Passagen Platz lassen. Sie äußert sich im eröffnenden Ideale und dem dafür passend betitelten Amok aber genauso in wutgetränkten Texten, vorgetragen irgendwo zwischen Singen und Rappen, ohne jegliche stimmliche Tiefe oder Präzision, dafür aber voll roher Emotion und Ehrlichkeit. Von diesen schwer depressiven Minuten ist man also hinlänglich überzeugt, auch weil sich abgesehen von ordentlicher Arbeit an den Drums insbesondere beim Gitarristen die Varianten zeigen, die die Vocals nicht bieten. Die Ausbrüche in den Refrains kommen fast grungetypisch und doch wirkt wenig statisch oder formelhaft, stattdessen werden zwischen atmosphärischen Build-Ups genau auf die richtige Art Wände eingerissen, allen voran jene, die die eigenen Unwelten abschirmen sollten.
Solcherlei gibt man sich noch hin und wieder einmal hin, doch weder erreicht man damit die Höhen des eindringlichen Beginns, noch will man sich wirklich damit begnügen. Es beginnt nämlich alsbald das freudige Experimentieren. Das treibt mitunter seltsame, viel mehr aber musikalisch einfach miserable Blüten. Dieses Schicksal trifft die Tracks, die sich zu sehr dem Hip-Hop annähern. Das für die LP unpassend relaxte Raw And Pure bietet sich da schnell an. In tiefer Depression gefangen und dann doch wieder mit ambientähnlichem Soundgewand gemächliche Rhymes zelebrieren? Die Rechnung hat wohl ein paar Lücken, sie geht auch nicht wirklich auf. Ähnlich ergeht es einem mit dem ewig langen Gastspiel von Fanta 4-Rapper Michi Beck, Das Netz, das zur üblichen Selbstbeweihräucherung unter Rapperkollegen mutiert. Zwar kann man sich mit dem gitarrenlastigen Sound halbwegs anfreunden, weder technisch noch inhaltlich können die MCs aber wirklich überzeugen, stattdessen regiert an der Front Langeweile, die sich letztlich auch auf die monotone Musik überträgt.
Und auch sonst wird es mit den Ausflügen raus aus den Rap-Metal-Gefilden nicht zwingend besser. Das fast schon hoffnungsvolle Fliegen wird nicht nur wegen des hochdeutschen Rap zur sperrigen Angelegenheit, auch der musikalische Unterboden ist mit einem so dermaßen trägen Beat und unwirksamen, unheilschwanger atmosphärischen Keyboard-Hooks nicht die nötige Entlastung. Zur wirklichen Katastrophe mutiert aber trotz all dem nur das aus dem Nichts auftauchende Ungetüm Floating, das wenigstens in aller Kürze abgehandelt ist. Man könnte es wohl Noise nennen, was die Herren da im Eifer des Gefechts an sinnlosen und ohrenbelästigenden Soundschnipseln zusammengebastelt haben, der Begriff Müll scheint einem aber irgendwie einfacher über die Lippen zu kommen. Warum das da ist, bleibt ein Fall für die Mystery-Abteilung, ansonsten bietet der Track aber so gar nichts.
Etwas anders schaut es da schon aus, wenn man sich gediegenerer Klangverarbeitung zuwendet und damit auch gleich leichter nachvollziehbar daherkommt. Warum es nämlich das starke T'as Perdu aufs Album geschafft hat, das versteht sich ganz schnell. Man erweckt die anfängliche Formel wieder zum Leben, gibt ihr aber trotzdem mit runtergeschraubtem Tempo und den bassgesteuerten, von der Gitarre nur wirkungsvoll zupfend begleiteten Strophen einen ganz anderen Touch. Wütend und mit ziemlich durchgebrannter Sicherung scheint man auch im Französischen noch zu sein, dafür sorgt die markante Blues-Note, die insbesondere im Solo zum Vorschein kommt, für weniger aggressive Anwandlungen. Die wissen auch im Fall von Muppets Are Real zu Gefallen, immerhin baut der Song zur Gänze auf einen leichten, monotonen Beat und die plötzlich komplett abgespeckten Gitarrenakkorde. Das tut auch dem Gesang gut, der besticht in seiner einförmigen, mutlosen Art ohnehin, allein weil sich textlich mit die besten Passagen der LP zeigen, die nicht nur die starke Frage "Is life just a form of animated death?" aufwerfen:
"I can see another part of me
Looking down on me, thinking about me
In virtual reality
But is it really me or just bytes and bites
What's real now? Is it programmed what I feel now?
Questions to those empty eyes in the mirror
I will drink 'til I'm drunk
'Til the heat makes me shiver"
Den emotionalen Höhepunkt findet man allerdings erst mit Ich Sehe Dich, der perfekt inszenierten Abrechnung mit der Liebe, die sich mit ähnlich viel Nachdruck wie die ersten Minuten, dafür aber musikalisch und gesanglich variantenreicher einhämmert.
So viel sich da also herausholen lässt, es reicht trotzdem nicht. "Agoraphobic Notes" ist ein zerrissenes Album, das viel zu viele Kurven einbaut, obwohl man auf der Gerade eigentlich alle Stärken hat und diese auch zeigt. Doch der Drang nach Abwechslung und Auswegen aus der anfangs so definitiv wirkenden Wut und Depression scheint für Such A Surge stärker gewesen zu sein als die Idee eines geschlossenen, funktionierenden Albums. Erfahrungsgemäß provoziert so etwas Achsbrüche und genau den hat man sich hier eigentlich auch eingehandelt. Was trotzdem bleibt, sind ein paar Beispiele für die Qualität des deutschen Rap-Metal-Aushängeschilds. Zusammenreißen müssen sich die Herren dafür aber, damit sie sich auch so wirklich zerreißen können, wenn es in die finsteren Ecken geht. Nicht die des Nu-Metal, sondern die des eigenen Gehirns.