Nino Rota - The Godfather

 

The Godfather

 

Nino Rota

Veröffentlichungsdatum: ??.03.1972

 

Rating: 8.5 / 10

von Kristoffer Leitgeb, 30.06.2018


Mafia noir - Die hohe Kunst der Vermählung von italienischer Romantik und krimineller Spannung.

 

Ihre glamouröseste Phase hat sie zwar mittlerweile hinter sich, aber insgeheim gibt es immer noch wenige Dinge, die faszinierender wirken als die Mafia. Das könnte damit zu tun haben, dass man ihr zwar zwischenzeitlich ziemlich auf die Nerven gegangen ist mit Gesetzen und Prozessen, sie aber nicht nur all das überlebt hat, sondern eine Art Legimität in der Gesetzlosigkeit aufgebaut hat. Eine Schattenwelt mit eigenen Regeln, eigenen Chefs, eigenen gesellschaftlichen Strukturen. Das können sonst fast nur Geheimdienste oder Sekten. Ich nehme zumindest an, dass die Anziehungskraft daher kommt. Vielleicht ist es aber auch nur Francis Ford Coppolas Verdienst, dass man so ins Romantisieren verfällt, wenn man an die Verbindung italienischer Grandezza mit familiären Werten und Schutzgeldern denkt. Der hat es doch glatt geschafft, Erpresser wie Ehrenmänner dastehen zu lassen und aus dem organisierten Verbrechen ein besseres Familienunternehmen zu machen. Das ist eine gewaltige Leistung, die honoriert gehört. Nicht aber, ohne darauf zu verweisen, dass ein anderer genauso wichtig war für diesen Erfolg.

 

Nino Rotas Ruhm eilt ihm zwar ohnehin voraus, so als Langzeitkollaborateur mit Federico Fellini und Oscar-Preisträger. Trotzdem sei er an dieser Stelle noch einmal aufs Podest gehievt für die beinahe konkurrenzlose Ausdrucksstärke und stilistische Treffsicherheit seiner Arbeit. Da vereinen sich überwältigende Atmosphäre und harmonische Grazie zu etwas, das aufgrund der hohen Qualität in Wahrheit wenig Raum für Vergleiche bietet. Im Gegensatz zu dem, was John Williams nämlich vorgemacht hat, wurden die Rotas Großtaten nicht allzu oft imitiert. Zumindest nicht so, dass da eine Gegenüberstellung angebracht erschiene. Was ohnehin egal ist, die Finesse des Soundtracks zum legendären "Godfather" ist für sich selbst legendär genug, um den Review zu füllen. Dem Italiener ist es nicht nur gelungen, in der Kürze einer halben Stunde ein geschlossenes, alle Stimmungslagen des Films durchlaufendes Kunstwerk zu kreieren, die perfekte Kombination aus traditionell italienischer Folklore, klassizistischer Orchestration und Anknüpfen an klassische Krimi-Soundtracks sorgt für diverse musikalische Gustostückerl.

Natürlich thront über allem der Godfather Waltz, die epische Eröffnung, die sich dank instrumentaler Zurückhaltung nie in Gefahr sieht, ins Kitschige abzudriften. In dem Hall des anfänglichen Trompetensatzes und der genauso allein gelassenen Cello-Fortsetzung finden sich im genau passenden Verhältnis die elegante Autorität des Paten und auch dank der kurz eingestreuten orchestralen Dissonanz ein Anklang der martialisch-düsteren Dramatik, die die Handlung des Films bestimmen sollte. Dass dem die verspielte und trotzdem in aller Behäbigkeit großspurige Natur des eigentlichen Walzers folgt, rundet dann alles ideal ab.

 

So etwas ist schwer zu wiederholen und es gelingt auch nur bedingt. Was nichts daran ändert, dass die mit den folgenden Tracks kreierten Stimmungsbilder noch immer passend und ungemein harmonisch wirken. Nicht immer fesselnd, aber doch durchwegs mit dem notwendigen Draht zum Sizilianischen und vor allem der notwendigen Melodik und instrumentalen Sicherheit, um jeder Gemütslage Herr zu werden. Mit einem verstaubten Standard wie I Have But One Heart geht sowas ja fast noch einfach, allein wegen der verführerischen Stimme von Al Martino. Doch die Mandoline wird nicht nur dort stark eingesetzt, sondern auch in Appollonia und der Zweitversion des Godfather Waltz, im gelungenen Paarlauf mit Oboe und Klarinette. Das allerdings sind erwartbare Treffer, klanglich traditionell italienisch gehalten und praktisch überall einsetzbar. Die umfassende Stärke Rotas und des Soundtracks kommt dann eher in den riskanteren, zumindest aber ausgefalleneren Minuten zum Vorschein. Die Taufszene wird mit gleichermaßen pastoralen wie unheilvollen Orgelklängen in The Baptism vertont und so zu einem dramatischen Höhepunkt, imposant übertrumpft nur von The Halls Of Fear, das den Bläsersatz der Eröffnung großartig mit trabenden, tiefen Klavierakkorden paart und deren Schwere als düsteren Kontrast zur Eleganz der übrigen Musik setzt.

 

Dementsprechend fehlt es eben irgendwie an nichts. Gut, die Sicilian Pastorale könnte trotz romantischer Melodie und Instrumentierung ein bisschen mehr Leben vertragen und The New Godfather klingt mit den ganzen fistelden Bläsern als einziger Moment auch nur entfernt unpassend. Aber erstens wird auch da mit Klavier und schweren Blechbläsern früh genug umgeschwenkt und zweitens ist das eine reichlich magere Bestandsaufnahme der Fehler. Selbst Connie's Wedding überzeugt, wenn auch nur in der Form, dass der Konzertmitschnitt aus dem Film - übrigens als einziges instrumentales Stück nicht von Rota, sondern von Coppola-Vater Carmine komponiert - einen lebhaften, bunten Farbtupfer inmitten der gesetzten Musik bedeutet. Der Love Theme kann als zeitweilige Entführung in die venzianische Romantik mehr, erlaubt sich auch zum Ende hin mit Chor und aufwallenden Streichern einen seltenen Anflug von Melodramatik. Trotzdem braucht es musikalische Ausreißer, weswegen auch The Pickup unheimlich wichtig wirkt. Nicht nur, dass es szenisch perfekt ist, das vom Jazz geküsste Intermezzo von Drums, Klavier und Klarinette, sogar kurz unterstützt vom Akkordeon, wirkt musikalisch wie aus einer anderen Welt. Nämlich aus der, die Schwarz-Weiß war und in der vereinsamte, moralisch ambivalente Verbrecherjäger in düsteren Gassen herumgeirrt sind und nie so wirklich Freund von Feind unterscheiden konnten. Film noir kann er also auch, der Rota. Immer noch mit dem gleichen instrumentalen Rumpf, aber ohne italienisches Feeling, ohne die effektvolle Schwerfälligkeit vieler anderer Kompositionen, dafür mit gelungenem Spannungsaufbau.

 

Was mich an den Punkt bringt, wo sich sagen lässt, dass "The Godfather" zwar in puncto Hörvergnügen nicht unbedingt der großartigste aller Soundtracks ist, aber er ist trotz relativem Mangel an absolut unschlagbarem Material einer der eindrucksvollsten. Nino Rotas Arbeit ist in Wirklichkeit so ziemlich makellos. Je nach Vorlieben ist nicht alles das Gelbste vom Ei, aber es gibt nicht den kleinsten Hauch eines Anknüpfungspunktes, um ihn tatsächlich zu kritisieren. Dafür ist der Soundtrack zu elegant, zu stimmungsvoll, auch trotz aller inneren Geschlossenheit zu abwechslungsreich und spannungsgeladen. In diesen zwölf Tracks treffen eigentlich alle Qualitäten, die Filmmusik haben sollte, aufeinander, sieht man von der Tatsache ab, dass man nicht einmal beim Main Title auf die Idee käme, ihn einfach mal so aufzudrehen, weil einem gerade danach ist. Dafür ist alles dann doch unterschwellig zu episch und bedeutungsschwanger, zu offensiv kraftvoll und klar ausgerichtet in der atmosphärischen Bedeutung. Das ist aber ungefähr so, als würde man Fleisch dafür kritisieren, dass es zu würzig ist. Das ist nichts Schlechtes, es gibt nur ein paar, die es dann nicht vertragen. Bei "The Godfather" wird man die fast mit der Lupe suchen müssen.

 


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