von Kristoffer Leitgeb, 07.09.2019
Elegante Klassik alten Schlags voll stoischer Dramatik und entrückter Emotionalität.
Das traditionelle Period Drama hat es musikalisch etwas schwierig. Etwas merkwürdig mutet das insofern an, als dass die historische Verwurzelung einem ja eigentlich die passende Musik schon auf dem Silbertablett serviert. Da ist es dann auch egal, ob man sich im 17. Jahrhundert oder in den Roaring 20s wiederfindet, das Material ist schon da. Na gut, will man in die Antike zurück, wird es schwierig damit, Musik der damaligen Zeit aufzutreiben, aber sonst ist man fein raus. Nur steckt darin die Gefahr, dass das filmmusikalisch Gebotene klischeehaft, kitschig und überzeichnet wirkt, insbesondere wenn eben nicht auf das Originalmaterial zurückgegriffen, sondern eigens für den jeweiligen Film komponiert wird. Das heißt nicht, dass man nicht auch dabei allen Fallen entgehen und etwas wie "Kundun" oder "There Will Be Blood" schaffen könnte, aber es kann auch ganz anders enden. Deswegen sollte man sich womöglich darauf konzentrieren, in der jeweiligen musikalischen Ära nach den passenden Kompositionen suchen. Und man sollte wohl am besten auch noch jemanden wie Stanley Kubrick an Bord haben, dessen Perfektionismus auch hier all seine Vorzüge zeigt.
Im Falle von "Barry Lyndon" hat man es ja mit einem Historiendrama zu tun, dessen bildgewaltige Größe mit einer anfangs befremdlichen, dann aber doch unfassbar wirksamen emotionalen Entrücktheit kombiniert wird. Selten soll man so sehr Zuschauer sein wie hier, was in Kombination mit Kubricks generell unterkühltem Stil dann doch nicht verhindert, dass einen die Geschehnisse des Films mitnehmen. Diese eigenwillige, schwer einzufangende Mischung verlangt nach passender klassischer Musik, ohne die hier aber ohnehin wenig bis gar nichts ginge. Kubricks Wahl fällt, wohl dem Settings des Films geschuldet, zum größten Teil auf Kompositionen des 18. Jahrhunderts, die fast durchwegs einer dramatischen Schwere unterliegen oder zumindest in den hier gebotenen Fassungen genau das verkörpern. Veranschaulichen könnte man das nicht besser als mit dem Signaturstück des Soundtracks, nämlich Georg Friedrich Händels Sarabande seiner vierten Suite in d-Moll. Die wird hier gleich zu Beginn von einem Cembalo-Solo umgewandelt in ein schwergewichtig orchestriertes Gesamtkunstwerk umgewandelt, deren behäbige Streichereinsätze das Cembalo dominieren. Spätestens ab dem Moment, wo man nicht mehr der ganzen Wucht der Streicher ausgesetzt ist, sondern stattdessen ein zurückhaltender gestrichener Paarlauf zweier Celli einsetzt, wird die eindringliche emotionale Wirkung des Stücks klar. Noch deutlicher zu spüren übrigens im großen Finale und damit einer verlängerten Version der Sarabande, in der der Nachdruck der Streicher noch stärker kontrastiert wird durch ein Cello-Solo im Mittelteil.
Dieses Stück ist tonangebend für den gesamten Film und auch die Atmosphäre des Soundtracks, ohne dass man eine ständige musikalische Nähe zu Händels Komposition feststellen könnte. Im Gegenteil schweift man umgehend musikalisch ab, zuerst dank der traditionell irischen Musik der Chieftains, die sich Neuaufnahmen von Piper's Maggot oder Women Of Ireland annehmen. Die geraten weniger imposant, überzeugen aber nichtsdestoweniger, insbesondere der, verglichen mit dem Beginn, drastische Kontrast von Piper's Maggot. Da wird fröhlich drauf los getrommelt, gefiedelt und geflötet, was das Zeug hält. Das ist auch für die Chieftains ein Ausreißer, ansonsten beschränkt man sich nämlich auf fragilere Töne, die insbesondere im mit Streichern verstärkten Women Of Ireland atmosphärisch eindrucksvoll geraten. Und dann ist man plötzlich in der Welt des Militärs und kann sich an The British Grenadiers oder am Hohenfriedberger Marsch erfreuen, was bei beidem leicht möglich ist, bei ersterem und dessen wunderbaren Drums- und Flötenklängen aber dann doch eine Spur einfacher ist als beim überschwänglichen Pomp des großen Friedrich.
Musikalische Vielfalt ist also nichts, was man hier missen müsste. Das ergäbe sich aber selbst dann, hätte sich Kubrick unsinnigerweise komplett auf klassische Komponisten beschränkt. Denn selbst hier bietet er mit dem eleganten Marsch aus Mozarts Idomeneo, Schuberts Deutschem Tanz Nr. 1 in C-Dur oder aber Johann Sebastian Bachs Konzert für zwei Cembali eine durchaus vielfältige Auswahl. Nichts davon enttäuscht - wobei Bachs zwei Cembali ein bisschen gar viel der Cembalo-Kunst sind - und nichts davon entkommt, trotz teilweise deutlich anderer Stoßrichtungen, dem Credo der emotional distanzierten Dramatik, zu der der Film verpflichtet. Dass sich das hier so deutlich zeigt, mag nur ein Zeugnis der Stärke des Films sein und nahelegen, dass sich dessen eindringliche Atmosphäre auf den Soundtrack überträgt, so oder so ist es allerdings ein markanter Gewinn.
Vielleicht ist diese gedrückte Stimmung, diese schwelende Schwere aber auch nur ein Produkt der doch weitaus dramatischeren zweiten Hälfte, in der immer wieder diesem Eindruck entgegengearbeitet wird. Die Sarabande findet beispielsweise noch in anderer, tatsächlich sogar noch düsterer Form Verwendung, nämlich als spärlich instrumentierte, hauptsächlich auf tiefes Trommeln und Streicher-Stakkatos reduzierte Untermalung für das entscheidende Duell zum Ende des Films. Das klingt dann ähnlich großartig wie in der zentralen Form des Stücks, wie man sie zu Beginn zu hören bekommt. Genauso ist aber auch Vivaldis Cello Concerto in e-Moll mit dieser ergreifenden Traurigkeit gesegnet und sorgt mit dem kühleren, royale Eleganz versprühenden Klaviertrio in Es-Dur von Schubert für ein großartiges Finale und eine entsprechend wirkungsvolle Überleitung zum finalen Auftritt der Sarabande.
Was all das gemeinsam hat, ist Kubricks beeindruckendes Gefühl für die treffsichere Auswahl der Musik, die natürlich situationsbedingt nicht nur in der schwergewichtigen Klassik beheimatet ist, aber trotz teils riesiger musikalischer Unterschiede von Anfang bis Ende eine durchdringende Atmosphäre hervorbringt. Darin findet die Dramatik der großen Bilder, die "Barry Lyndon" zu bieten hat, genauso eine musikalische Fortsetzung, wie die unnahbare, fast versteckte emotionale Seite des Films mitunter umso deutlicher zum Vorschein kommt. Und nicht nur das, mit dem British National Philharmonic Orchestra gelingt es gleichzeitig, die Eleganz und Schönheit dieser Kompositionen in ihrer Gänze zu erhalten oder, wie im Falle der Sarabande, sogar noch auf ein ganz neues Niveau zu heben. Insofern ist dieser Soundtrack eigentlich alles, was man sich nur wünschen kann, auch wenn er insbesondere in der Phase, in denen die Chieftains irische Romantik versprühen wollen, weit weg von durchgehender Brillanz ist. Natürlich muss man dem Ganzen stilistisch abgewinnen können, denn auch die gemeinsamen Grundmengen derer, die dramatische Klassik, Militärmusik und romantische irische Folklore schätzen, wird nicht einen jeden einbeziehen, ganz zu schweigen von den wenigen, die all das gleichermaßen genießen können. Aber hier wurde meisterlich gearbeitet und ähnlich wie beim dazugehörigen Film bleibt es am Ende jedem selbst überlassen, ob man das nun einfach imposant und achtenswert findet oder ob man darüber hinaus im Soundtrack auch die Qualität sieht, einen zu vereinnahmen, emotional mitzunehmen und auch schlicht zu unterhalten.
Anspiel-Tipps: