von Mathias Haden, 17.08.2017
Marconi, Mamba und die übelste Seite der 80er in einem Aufguss.
Über Wikipedia wird es immer zwei Meinungen geben. Die der nach flüchtigen Informationen lechzenden Opportunisten und jene der aus einem wissenschaftlichen Gesichtspunkt herangehenden Personen, die ihr Heil in verifizierter Tiefe suchen. Wo man sich in diesem ewig andauernden Interessenskonflikt auch zu positionieren vermag, man wird die praktischen Aspekte des umfangreichsten Lexikons der Welt nicht so einfach von der Hand weisen können. Wie etwa Missverständnisse vermeiden. Denn vor allem auf musikalischen Pfaden konnte und kann man sehr leicht immer wieder in Fettnäpfchen übelster Art treten, wenn man sich nicht durch entsprechende Lektüre informiert bzw. heute einfach mal Wikipedia öffnet, wenn man andere hilfreiche Plattformen nicht kennt.
Dann würde man selbst als glühender Grace-Slick-Verehrer und Jefferson-Airplane-Aficionado, der damals in Woodstock eight miles high auf die Barrikaden stieg, um seine Helden zu feiern, zweimal überlegen, ob man zu einer Platte von Starship greift. Denn eines ist klar. Zwar schmückt mit Slick das absolute Aushängeschild der einstigen Querulanten die Credits und finden sich in besagten ein Haufen jener Leute, die der Übergangsband Jefferson Starship ihren Stempel aufdrücken konnten, doch hat die Musik mit nichts von dem zutun, wofür eine der Vorgängerinstitutionen je gestanden wäre. Statt harten Gitarren und surrealen Polstern dominieren hier, auf der Debüt-LP Knee Deep In The Hoopla von 1985 schwelende Keyboard-Dünen und schunkelnde Synth-Bass-Läufe. Hätte man in weiser Voraussicht Wikipedia konsultiert, man würde Begriffe wie "Arena Rock", "Melodic Rock" oder den Königsbegriff "AOR", sprich "Album oriented Rock" vorfinden - und sich mit seinen Ambitionen hoffentlich im hintersten Winkel seiner Baracke verstecken.
Man wird den Eindruck nämlich nicht los, als würde man mit Starship und deren Debüt den größten Absturz einer einst exzellenten Band beiwohnen, höchstens egalisiert von den Still Cruising- und Summertime In Paradise-Peinlichkeiten der Beach Boys wenige Jahre danach. Bestens veranschaulicht wird das durch eine dieser Singles, die jeder im Kopf haben dürfte, zu der sich aber mit Ausnahme anspruchslos wippender Trucker, die über jede eingängige Melodie dankbar sind, die von der Monotonie endloser Highways abzulenken gedenkt, niemand bekennen dürfte, nämlich We Built This City:
"Marconi plays the mamba, listen to the radio
Don't you remember?
We built this city
We built this city on rock and roll"
Wer auch immer Marconi sein mag und welche Mamba er bedient, gemeinsam mit den schwülstigen Synthesizern und den sterilen Gitarren-Riffs gehört die Nummer zweifelsfrei zu den größten Verbrechen einer von Geschmacksverunsicherungen bekanntlich generell nicht befreiten Dekade.
Damit aber nicht genug, reihen sich daneben stolz einige der schmierigsten Tracks, die die 80er gesehen haben. Ganz vorne dabei das vom neben Slick zweiten primären Sänger Mickey Thomas und Gitarrist Craig Chaquico verfasste Private Room, die Ode an eine scheint's unvergessliche Stripperin. Was dem Fass neben banalsten Lines und den unerträglichen, elektronischen Drums ohne jegliche Wucht hier den Boden ausschlägt, ist die unfassbare Tatsache, dass hier tatsächlich Leute am Werk sein dürften, die ernsthaft glauben, ordentlich abzurocken. Eine kolossale Fehleinschätzung, die auch in Rock Myself To Sleep mit einer endgültig zur biederen Rock-Röhre verkommenen Slick oder im überdramatischen Pathos-Furz Tomorrow Doesn't Matter Tonight eine tragende Rolle einnimmt. Über die Produktion mit seinem schalen Drum-Sound, den halbstarken Gitarren und dem für den Begriff cheesy Pate stehenden Keyboard-Genudel ärgert man sich zu diesem Zeitpunkt schon kaum mehr, wenn man dieses Quintett in ihren knallbunten Outfits und wallenden Mähnen vor dem imaginären Auge dahinschunkeln sieht, die Zukunft des Rock zu sichern. Ohne jegliche Energie und Dynamik, versteht sich. Ein ganz neues, cleveres Konzept.
Daneben lauern die üblichen 80er-Schmonzetten, bei denen in den Arenen freilich kein Auge trocken bleibt. Mit im Gepäck der bizarre Closer Love Rust, der zwischen hoffnungsloser Ballade und unheilvollem Synth-Gepolter herumschwirrt und nichts als die ultimative Wahrheit mit uns teilt: "Love rusts when it rains on romance..." Nicht ganz so altklug präsentiert sich Before I Go, dessen vermeintliche Weisheiten ohnehin in süßlichen Keyboard-Wogen untergehen. Gut immerhin, dass sich in diesem Eck der einzig starke Track der LP befindet. Sara atmet zwar in seinem synthetischen Arrangement dieselbe 80s-Kitsch-Luft wie alle anderen Stücke auf Knee Deep In The Hoopla, mit seinen wehmütigen Lyrics und dem eindringlichen Refrain kommen hier aber entgegen aller Konventionen Gefühle beim Hörer auf, die immerhin dafür sorgen, den Track einen dieser guilty pleasures nennen zu können, die man ohne Bedenken verteidigen darf. Ich erlaube es hiermit.
Weil sonst aber nur mehr die übermäßig pathetische We Are The World-Gedenknummer Hearts Of The World (Will Understand) übrig bleibt, der man dank ihrer eingängigen Hook noch einigermaßen gern die Pforten ins Langzeitgedächtnis eröffnen mag, ist das Debakel der Debüt-LP der letzten Airplane-Inkarnation und damit deren phänomenaler Absturz endgültig perfekt. Auf Knee Deep In The Hoopla stimmt nämlich fast nichts. Die Songs nerven, die Produktion nervt und die Musiker nerven. Bleibt unter dem Strich ein nerviges Album, das - sofern es damals noch nicht unfassbar beschissen geklungen haben mag - furchtbar schlecht gealtert sein dürfte. Fieser Schmonz eben. Von Leuten, die es eigentlich besser wissen sollten. So wie wir, die heute immerhin Wikipedia konsultieren oder auf diese präventive Rezension zurückgreifen können, um sich vor solcherlei Machwerken zu schützen.