von Kristoffer Leitgeb, 27.07.2017
Ein berührendes Staraufgebot der Extraklasse und was die 90er sonst noch so hatten.
Diese VA-Soundtracks sind immer ein Problem. Von einer einenden Qualität der Songs kann dabei fast nie die Rede sein und man bekommt fast immer zeitgeistigen Schmarrn zum Lückenfüllen und um einen auch ja an das Entstehungsjahr des Films zu erinnern. Nur manchmal, meistens nicht in den Blockbuster-Regionen, gelingt auch da ein großer Wurf und ein musikalisches Meisterwerk darf entstehen, wenn sich ein halbes Dutzend Interpreten oder mehr auf einer LP versammeln. Gleich vorweg, "Philadelphia" gehört da eigentlich nicht dazu. Und irgendwie könnte einem der Gedanke einschießen, dass der Film einfach auf allen anderen Ebenen zu großartig ist, um dann noch mit einem formvollendenten Soundtrack daherzukommen. Dem stellt sich allerdings der Review zu "There Will Be Blood" entgegen. Aber auch dort: Nur einer am Werk. Hier dagegen auf zehn Tracks ebensoviele unterschiedliche Musikanten, ein veritables Schaulaufen großer Namen und die Erkenntnis, dass ebendie doch oft halten, was sie versprechen.
Beinahe gilt nämlich wirklich, dass je bekannter der Interpret, desto besser die zur Verfügung gestellte Komposition. Zwei Kapazunder durften sich vollkommen zu Recht für den Oscar nominieren lassen, ob ihn am Ende der Boss verdient gewonnen hat, ist ein bisschen strittig. Bruce Springsteen hat mit Streets Of Philadelphia aber auch ein Gardemaß gesetzt für alles, was Soft Rock genannt wird. Vielleicht überhaupt die besten Minuten, die dieses Genre zu bieten hat, gefüllt mit Melancholie so unmanipuliert und dieser an "Nebraska" erinnernden Kargheit, dass ungerührtes Hören eher ein schwieriges Unterfangen wird. Die charakteristische Kombination aus den monotonen Drums und den sphärischen, mitunter sakrale Züge annehmenden Keyboards tut das Ihrige, um den Song verdientermaßen in die Hall of Fame der Filmthemes zu befördern. Die albuminterne Konkurrenz bei den Oscars hieß allerdings Philadelphia und kam von Neil Young. Jetzt treffen da Giganten aufeinander und die Entscheidung fällt umso schwerer, da sich Young ähnliche Keyboard-Klänge zulegt, gleichzeitig aber das Klavier im ansonsten kaum gefüllten Raum nachhallen lässt, dazu die sanfteste seiner Gesangsdarbietungen auspackt. Der lachende Dritte heißt allerdings Peter Gabriel! Dessen Lovetown führt ihn bei seiner schon abgeschlossen geglaubten Reise durch die Klänge dieser Welt in Richtung Jazz. Dort spart er sich übermäßige Emotionalität oder Intimität, gibt stattdessen im Mid-Tempo-Rock eine ernüchterte Analyse der Stadt der Liebe zum Besten.
Das bedeutet dann aber auch ein relatives Ende der Herrlichkeit. Die großen Namen werden zwar nicht weniger, die Riege der Mannen aus dem Rock-Olymp ist aber zumindest abgeschlossen. Rundherum sammeln sich mit Maria Callas, Howard Shore oder Sade höchst unterschiedliche Geister und Genres, die sich allesamt in unterschiedlichem Maße entfalten und ins Gefüge einzuordnen wissen. Dass eine Operndiva leicht deplatziert wirken könnte, scheint logisch. So ist La Mamma Morta auch eine vergleichsweise unzugängliche Darbietung, die aber nicht nur wegen der Erinnerung an eine Glanzleistung des gefühlsbetonten Minimalismus im Film überzeugt, sondern auch dank der überbordenden Dramatik. Die steht im starken Kontrast zu den besten Minuten der LP, ummantelt einen aber allein schon durch die Stimmgewalt von Callas, sodass man dem Spektakel nicht entkommt.
Gerade die emotionaleren Momente versanden rundherum allerdings in einer Suppe balladesken Durchschnitts. Die Indigo Girls bieten mit I Don't Wanna Talk About It trotz der starken Instrumentierung und der markanten Mehrstimmigkeit genau eine solche maue Melange, Sade und Soul-Sängerin Pauletta Washington schließen sich freudig an. Da ist die Harmonie beim Teufel, wobei sie ohnehin gehörig torpediert wird von den wüst eingestreuten Minuten, die Ibo Lele darstellt. Warum RAM von Haiti aus auf den Soundtrack gekommen sind, ist schwer zu ergründen, die lebhafte Percussion und der World-Music-Charakter des Songs macht auch jede Suche nach einer Schnittmenge mit den übrigen Stücken überflüssig. Ganz prinzipiell tut das der Qualität keinen Abbruch, aber die Daseinsberechtigung genau, die findet man nicht so ganz, außer man lechzt vielleicht berechtigterweise danach, nach Washingtons mäßigem Auftritt wachgerüttelt zu werden.
Man muss sich also damit begnügen, dass die Mitte der 90er ganz schnell in Vergessenheit geratenen Spin Doctors mit ihrer Version des Klassikers Have You Ever Seen The Rain? zumindest noch den Glanz eines großen Namens mitbringen, allein schon wegen der offensichtlichen klanglichen Nähe ihrer Version zum großen CCR-Original.
Mit Sicherheit lässt sich also sagen, dass kein sicheres Urteil über "Philadelphia", den Soundtrack, zu fällen ist. Darin unterscheidet sich das Album drastisch vom Film. Andererseits sollte das gepriesene Trio der legendären Namen schon dafür reichen, diesem Zehnerpack nicht feindselig gegenüberzustehen. Dass an anderer Stelle mehr möglich gewesen wäre, auf alle Fälle Songs auftauchen, nach denen garantiert niemand geschrien hat, diese Tatsache wird man nicht ganz leugnen können. Und trotzdem ist es ein Ausrufezeichen des Soft Rock für einen Film, der eigentlich gar keinen Soundtrack gebraucht hätte. Diese Leistung muss ja dann doch auch einiges wert sein. Wenn auch vielleicht mit einem zugedrückten Auge, um den immerwährenden Various-Artists-Malus auszugleichen.