von Kristoffer Leitgeb, 02.08.2019
Ein chaotisches Allerlei, das die Genialität des Films bis zur Unkenntlichkeit verwässert.
Wer in der kleinen Heimat nach filmischen Klassikern sucht, findet naturgemäß anderes als in der großen weiten Welt. Kein Kubrick, kein Coppola, kein Spielberg, dagegen tauchen im 20. Jahrhundert schon eher Namen wie Niki List, Paul Harather oder Harald Sicheritz auf. Nun wäre es grundfalsch, den österreichischen Film auf seine komödiantische Facette zu beschränken, doch ist der mit schwarzem Humor angefüllte Kabarettfilm ein cineastisches Alleinstellungsmerkmal dieses Landes und war außerdem in den 80ern und 90ern, während andere die Special Effects revolutionierten und die Dominanz des Actionsektors akut war, das wohl erfolgversprechendste Genre, wollte man hierzulande die Leute ins Kino bringen. Nicht nur mittendrin, sondern an vorderster Front dabei ein Werk, das viel über die spartanische Machart dieser Filme aussagt, gleichzeitig aber deren Genialität illustriert wie sonst wohl kein zweiter: "Muttertag". Ein umgewandeltes Kabarettprogramm, zum überwiegenden Teil von einem legendären Quintett in Mehrfachbesetzung gespielt und dabei fast ohne Budget ausgekommen. Das Ergebnis ist nach einem Vierteljahrhundert eigentlich eine Zitatsammlung, weil jeder Fetzen Text des Films - von "I sog's glei, I woas ned!" bis zu "Wüüst bei unserer Bande dabei sein?" - ikonischen Charakter besitzt und die Dekaden überdauert hat. Umso mehr gebührt diesem Meisterwerk nach einem Vierteljahrhundert ein Ständchen und ehrfürchtiger Knicks. Wem das zu unterwürfig ist, der kann sich gerne am Soundtrack abreagieren.
Man ist nämlich unter den Verantwortlichen auf die Idee gekommen, den ursprünglich ja kaum gefragten Soundtrack zum Jubiläum erneut und in erweiterter Version zu veröffentlichen. Eine großartige Sache für alle, die allein das Cover bereits genial finden und sich mit der Musik im Film anfreunden können. Das ist keine Selbstverständlichkeit, weil man auch auf musikalischer Ebene nicht unbedingt auf die saubersten und reibungsfreisten Töne gesetzt hat. Aber der Charme so mancher Komposition lässt sich kaum leugnen. Der eröffnende Titelsong reißt in überzeugender Manier an und bietet einem lockeren Pop-Rock, dem nicht nur der dezente Retro-Charme, sondern auch die markante, von punkiger Vergangenheit gestählte Stimme von Barbara Spitz äußerst gut tut. Und weil die Gitarristen, allen voran Peter Herrmann, ihren Instrumenten nur Gutes entlocken, gibt es da eigentlich nichts auszusetzen. Wie man überhaupt sagen muss, dass die Auftritte der im Film als Stadtindianer titulierten, abseits davon aber eigentlich als Wiener Wunder bekannten Band durchwegs keine schlechten sind. Denn die hatten zwar in den 80ern mit eher schwierigem Synthie-Deutsch-Pop ihre Erfolge, besinnen sich hier allerdings eben auch mit ihrer eigens für den Film zugelegten gesanglichen Verstärkung in Spitz auf ihre rockigere Seite. Entsprechend gelingt das lockere Mamas Und Papas, es gelingt die großartig aggressive, fast schon in Manier einer Nina Hagen zum Besten gegebene Version von Heintje-Hit Mama, es gelingt vor allem auch der späte Synth-Rock In Dieser Nacht Oder Nie.
Ehrlich gesagt, wäre man hier an einem Punkt, wo man einfach gerne eine ganze LP von Wiener Wunder + Barbara Spitz vorgesetzt bekommen hätte. Tatsache ist nämlich, so gut das Werkl bei der Band läuft, kommt sie trotz auf dem Cover prangenden Namen sonst viel zu selten in dieser gewinnenden Form vor. Ein paar Mal hört man sie noch in gelungener Manier musizieren, so im bluesigen Gitarrensolo Peters Park Blues und im vom tonlosen Haymon Maria Buttinger besungenen Beton Für Alle, das schwierig, aber immerhin sympathisch unmelodisch ist.
An anderer Stelle sieht man sich allerdings mit ganz anderem konfrontiert. Das liegt hauptsächlich daran, dass man die Tracklist nicht nur mit Ausschnitten aus dem Film, sondern primär mit großteils entbehrlichen Songs der am Film beteiligten Personen anfüllt. Und das ist ein grobes Problem, das spätestens in der zweiten Albumhälfte überhandnimmt. Kann man nämlich bei der im Film gebotenen Musik geteilter Meinung sein, lässt der traurige Rest kaum gespaltene Urteile zu. Denn das ist, sieht man vom oben erwähnten Beton Für Alle, hauptsächlich grausiger Synth-Pop und Schlager, der sich einzig und allein darin unterscheidet, wie gut jeweils gesungen wird. Die sehr ordentliche stimmliche Performance rettet da beispielsweise Süßes Gift einigermaßen. Tini Kainrath und ihre Rounder Girls, 2000 für Österreich beim Song Contest, bringen ihren R&B-Background einigermaßen gewinnend zur Geltung, auch wenn der Song und sein grausamer Text hemmungslos veraltet klingen. Das selbst als Parodie anstrengende Wahre Liebe bleibt dagegen nur in den späten 80ern Österreichs hängen, kann sonst gar nichts. Morgen Ist Noch Weit schafft es, übrigens in der Originalbesetzung von Wiener Wunder mit Sängerin Irene Djukanovic eingespielt, noch weniger hinzubekommen und verendet als hölzern und synthetisch ausstaffierter Kitschbrocken noch vor dem ersten, grausigen Refrain. Und natürlich ist da noch der, tatsächlich aus dem Film stammende, Auftritt von Mandy, seines Zeichens Mitglied des Schlagerungeheuers Die Bambis. Nun kann es gern sein, dass Sicheritz und seine für die Musik hauptverantwortlichen Kollegen Lothar Scherpe und Peter Janda einen traditionell schnulzigen Schlager wollten, das macht aber Hand In Hand Am Palmenstrand nicht weniger unmöglich. Tatsächlich ist es besser arrangiert als etwas wie Morgen Ist Noch Weit, aber trotzdem, warum...
Man kommt sich also dezent verarscht vor und die Chancen stehen gut, dass genau das auch das Ziel der ganzen Sache gewesen ist. Blöd nur, dass das nicht sonderlich gut kommt, wenn man jetzt ein ganzes Album vorgesetzt bekommt. Insofern stellt der Soundtrack zu "Muttertag" eine konzeptionelle Fehlleistung dar, weil er etwas auf eine LP bannt, das bestenfalls als satirisches Mittel zum Zweck im Film eingebaut werden sollte. Und nicht nur das, man haut noch ein paar nicht einmal dem Film entstammende Nullnummern dazu. Rettend einschreiten können da nur zwei Leute. Der eine heißt Roland Neuwirth und ist mit Recht im Verbund mit seinen Extremschrammeln mittlerweile eine lebende Legende heimischer Musik. Als solche behauptet er sich mit dem großartig gesungenen Ollas Net Woa in einer Unpluggedversion den klanglichen Verbrechen umliegender Songs. Dass man direkt zu Anfang den gleichen Song auch in einer aus der Zeit gefallenen Synth-Blues-Version hört, sei darüber fast vergessen. Den größtmöglichen Kontrast dazu bietet Ideale Frau, das eine merkwürdige Verbindung aus Synth-Pop, dezenten Latin-Anleihen und der mäßigen Stimme von Christian Schmidt bietet. Dass das Ganze den Charakter einer Parodie annimmt, kann man sich da wohl denken, zur Abwechslung ist es aber eine gelungene, die man sich anhören kann.
Der Rest sind Audioschnipsel aus dem Film, die mal lohnender - eindeutig Kumbaya Kumba Ya und Der Apfelbaum -, mal weniger lohnend - Orgasmus... - sind und ultimativ wenig zum Album beitragen, weil sie in ihrer Bruchstückhaftigkeit nie die unnachahmlich grenzwertige Absurdität des Films wiedergeben. Insofern sind es nette Erinnerungen, allerdings oft genug Dinge, die man ohnehin nie vergessen könnte.
Wo bringt uns das nun zum Ende hin? An einen Punkt, an dem man "Muttertag" als Album weitaus weniger glorreich empfindet als den dazugehörigen Film. Das ist zuallererst einmal wenig überraschend, allerdings ist die Art und Weise, wie dieser Soundtrack misslingt, ziemlich ärgerlich. Hauptsächlich liegt das daran, dass sich hier genug findet, was nicht schlecht ist und sich einen Ehrenplatz verdient hätte, selbst wenn sich in puncto musikalischer Qualität die Geister scheiden werden. Das macht aber nichts, weil manch ein Song trotzdem Klassikerpotenzial hat. Was sich rundherum ansammelt, kostet allerdings so viele Nerven, dass man schwer glücklich werden kann mit diesem richtungslosen Sammelsurium, das bravourös Genialität und Grauen verbindet. Vielleicht ist das eine Leistung, die auch gewürdigt gehört, mir ist nur absolut nicht danach.
P.S.: Das ist die perfekte Gelegenheit, um in einem Kommentar das Fachwissen betreffend einschlägiger "Muttertag"-Zitate zur Schau zu stellen. Also hopp auf, sunst hob I eich!