von Kristoffer Leitgeb, 03.08.2018
Royal-protokollarische Strenge und Rokoko-Exzesse ergeben anscheinend biedere Dramatik.
So interessant biographische Filme mitsamt historisch gewichtigem Background oft sein können, so schwierig sind sie mitunter aus der Sicht eines Komponisten. Natürlich ergibt sich auf den ersten Blick der Vorteil, dass durch die anvisierte Realitätsnähe zu einer zeitlichen Epoche der musikalische Rahmen schon vorab abgesteckt ist. Das kann aber gewaltig einschränken und ignoriert die Tatsache, dass realer geschichtlicher Background einen Fokus auf das entsprechende Setting und zumeist doch irgendwie die Charaktere bedingt. Schwieriges Terrain also und doch oft verführerisch, weil es die Chance bietet, auch musikalisch in eine andere Zeit entführt zu werden. Und was ist das nicht für eine Chance, wenn man das adelige Leben inmitten der Großspurigkeit des Rokoko begleiten darf? Rachel Portman, immerhin einer der wenigen großen weiblichen Namen unter den Soundtrackkomponisten, wäre es nun durchaus zuzutrauen, daraus ausreichend Kapital zu schlagen. Allein, die Übung gelingt nur mäßig und die Gründe dafür präsentieren sich nicht gerade auf dem Silbertablett.
Vielleicht liegt das daran, dass man schon das bekommt, was man erwartet. "The Duchess" ist ein emotionales Drama irgendwo zwischen Emanzipation, weiblicher Selbstverwirklichung, royaler Etikette und schmerzhaft offensichtlichen Kommunikationsschwierigkeiten in diesen für geadelte Häupter relativ strengen Zeiten. Das ist jetzt an und für sich, sofern man nicht etwas merkwürdig "expressionistisches" wie Sofia Coppolas "Marie Antoinette" daraus machen will, kein guter Stoff für musikalische Exzesse. Was einerseits gut ist, weil der Film andere Prioritäten hat, andererseits die Ausschweifungen des Rokoko im Film auf ein solches Minimum reduziert werden, dass Portman nur mit dem Herzschmerz und den innerlichen Kämpfen einer jungen Erwachsenen arbeiten kann. Das mit der gebotenen Stiltreue und Grazie der zum Zeitraum passenden Epoche zu verbinden, ist nicht wahnsinnig einfach. Es gelingt ihr trotzdem in imposanter Manier mit dem eröffnenden The Duchess, das die spielerischen Elemente der klassischen Musik gut mit dem wohl notwendigen Hang zur Melodramatik zu verbinden weiß. Dass sich Portman fast ausschließlich auf die Streicher konzentriert, stört dank deren starkem Arrangement wenig. Celli und Violinen akzentuieren einander ideal, sorgen mit langgezogenen Schwüngen, begleitet nur vom stoisch-spärlichen Trommeln, vereinzelten Harfeneinsätzen und treibendem Violinstakkato im Hintergrund, für einen starken Paarlauf.
Die Dynamik, die darin steckt, findet sich allerdings alsbald ziemlich selten. Portmans Soundtrack kennt zwei größere Baustellen. Eine ist das Ausschlachten der geschriebenen Motive in zu hohem Maße, sodass man spätestens ab Albummitte nie und nimmer drum herum kommt, alles schon gehört zu haben glaubt. Die andere ist ein Abdriften in zähe Melodramatik, die irgendwann weniger als prägnante Untermalung für den Film taugt, sondern irgendwo zwischen 08/15-Period-Drama-Beschallung und fast schon Telenovela-Niveau landet. Wobei, das ist zu viel der Kritik, so wirklich kitschig und aufdringlich Tränen fordernd klingt das Gebotene dann doch selten. Aber eben doch unscheinbar bis zur kompletten Sinnlosigkeit. Gerade vermeintlich emotionale Kompositionen wie das langsame Klavierspiel von Awakening, das einem mit Some Things Too Late, Others Too Early noch einmal in gezupfter und durch Streicher über Gebühr aufgebauschter Form begegnet, versanden im Nichts. Überraschenderweise ist dann nicht etwa von Überlänge zu sprechen. Im Gegenteil, kurze Bits von einer Minute Länge vernichten jede Möglichkeit auf atmosphärischen Aufbau oder sich irgendwie entfaltende Emotionen. "The Duchess" ist der erste Soundtrack, der dramatisch und emotional sein will, dabei aber trotzdem an einem vorbeirauscht und kaum Zeit lässt, etwas einsickern zu lassen. Das führt dazu, dass selbst hinter vermeintlich vielsagenden Titeln wie Gee Gives Up Baby oder Never See Your Children nicht wahnsinnig viel zum Vorschein kommt.
Man muss das vielleicht insofern relativieren, als dass Portman offensichtlich gut damit umzugehen weiß, die protokollarische Strenge des filmischen Lebens in ihre Musik einfließen zu lassen. Das kann nur nie und nimmer beim Komponieren helfen und macht auch die entstandenen Tracks zu keinen lebhaften oder gehaltvollen Reißern. Es sind wohlgeformte Melodien und Arrangements, nur springen einen die Adjektive melodramatisch und diszipliniert am ehesten an. Das passt zum Einen kaum zusammen und hat außerdem den Nachteil, dass man nicht weiß, ob jetzt eher die emotionalen Ausbrüche und Zwiespalte der jungen Gräfin oder die emotionslose Strenge des ihr zugemuteten Grafen im Mittelpunkt stehen soll. Beides hört man irgendwie raus, nichts kommt zur Entfaltung. Dementsprechend durchschnittlich sind selbst die Minuten, die leidenschaftliche Passagen begleiten sollen. Gee And Grey Make Love klingt nicht ekstatisch oder riskant, sondern nach graziler Dramatik und selbst so etwas wie Rape baut sich zu einem trägen Klimax auf, der nach starkem Stakkatobeginn in einer Melange aus Klavier und trägen Streicherwallungen versandet.
Manches hört man trotzdem ziemlich gern, wenn auch die großen Würfe fehlen. Die ausdrucksstarken Streicher zu Beginn von No Mood For Conversation überzeugen genauso wie die gelungen arrangierte, zerbrechlich wirkende Dramatik von Bess' Sons, die ideale Wechsel von Streicherpassagen und Klavierparts mitbringt und in einem hier zur Abwechslung starken Revival des Leitmotivs mündet. Abseits davon ist man relativ froh, wenn mit den End Titles gleich überhaupt der Titeltrack aufgewärmt wird. Das erinnert dann daran, wie es auch hätte laufen können, wäre der Soundtrack nicht so risikolos und, ohne unverschämt wirken zu wollen, fast akzentfrei gestaltet worden. Dazwischen macht einem der alte Beethoven klar, dass seine Deutschen Tänze - genauer gesagt hier nur der zehnte vpn den Zwölfen - durchaus Charme haben und vor allem mehr an Dynamik und Ausdrucksstärke als alle übrigen Tracks mitbringen. Insofern ist das keine Überraschung, als dass die sprunghaften Tänze wahrscheinlich eher dazu gedacht waren, den Ballsaal zu rocken, das muss aber auch erst geschafft werden. Überhaupt ist es schade, dass man nicht die Chance genutzt hat, öfter auf Kompositionen der Epoche zurückzugreifen. Es hätte wohl in diversen Hinsichten geholfen.
Denn was Rachel Portman für "The Duchess" kreiert, ist von spannend oder bewegend meistens genauso weit entfernt wie von schlecht. Präzise und souverän arrangiert sie sich zwar durchaus durch den Film, mitreißen kann sie einen damit nur gar nicht. Es fehlt an der emotionalen und atmosphärischen Kraft genauso wie an der musikalischen Prägnanz. Letzteres ist umso mehr zu bekritteln, da wir vom Rokoko reden. Ein Zeitalter, in dem unter den richtigen Umständen Pomp an der Tagesordnung stand, auch wenn ein britischer Sir erst ein Jahrhundert später dafür die passenden Stücke geschrieben haben dürfte. Und dann macht Portman so nichts Agiles oder Grandioses oder sonstwas draus, sondern kredenzt einem wohlgeformte, klassische Mittelmäßigkeit. Warum genau, keine Ahnung. Vielleicht standen die Gefühle im Zentrum des Ganzen. Das erklärt aber nicht, warum von denen fast nichts in der Musik zu finden ist. Fazit: Man kann sich die Sache anhören. Jederzeit und ohne jegliches Wehklagen. Mehr als einmal wird man das aber nicht einmal mit einer Handvoll der Tracks machen.
P.S.: Wer weiß, was es mit dem britischen Sir und dessen Stücken im letzten Absatz auf sich hat und das in einen Kommentar schreibt, wird zum Hero of the Day erklärt und bekommt einen Gute-Nudel-Stern!