von Kristoffer Leitgeb, 25.06.2016
Die Casting-Siegerin der anderen Art kämpft mit starker Stimme gegen die Produktionsmaschinerie.
Wir alle wissen, dass es nicht gut für uns ist, zu lange in den Fernseher zu starren, weil dann die Augen irgendwann quadratische Form annehmen. Deswegen machen wir das heutzutage seltener und starren stattdessen auf das Display unserer Smartphones und Tablets oder auf den PC-Monitor. Viel besser! Ein anderer Grund für die Abwendung vom TV könnte das zunehmend "mäßige" Programm sein. Früher war ja alles um ein gutes Stück schöner, wahrscheinlich auch das. Immerhin gab es wenig bis gar keine Casting-Shows, das ist schon ein gigantischer Bonus. Wieder einmal ist das neue Jahrtausend schuld, das diese der allgemeinen Verachtung preisgegebene Unterhaltungsform geboren hat. Manchmal sind die trotzdem ganz ansehnlich. Nur mit dem Output - sprich: den Siegern - will es qualitativ so nicht und nicht klappen. Wahrscheinlich sucht Dieter Bohlen deswegen immer noch. Es brauchte also Stefan Raab, um der Welt 2008 zu zeigen, wie eine sympathische Casting-Show-Siegerin aussieht. Damit hat er Bohlen gleich doppelt verarscht und der Welt Stefanie Heinzmann geschenkt. Die kann wahrscheinlich mehr, als sie darf. Oder sie will mehr, als sie kann. "Masterplan" klingt trotzdem ordentlich.
Zu ungefähr 80% geht das auf die Kappe der damals erst 19-jährigen Schweizerin, die nicht nur breit gefächerte musikalische Vorlieben mitbringt, sondern auch noch eine soulige Stimme, die ihrem Alter ein gutes Stück voraus ist. Und so klang anno dazumal die erste Single, My Man Is A Mean Man, nach weit mehr, als man es aus der Welt der von Jury und Voting gekrönten Damen und Herren gewohnt ist. Ein Hauch von Soul mit ordentlich poppigem Aufputz zwar, dafür aber auch mit einer ungehetzten Lockerheit, die nicht nur der etwas zu sehr von Kanten befreiten Musik auf die Sprünge hilft, sondern vor allem dem rauchigen Klang des Gesangs, der sich auffallend leicht im Arrangement bewegt. Während man inmitten der überdeutlich hörbaren Drums, dem geschmeidigen Background-Chor und der pflichtschuldig eingestreuten Akustik-Gitarre auf den letzten Punch vergeblich wartet, findet man auch schon bald die zweite Single Like A Bullet und stolpert dort über ähnlich gelagerte Qualitätsarbeit. Stimmiger sogar. Der vollere Sound rund um die offensichtlichen Soul-Jazz-Anleihen sorgt für mehr Leben, aber auch für ein smootheres Ganzes, dem die funkigen Gitarren-Spritzer ähnlich gut stehen wie der prägnante Bass.
Doch der Faden reißt. Und niemand könnte dafür weniger als Heinzmann selbst, die sich als Studio-Rookie nach besten Möglichkeiten durch das schwierige Pop-Terrain, flankiert von Jazz, Soul, Blues und Funk, kämpft. Doch die Armada an Komponisten, die ihr das Debüt zimmern sollten, mehr noch das Produzenten-Duo lassen wenig Raum für Individualität oder wirklich interessante Klänge. Gegen den glatten Sound der LP kann man schwer Einspruch erheben, es geht immer noch um eine Casting-Show-Siegerin, die zuerst einmal verkaufen soll, bevor andere Dinge berücksichtigt werden. Aber es mangelt den Verantwortlichen zu oft am Gefühl dafür, welche Melodien, Texte und Stimmungen der Schweizerin liegen könnten. Das behäbige Don't Call This Love belegt zwar einmal mehr gesangliches Talent, erinnert aber trotz vermeintlich zurückgeschraubter musikalischer Auskleidung nach einer charakterlosen Version dessen, was später Adele berühmt machen sollte. Überhaupt gerät die Suche nach großen Emotionen eher zum Fiasko. Die Liebesg'schichtln, die man der Sängerin andichtet, verpuffen mit dem Hip-Hop-Beat von Best Thing You Ever Did oder im dramatischen Klavier-Gewand von Painfully Easy - das trotzdem noch vielversprechend gesungen ist.
In anderen Sphären ist sie allerdings besser aufgehoben. Der Disco-Funk von If I Don't Love You Now versprüht da schon einen ganz anderen Charme, illustriert, wie gut Heinzmann fähig ist, auch in vermeintlich lockere Arrangements mit ihrer Stimme Emotion hineinzubringen, ohne dabei der Melodramatik zu verfallen. Vielleicht bräuchte es das bei dem stark zusammengebauten Track gar nicht, der gereicht auch so zur gelungenen Rückbesinnung auf die späten 70er. Als ähnlich gut erweisen sich das Gastspiel der Brass-Veteranen von Tower Of Power, die das Cover ihres Only So Much Oil In The Ground unterstützen und in eine ausdrucksstarke Funk-Show verwandeln, und das trotz markanter Elektronik-Beteiligung im 60er-Stil gehaltene I Betcha She Doesn't Feel It, das Motown und eine Spur Jazz aufleben lässt.
Doch man kommt nicht mehr wirklich ins Schwärmen. Während man sich Heinzmanns Darbietungen oft gerne anhört und einem immer wieder lohnende Minuten begegnen, macht sich der allzu chartfreundliche Stil albumüberspannend bemerkbar. Zu viel wirkt kantenlos, zu viel verliert durch die glatte Produktionsarbeit an nötiger Energie. Wenig endet deswegen gleich wie die schwächlichen Revolution und Free Love, die sich vor allem textlich lächerlich machen und mit streichelweichem Pop-Soul hier, chaotischem Pseudo-Funk-Rock da wenig Punkte sammeln. Nichtsdestotrotz findet sich einiges in der netten Mitte wieder, die einen kaum noch weiter verfolgen kann. Wirklich mutig wird die LP auch selten, der Opener - des Re-Releases - ist als anfänglich schräg anmutendes, Hip-Hop-beeinflusstes Cover von Metallica-Track The Unforgiven noch der bemerkenswerteste Schritt raus aus dem Erwartbaren. Der gelingt überraschenderweise, Heinzmanns Versuch den Charakter des Textes zu erhalten sei Dank.
Am anderen Ende des Albums fragt man sich dann, warum sie nur einmal einen Song selbst beitragen durfte. XTAL ist einer dieser "Bonustracks", die eigentlich doch immer drauf sind. Und er zeigt als entspannte Ballade und Duett Heinzmanns mit ihrem Bruder eine andere Seite als die des in Chart-Pop-Form gegossenen Rests. Eine gelungene Abwechslung, runtergebrochen auf ruhigste Percussion und dezente Keyboard-Töne, in der lediglich der Schweizerin selbst die Stimme zwischendurch zu weit nach oben abrutscht. Trotzdem eine Abwechslung, die man ihr öfter erlauben könnte.
Ist nicht passiert. Soll sein, denn nicht vergessen: Debüt, 19-Jährige, Casting-Show-Produkt. Sowas muss die Ansprüche etwas hinunterschrauben. Braucht es aber eigentlich nicht, um zumindest festhalten zu können, dass Stefanie Heinzmann singen kann und sich eine weitaus sympathischere musikalische Nische ausgesucht hat als so ziemlich alle ihrer Made-in-TV-Kollegen. Stefan Raabs SSDSDSSWEMUGABRTLAD hat dahingehend mit einer einzigen Staffel mehr zu Buche stehen, als DSDS nach mehr als einem Jahrzehnt vorweisen kann. Doch nicht nur der Vergleich macht sicher, dem Erstauftritt der Schweizerin zuzuhören lohnt sich, wenn schon für sonst nichts, dann für die Erkenntnis, dass da viel Potenzial für folgende Alben da ist.