von Mathias Haden, 28.07.2019
Das zweite Albumprodukt aus der Fabrik ist besser als das erste. Punkt.
Willkommen in der AOR-Hölle. Unter all den schaurigen Begrüßungen, die sich unter der langsam aber stetig auf die überlebensgroße 1000 zuschreitende Zahl an Reviews finden lassen, müsste diese zweifelsfrei die am wenigsten einladende sein. AOR also. A-O-R. Album-Oriented-Rock, Adult-Oriented-Rock. Wie man das Blatt auch wendet, es kommt bei diesem Begriff für Definitionsfetischisten nichts Schönes dabei raus und die Erinnerung an all jene Alben, die vor allem im Zeitraum der zweiten 70er-Hälfte bis zum Ende der 80er unter diesem furchteinflößenden Label releast wurden, machen die Sache nur noch schlimmer. Toto, Foreigner, Journey, Boston, Asia - die Liste der auf Hochglanz polierten Nichtigkeiten dieser Zeit (und spirituellen Vorläufer von Nickelback, Creed und Co.), ganz unverhohlen ein Zielpublikum jenseits der Dreißig ansprechend und damit eigentlich eine verspätete und kommerziell hocherfolgreiche Antithese zum Rock'n'Roll, ist mit diesen fünf ausgewählten Exemplaren schon lang genug. Um eines erweitere ich aber gerne, nämlich um das aus dem Jefferson-Starship-Projekt hervorgegangene Starship. Die stehen nämlich nicht nur für humorlos sterilen Schunkel-AOR, sondern auch für einen nahezu beispiellosen, künstlerischen Niedergang (nachzulesen auch im Review zu Knee Deep In The Hoopla und garantiert auch beim irgendwann womöglich folgenden der dritten und letzten LP). Und weil auf dem zweiten Longplayer auch wieder die Jefferson-Airplane-Harpie Grace Slick mitwurschtelt, ist die ganze Sache noch ein bisschen trauriger.
Ich heiße also noch einmal ganz herzlich in der AOR-Hölle willkommen. Jener sagenumwobene Ort, wo Schwulst und Kitsch ohne jegliche Scham ins Rampenlicht gestellt werden, wo die dümmsten Zeilen mit einem Ernst und einer Selbstverständlichkeit ins Mikro gerotzt werden, dass es aus heutiger Sicht ein riesiges Mysterium ist, warum Hollywood seinerzeit keine hartnäckigen Abwerbungsversuche unternommen hat. Ein Ort, an dem die Menschen in seliger Eintracht schwelgen, ihre Instrumente, ehemals noch die besten Freunde unter der Sonne, allerdings mit üblen Methoden unterjocht werden. So wird auch auf No Protection die Gitarre jeglicher Energie beraubt, die Drums zum leblos dumpfen Takthalter degradiert und die Synthesizer wie so oft in dieser Ära als Funken und Sternchen versprühender Zauberstab verwendet. Das bedeutet auch, dass das Starship-Quartett konsequent den Weg der ersten LP weitermarschiert, nur dankenswerterweise auf Marconi, Mamba und ihre gruselige Vision von der City of Rock 'n' Roll verzichtet - alter Schwede, was waren das doch für humorlose Pfeifen...
Eine richtig bekannte Nummer, die man bei uns auch aus dem Radio kennt, gibt es auf LP#2 aber auch. Nothing's Gonna Stop Us Now ist zwar eine dieser erbarmungslosen Schnulzen, die nur in der zweiten Hälfte der 80er produziert werden konnten und eigentlich auch am Soundtrack von "Dirty Dancing" aus demselben Jahr alles andere als fehl am Platz gewesen wäre, nach dem humorlosen Kasperletheater von We Built This City aber fast Balsam auf der leidgeprüften Seele ist. Denn die simple Melodie und der cheesy, aber verhältnismäßig bodenständige Text sind in Kombination auf eine absolut erträgliche Art und Weise eingängig und dadurch, dass Grace Slick hier genügend Raum bekommt und nicht der Langweiler Mickey Thomas eine One-Man-Show zelebriert, hinterlässt der Megahit durchaus ordentliche Minuten:
"And we can build this dream together
Standing strong forever
Nothing's gonna stop us now
And if this world runs out of lovers
We'll still have each other
Nothing's gonna stop us, nothing's gonna stop us now, whoa no"
Traurig genug, dass man hier von einem oder vielleicht sogar dem Karriere-Höhepunkt sprechen muss, aber daneben brauchbares Material zu finden, gestaltet sich doch äußerst schwierig. Unter den übrigen drei Singles findet sich mit Set The Night To Music nämlich ein ganz übel schwülstiger Schunkelpopsong, statisch bis zum Geht nicht mehr, dazu noch It's Not Over ('Til It's Over), dessen Titel bereits genug sagt, und Opener Beat Patrol, der zwar mit Zeilen wie Heaven "move me, move my soul / Here comes the beat / Here comes the beat patrol" hausieren gehen muss, aber immerhin eine Dynamik an den Tag legt, die dem Rest der LP an allen Ecken fehlt. Ganz in Ordnung ist auch Slicks Babylon, das sich zwischen mediokeren Strophen mit viel Pomp, World-Music-Anleihen und träger Arena-Sensibilität immerhin zu einem gefälligen Refrain aufraffen kann und die ambitionierte, aber relativ wirkungsarme und überlange Reminiszenz an alte Tage, The Children, hat zumindest die richtigen Ansätze.
Die Länge ist generell ein wichtiger Aspekt, wenn es um No Protection geht. Wir wissen ja, wie verlockend es vor allem zwischen der zweiten Hälfte der 80er und der Jahrtausendwende war, Alben vollzupacken, um das neue und ja so überaus praktische Format CD ordentlich auszukosten, aber fünfzig Minuten von diesem spannungsarmen Pop aus der Fabrik sind nicht so leicht bekömmlich. Vor allem, wenn keiner der Tracks unter vier Minuten auskommt und sich spätestens bei der Hälfte in Wiederholungen und seichten La La's flüchtet. Und weil der Großteil der LP ein ziemlich seelenloser Haufen (Girls Like You, Transatlantic, Say When etc.) ist und die Band abgesehen von einer zumindest teilweise verlässlichen Slick genauso uncharismatisch ist wie das Albumprodukt, bleibt außer dem erfreulichen Fazit, dass Starship sich von Start weg gesteigert haben, nicht viel übrig. Das war es für heute aus der AOR-Hölle und nun zurück zu Rainer und Roman ins Studio!