Stefanie Heinzmann - Roots To Grow

 

Roots To Grow

 

Stefanie Heinzmann

Veröffentlichungsdatum: 11.09.2009

 

Rating: 6 / 10

von Kristoffer Leitgeb, 07.07.2017


Das Schweizer Goldkehlchen zwischen Kommerz und dem Dasein als leidenschaftliche Old Soul.

Ich hier gelte als Aushängeschild der hundsmiserablen Altersschätzung. Man zeige mir einen 40-Jährigen und lasse mich das Alter erraten, alles zwischen 25 und 60 ist locker drin. Sagt man. Die Realität schaut natürlich ganz anders aus. Mit dem auf alle Fälle notwendigen genauen Blick ist natürlich eine exakte Datierung gar kein Problem. Der beste Blick dafür ist immer noch der auf die Knochen. Wegen der lächerlich geringen Bereitschaft der meisten Menschen, mit solcherlei herauszurücken, muss man sich aber mit weniger begnügen. Ist man aber an dem Punkt angelangt, wo allein die Stimme verraten soll, welcher Generation der oder die Auserwählte angehört, dann wird es verdammt schwierig. Gerade bei den Dekadenhüpfern unter den Musikern kommt man da gehörig ins Schwitzen. Warum sollte auch eine, die am liebsten klingt wie eine Motown-Diva aus den 60ern gerade einmal ihren 20. Geburtstag hinter sich haben? Na, deswegen!

 

Man sieht, der Wunsch nach rundum schlüssigen Begründungen wird hier groß geschrieben. Größer noch soll das Lob geschrieben sein, wenn es sich denn anbietet. Und Stefanie Heinzmann gibt genug Anlass dazu, immerhin dürfte die Schweizerin das stimmliche Prunkstück des deutschsprachigen Pop sein. Die Konkurrenz schläft vielleicht ein klein wenig, meinetwegen, aber das macht das Überrunden für den jungen Raab-Protegé nur einfacher. In Anbetracht dessen, dass Heinzmann eine ausgewiesene Vorliebe für Soul, R&B und Motown mitbringt, würde man ja meinen, es wäre ein leichtes, ihr die idealen Songs zu zimmern. Ob es nun an der Qualität der unzähligen tatkräftigen Songwriter liegt oder an der vielleicht doch gar nicht so zahmen Sängerin, am richtigen Material beißt man sich dezent die Zähne aus.

Am besten fließt alles ineinander, wenn in den Old-School-Arrangements die notwendige Aggressivität oder aber vielfältig instrumentierte Lockerheit zu hören sind. Irgendetwas, das entweder nach Opener Bag It Up oder nach World Of Fire klingt auf alle Fälle. Ersterer spielt sich mit abgehackten Rhythmen und cineastisch aufgebauschten Bläsersätzen, die dem Boxer-Schauspiel, das der Song von der ersten Zeile an vermitteln will, entgegenarbeitet. Dass auch hier ein Hauch von Romantik-Gedudel die Lyrics umschwirrt, sei kein großer Stolperstein. Allein schon deswegen, weil es dem dynamischen Motown-Track World Of Fire ordentlich auf die Sprünge hilft und der sprunghaften Rhythm Section keine komplette Inhaltsleere gegenüberstellt.

 

Wobei Heinzmann leider doch relativ viel magere Kost verarbeiten muss. Die miserabel ausgewählte Leadsingle No One (Can Ever Change My Mind) entbehrt mit den statischen Klavierakkorden und den unnötigen Streichern nicht nur fast jeder Beweglichkeit, man findet sich auch im Inbegriff eines substanzlosen Selbstbewusstseinsmantras wieder. Das, gepaart mit weniger überraschend eindruckslosem Schnulzenmaterial wie How Does It Feel oder I Don't Know How To Hurt You, macht es einem dann unvorteilhaft schwer, die Qualitäten der Schweizerin zu genießen. Natürlich versucht Heinzmann alles ihr mögliche, um solchen Tracks Leben und Emotion einzuhauchen. So glatt und konturenlos, wie diese sich musikalisch allerdings präsentieren, kämpft da jemand gegen Windmühlen. Der Kampf ist nicht vergebens, abgesehen von der zähen, theatralischen Melodramatik von How Does It Feel bringt die rauchige Stimme alles in passable, zumindest aber erträgliche Gewässer.

 

Jetzt hört kein Mensch ein Album wegen der erträglichen Songs, sondern eher wegen so etwas wie Roots To Grow. Geschrieben primär vom deutschen Reggae-Aushängeschild Gentleman, landet der Titeltrack dann auch genau in diesem Genre, kombiniert seinen starken Flow mit dem entspannten Soulgesang von Heinzmann und liefert damit den freisten Moment der LP ab. Fernab von Chartfokus und der Songmanufaktur, die das Dutzend zusammengewürfelter, sich rundherum austobender Schreiberlinge darstellt. Diesen natürlichen Touch, noch dazu mit mehr Gefühl als der übrige Haufen zusammen, hätte man gern öfter.

Bekommt man nicht, stattdessen trifft stromlinienförmige Produktion auf die Überbleibsel musikalischer Kanten, die Heinzmann ihrem Faible für Black Music der 60er und 70er zu verdanken hat. Das klingt schon auch verdammt unterhaltsam mitunter. Gedämpft beim Big-Band-Sound von Bet That I'm Better, in fast voller Blüte dagegen im vielschichtigen Stop, das sich in nur dreieinhalb Minuten erfolgreich daran versucht, Disco-, Motown-, Soul- und Funk-Anleihen stimmig zu vereinen. Und mit der flüssigen Mixtur kommt dann auch die griffige von ganz allein, in der sich Heinzmann mit dezentem Krächzen austoben kann.

 

Davon bräuchte es mehr, um dem zweiten Album der Schweizerin ein wirklich gutes Zeugnis ausstellen zu können. Überhaupt kommt man nicht an dem Fazit vorbei, dass auch diesmal kein Versuch, den perfekten Song für sie zu finden, wirklich gelingt. Trotzdem ist "Roots To Grow" ein kleiner Schritt nach vorne, weniger in der Effektivität als viel mehr bezogen auf den eigenständigeren und vielseitigeren Sound, den Heinzmann und ihre Hintermänner im Angebot haben. Das Schleifpapier ist allerdings immer noch des Pop-Produzenten liebstes Werkzeug und so fehlen der LP zu oft die Kanten und das Profil, um die Kompositionen davor zu retten, als Ausdruck unaufdringlicher Mäßigkeit zu enden. Am stimmlichen Potenzial und der sympathischen musikalischen Vorlieben der Sängerin ändert das nichts, im Gegenteil lässt gerade das den Schluss zu, dass tatsächlich erst die Wurzeln geschlagen wurden, damit etwas wirklich Wertvolles wachsen kann.

 

Anspiel-Tipps:

- World On Fire

- Roots To Grow

- Stop


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