von Kristoffer Leitgeb, 09.07.2020
Geschummelter Soundtrack, der nur dann besticht, wenn er sich dem namensgebenden Film widmet.
Ich bin kein Experte für das Schaffen des Werner Herzog, was wohl am ehesten dadurch veranschaulicht werden kann, dass es der Deutsche mit jedem seiner Filme, die ich bisher gesehen habe, zumindest einmal geschafft hat, mich buchstäblich einzuschläfern. Wer das als Kritik an ihm versteht, denkt falsch. Es ist meine Schwäche, nicht die seine und ändert nichts daran, dass ihm zumindest mit "Aguirre, der Zorn Gottes" ein merkwürdig hypnotisches, unwirtliches, spartanisches und atmosphärisches Ding gelungen ist, das man wohl sogar Meisterwerk nennen kann.
Ich bin darüber hinaus kein Experte für das Schaffen von Popol Vuh, was wohl am ehesten darin begründet liegt, dass meine Sympathien für Ambient, New Age, Prog und Vieles, was man an Begrifflichkeiten dieser Band nachgeworfen hat, sehr enden wollend sind. Wer das als Kritik an ihnen versteht, denkt zumindest teilweise sehr richtig, soll aber nicht darauf vergessen, dass eigentlich noch gar nicht von der Musik der Band die Rede war.
Jedenfalls legt all das nahe, dass niemand besser dafür geeignet sein könnte, sich in Reviewform dieser Band und dem zugrundeliegenden Film zu widmen, als ich es bin, weswegen sich direkt hineingestürzt wird in die Materie und die Schranken sich öffnen für die unbekannten Sphären, die "Aguirre" zu bieten hat.
Unbekannte Sphären sind ein gutes Stichwort, ist doch das Werk der Band rund um ihren versierten Mastermind Florian Fricke zur damaligen Zeit eines der mäandernden, sphärischen Elektronikklänge gewesen. Herablassend könnte man es formarm nennen, zumeist gestalten sich die Kompositionen aber nicht unbedingt so, dass dieser Begriff passend erscheinen würde. Das eröffnende Aguirre I breitet dahingehend viel dessen vor einem aus, was einen erwarten wird. Zwar ist es in puncto instrumentaler Ausstattung dezent limitiert und eignet sich somit nur bedingt als stellvertretendes Exemplar, die kompositorische Stoßrichtung ist allerdings maßgebend. Mit Melodien wird man hier nahezu nicht belästigt, stattdessen fließen Frickes Moog Synthesizer und die eigens angefertigte "Chor-Orgel", eine modifizierte Hammond Orgel, die zur Sequenzierung von Chorgesängen verwendet wurde, im Gleichklang dahin. Das Zentrum ist ebendiese Chor-Orgel, deren langgezogene Tonabfolgen ein statisches, surreales Gebilde ergeben, das erst nur sporadisch von pulsierenden Synthesizern, später deutlicher von verzerrtem synthetischem Heulen begleitet wird. Das ist nicht nur insoferne zweckmäßig, als dass es die unbekannte Unwirtlichkeit des Amazonas, die die Eröffnung des Films einem näherbringt, großartig und eindrucksvoll einfängt und intensiviert, obwohl die unnatürlichen Klänge streng genommen den gezeigten Naturgewalten zuwiderlaufen. Es ist auch für sich genommen ein imposantes Gebilde mit meditativer Qualität. Und es mündet in einem kurzen, den Film bereichernden Panflöten-Solo, das als genialer Kontrast die Komposition abschließt.
Diese und ähnliche Lobeshymnen verdienen sich wohl auch Aguirre II und Aguirre III, die in die Mitte und ans Ende der kurzen Tracklist gesetzt wurden. Das ergibt sich allein schon dadurch, dass beide Stücke zumindest zu Beginn dem ersten ähneln. Aguirre II entflieht dennoch relativ bald dem synthetischen Klang und ersetzt ihn durch ein symbiotisches Zusammenspiel von akustischer Gitarre und E-Gitarre. Beide eingespielt von Daniel Fichelscher, ist das Ergebnis ein dem erdigen, emotiven Blues ergebens Instrumental, das in der auf einer LP wie "Led Zeppelin III" nicht deplatziert gewirkt hätte. Aguirre III wiederum paart die bekannten Klänge aus der Chor-Orgel und dem Synthesizer mit orientalisch bzw. indisch inspirierter Percussion, die dem eigentlich so behäbigen Sound eine ungeahnte Dynamik verleiht. So überschwänglich positiv das klingt, bleibt die Erkenntnis, dass die pure Version des ureigenen Popol-Vuh-Sounds, zumindest dem für den dazugehörigen Film, des Openers am besten gefällt. Die Gitarreneinlage ist zwar für sich genommen eindrucks- und stimmungsvoll, konterkariert aber die atmosphärische Stoßrichtung etwas zu sehr. Und die Percussion untergräbt als beigemengte Zutat zur synthetischen Kost gleich überhaupt deren Wirkung. Funktionieren tut es trotzdem, ziemlich stark sogar, aber der Opener bleibt der Höhepunkt.
Das gilt auch für die gesamte LP, die überhaupt auf absurde Art funktioniert und dann doch wieder nicht. Die Einheit der Aguirre-Stücke, von denen sowieso nur zwei im Film zu hören waren, wird noch dazu zerrissen von drei Kompositionen, die gleich überhaupt nichts damit zu tun haben. Die erste davon ist als Morgengruss II noch ein deplatziertes, aber gelungenes kleines bisschen Folk Rock, das auch in den USA der späten 60er hätte entstehen können und das hier am ehesten etwas entfaltet, das man als Melodie bezeichnen will. Schon mit Agnus Dei tut man sich hier aber keinen Gefallen, ist das doch mit den einleitenden Flötenklängen und der darauffolgenden psychedelisch Prog-Szenerie, die man aus der E-Gitarre, Klavier und Drums bastelt, ein schwerfälliges Stück ohne die atmosphärische Kraft, um das auszugleichen. Und das ist es, was aus der gelungenen, imposanten und eindringlichen Schwerfälligkeit der Aguirre-Eröffnung gleich einmal etwas macht, was einfach nur ziemlich langweilig dahindümpelt.
Nichts erreicht jedoch diese leblose und damit fragwürdige Qualität von Vergegenwärtigung, das über geschlagene 17 Minuten absolut nichts anbietet als ein unterschwelliges synthetisches Dröhnen und Flirren, das in unregelmäßigen Abständen aufwallt und abflaut und als einzigen erkennbaren Akzent sequenzierte Operngesänge einbauen will. Über ein Drittel der gesamten Laufzeit dieses Albums geht dafür drauf, diesem Nicht-Geschehen beiwohnen zu müssen und sich einzureden, dass das irgendeine Bedeutung oder Kraft in sich tragen könnte. Tut es nicht, einfach so gar nicht auf irgendeiner Ebene. Es ist nicht einmal so chaotisch und willkürlich, dass man es als Lärm abtun könnte, nicht so stetig, dass es Meeresrauschen oder ähnliches imitieren könnte und definitiv nicht ereignisreich genug, um auch nur einen positiv im Gedächtnis bleibenden Akzent zu setzen. Das ist eine wirkliche Katastrophe.
Es ist trotzdem nicht das ganze Album, auch wenn man dieses einen Stücks wegen am Ende nicht viel dagegen hätte, wenn "Aguirre" in seiner Gesamtheit schlecht wegkommen würde. Das geschieht aber dann doch nicht, weil die Arbeit, die tatsächlich für den gleichnamigen Film gemacht wurde, eindrucksvoll gelungen ist. Majestätisch und mit außerirdischer, unbekannter Qualität, die Popol Vuh in eine ganz eigene musikalische Nische befördern. Welche das ist, weiß ich nicht, aber sie klingt ziemlich eindrucksvoll und gewichtig und ist eine großartige Ergänzung zu den Bildern des Films, die man im Nachhinein ohnehin nicht von der Musik trennen kann und will. Spätestens mit dem dritten Teil der Aguirre-Trilogie wird einem zwar bewusst, dass die Macht dieses Sounds begrenzt ist und die Band vielleicht doch gut daran getan hat, nicht ein ganzes Album genau so auszufüllen. Das Fazit bleibt aber trotzdem, dass diese Momente die eigentlich erinnerungswürdigen sind und dass all das, was nicht damit in Zusammenhang steht, bestenfalls nett und beschlagen geformtes Interludium, schlimmstenfalls eine unpackbare Zumutung in gewaltiger Dimension ist. So wird kein Klassiker daraus, aber eine LP, auf der die Songs sind, die einen Herzog-Klassiker erheblich bereichert haben.