von Kristoffer Leitgeb, 06.08.2020
Eine unheilig durchschnittliche Mixtur aus Disney-Musicals, Hans Zimmer und Kommerz-R&B.
Der gute alte Zeichentrick- und in der filmischen Moderne nunmehr der Animationsfilm hat ein etwas schwieriges Standing in puncto allgemeiner Reputation. Kinderfilme, nicht? Zugegebenermaßen, in Zeiten, in denen Hayao Miyazakis von allen Seiten gefeierte, meisterlich gezimmerte und gedankenreiche Anime-Meisterwerke schon Klassiker sein dürfen und in denen so etwas wie "The Breadwinner" breiteste Anerkennung findet, hat sich das wohl doch einigermaßen gewandelt. Aber der Tenor bleibt, dass insbesondere die Animationsarbeit der westlichen Welt dann doch primär etwas für die Jüngeren und Jüngsten ist. Warum nur, möchte man sich fragen, wenn man so etwas wie "Minions" kennt...
Mehr und mehr Filme widerstehen dieser Einordnung zwar, vor allem der Blick zurück auf die kommerziell erfolgreichen Disney- und so manch andere Klassiker verdankt seine anhaltenden Qualitäten aber eher einer gehörigen Portion Nostalgie und weniger seiner generationenumspannenden Anziehungskraft. Unter den Ausnahmen von dieser Regel findet sich auch so etwas wie "The Prince Of Egypt", das nie so ganz für Kinder gemacht gewesen schien und dessen Ansehen mit den Jahren sogar im Steigen ist, ungewöhnlich ernstem Ton, erwachsener Thematik, exzellenter Synchronstimmen und elaboriertem Look sei Dank. Dass der Soundtrack sonderlich viel zum guten Ruf des Films beigetragen hat, darf dagegen gerne bezweifelt werden.
Hinsichtlich des kommerziellen Erfolgs des Films zur damaligen Zeit ist das wiederum eine andere Geschichte. Es gibt da nämlich so einen Song, der wohl die zwei größten Namen des R&B zusammengeführt hat, die man damals bekommen konnte. Mariah Carey und Whitney Houston singen wunderbar geschmeidig mit unfassbarem Kitsch- und Schmachtfaktor einen Song ins Chart-Nirvana, der schon in seiner Filmfassung nicht gar viele Argumente dafür findet, warum er tatsächlich einen Oscar gewonnen hat. Man weiß es bei When You Believe einfach nicht. Am banalen lyrischen Spiritualitätserguss kann es genauso wenig liegen wie an der recht schmalzigen Streicherwucht oder der generell schablonenhaften Orchestrierung. Gut, das ist immer noch weit willkommener als die glitzernde Hyper-90er-Ausstattung der souligen R&B-Version, aber es schwingt sich erst dann von einem traditionellen, passablen Zeichentrick-Musical-Song zu einem großartigen Beitrag auf, wenn im letzten Songdrittel kurz von Kinderstimmen Hebräisch gesungen und in einen zuerst verspielten, bald wirkmächtig orchestrierten Choral übergeleitet wird. Dann erkennt man, wo der Oscar herkommen könnte, auch wenn sich das trotzdem nicht ausgehen sollte.
In vielerlei Hinsicht ist das ein passendes Credo für den Soundtrack in seiner Gesamtheit. Die biblische Geschichte von Moses, die im Film visuell so ansprechend bearbeitet wurde, äußert sich auf dem Soundtrack zwar klarerweise im inflationären Gebrauch des Wortes Gott und einem Haufen Glaubenssätzen, findet darin aber wenig inspirierte Momente. Musikalisch geht wohl etwas mehr, aber dann unter der Schirmherrschaft von Hans Zimmer auch nicht allzu viel. All I Ever Wanted ist beispielsweise der archetypische, langweilige "I Want"-Song, wie ihn jeder Disney-Film spätestens seit der Renaissance-Ära des Studios kennt. Dass das auch zu Dreamworks hinübergeschwappt ist, überrascht da jetzt weniger. Spannend ist das voluminös orchestrierte und nur zu Anfang dezent orientalisch instrumentierte Spektakel aber eben nicht, auch weil mit Amick Byram ausgerechnet einer als Sänger glänzen soll, der schon bei Disney ein Abo auf Gesangsparts hatte. Rettung ist da die großartige Ofra Haza, die als Moses' Mutter den Song stark abschließt und deren Stimme trotz wenig Raum im Film der klangliche Höhepunkt des Albums ist.
Unüberhörbar deutlich wird das beim in jeder Hinsicht ausgezeichneten Deliver Us, das als einziger rundum großartiger musikalischer Moment früh die Erwartungen nach oben schraubt. Siebenminütige Epik erwartet einen, allerdings mit mehr als einer stilistischen Wendung. Dem einsamen Trompetenklang des Intros folgen wuchtige Trommeln und aggressive Streicher, darüber die abgehackten Kommandos des Chors ägyptischer Wachen. Der fließende Übergang zum flehenden Sklavenchor bringt das erste, gewaltige Crescendo, mündet aber dann doch in Hazas beeindruckendem Stimmeinsatz und einer Soloserenade, die nur sanft von Flöten, Harfen und Chor begleitet wird. Und gerade, wenn man sich daran gewöhnt hat, wartet ein dramatischer Instrumentalpart, der die Flöten zuerst durch orientalische Bläser auswechselt, bald mit Trommeln, Streichern und Blechbläsern schwere Geschütze auffährt und das großartige Finale einleitet. Das allein, diese 7 Minuten von über 70, entschädigen dann eigentlich doch für ziemlich viel.
Aber eben bei weitem nicht für alles. "The Prince Of Egypt" kennt zweierlei Arten von Tracks, die es eigentlich nicht braucht. Da wäre einerseits der kompositorische Durchschnitt, der von Zimmer und den seinen entweder in instrumentaler oder dann doch mit Gesang versehener Form geboten wird. Niemand braucht beispielsweise so etwas wie Playing With The Big Boys so wirklich, allein weil die anfangs gespenstische Instrumentierung umgewandelt wird in eine Art halbwitzigen Comedic Relief, der von Steve Martin und Martin Short gesungen werden darf, aber weder irgendwelchen Witz, noch Spannung, noch Melodie, noch sonst wirklich etwas mitbringt. Die Instrumentierung ist solide, in puncto Dramatik kann man dem auch wenig vorwerfen, aber der Spagat zwischen düsterem Anschein und doch relativ leichtgewichtiger Natur des Songs gelingt nicht überzeugend. Ähnlich mäßig präsentiert sich das unspektakulär dahintrottende, plakativ orientalisch instrumentierte Following Tzipporah, aber auch die im Ansatz epischen Suiten Goodbye Brother oder Red Sea. Letzteres startet mit den immer wieder im Soundtrack zu hörenden Themen des Chors und der hoffnungsvoll flehenden Streicher, findet aber weder im plötzlichen hymnischen Aufwallen, noch im himmlisch-ruhigen Chor, noch in der hektisch-militärischen Orchestrierung zum Ende etwas, das nachhallen könnte. Goodbye Brother überzeugt ebenfalls zu Anfang mit einem Paarlauf aus Bläsern und Streichern, über dem der Chor die Melodie von Deliver Us einbaut, verliert aber mit einem ersten, brutal anklingenden Klimax und den darauffolgenden, mäßig verbundenen Stilbrüchen zunehmend an Wirkung. Auf der anderen Seite stehen Zugeständnisse an die später bei Dreamworks umso berüchtigter werdende Nähe zum Kommerz-Pop, die sich im banalen Gospel-R&B von Humanity mitsamt der namhaften Synchronstimmen oder dem unnötigen Abschluss durch Boyz II Men, I Will Get There, äußert. Humanity sollte einem als ultimativ kitschige Annäherung an We Are The World wohl ein besonderer Dorn im Auge sein, klingt aber tatsächlich etwas angenehmer und immerhin eingängiger. Umso dramatischer ist die von K-Ci & JoJo gesungene Version von Through Heaven's Eyes, deren nicht zu steigender, glitzernd-glatter R&B-Schmalz albtraumhafte Züge annimmt.
Das ist um ein Vielfaches unverständlicher, wenn man weiß, dass ebendieser Song ja eigentlich auch im Film vorkommt und dort einen der wenigen musikalischen Lichtblicke bedeutet. Dort wird nicht im Schlafwagentempo grausam gejault und gewinselt. Stattdessen singt Musical-Star Brandon Stokes Mitchell im sonoren Bariton locker und doch gefühl- und kraftvoll, verträgt sich genauso wie die starke, auf Percussion, Oboen und Flöten fokussierte Instrumentierung, gut mit den an Hava Nagila erinnernden Up-Tempo-Passagen des Songs. Wem das zu leichtgewichtig ist, der hat neben der streitbaren, aber immerhin partiell großartigen Filmversion von When You Believe noch zwei lohnende Zufluchtsmöglichkeiten. The Plagues besticht als dramatisch geformtes Hin und Her zwischen dem autoritär harten Klang des Chors, dem anfangs nur harte Klavierakkorde und ein dramatisches Streichercrescendo zur Seite gestellt werden, und den Gesangsparts von Moses und Ramses. Amick Bryam bettet sich hier mit kurzen Parts stärker ein, the one and only Ralph Fiennes beweist als Ramses zwar kein großes gesangliches Geschick, aber immerhin eine Charakterstärke in der Interpretation, die man sonst abseits von Ofra Haza verdammt vermisst. Dass Hans Zimmer hier auch doch weit mehr zu leisten imstande ist, als nur Deliver Us zu schreiben, beweist er mit The Reprimand, das ohne Gesang auskommt und traditionell klassische Epik durch die Streicher in überzeugender Manier mit orientalischen Rhythmen und Instrumenten kombiniert. So werden die vier Minuten effektvoll und reibungslos mit unterschiedlichsten atmosphärischen und stilistischen Eindrücken überbrückt.
Wenn das nur öfter so wäre. Das spielt es bei "The Prince Of Egypt" aber einfach nicht. Man bekommt gleich zu Beginn einen der besten Songs vorgesetzt, die man in Zeichentrick- oder Animationsfilmen, ja, vielleicht sogar überhaupt in Musicalfilmen, jemals zu hören bekommt. Und dann war es das im Großen und Ganzen, sieht man davon ab, dass sich vereinzelte Momente aus dem Gros an durchschnittlichen Klängen herausheben. Manche Songs, die auch im Film zu hören sind, kommen hier tatsächlich etwas besser weg, weil sie am Soundtrack keine Gelegenheit haben, die Atmosphäre und Wirkung des Films zu stören. Das macht aber das Kraut kaum Fett, weil dem komplett unbrauchbare Beiträge von R&B-Künstlern, zusammenhanglose und großteils spannungsarme Instrumentalparts und ein Mangel an erinnerungswürdigen Gesangsparts gegenüber stehen. Insofern ist dieser Soundtrack definitiv eine Enttäuschung, weil zwar mir persönlich auch die teils überschwängliche Wertschätzung dem Film gegenüber immer unverständlich war, darin aber doch gewaltige visuelle Qualität, gut temperierte Dramatik und großartige Stimmperformances stecken. Die Musik verblasst im Vergleich dazu merklich und wird noch dazu "aufgebessert" durch Dinge, die einfach niemand so jemals mit diesem Film in Verbindung bringen würde und sollte. Da kann man es dann auch gleich bleiben lassen und gar kein Soundtrackalbum veröffentlichen.