von Kristoffer Leitgeb, 15.08.2015
Klassische Epik auch fernab szenischer Kraft, dafür mit dem Drang zur fokussierten Emotion.
Im Leben eines jeden stellt sich irgendwann die Frage: Einzelkämpfer oder Teamplayer? Die meisten stellen sich die Frage wahrscheinlich nie so bewusst, man ist halt lieber mit anderen zusammen als allein, oder so. Man bekommt sie quasi beantwortet, ohne daran beteiligt zu sein. Wer sich allerdings die Mühe macht, dieser einen Weggabelung von sehr vielen auf den Grund zu gehen, der wird bald merken, dass da ganze Weltanschauungen aufeinanderprallen. Ist aber kein Philosophiezirkel hier, also wird die Ergründung vorerst ausgelagert. Nichtsdestotrotz steht natürlich auch fast jeder Musiker irgendwann einmal vor der Frage, was es denn jetzt sein soll, ein Solistenleben oder das Dasein als Bandmitglied. Wer nun wirklich gut ist, der kann beides. Jonny Greenwood dürfte so einer sein. Der dürfte überhaupt so ziemlich alles können, immerhin ist er bei Radiohead schon für einen guten Teil der Musik verantwortlich. Mittlerweile ist er also auch gefeierter Soundtrack-Komponist, womit er perfekt hier herein passt. Und auch "There Will Be Blood" passt eigentlich perfekt hier, nein, überall hinein.
Eine Übertreibung klarerweise, man wird sie aber wohl verzeihen können. Als Hintergrundbeschallung für den nächsten Kindergeburtstag taugt die musikalische Untermalung des Epos dann doch weniger. Was allein deswegen kein Vorwurf sein darf, weil dieser Soundtrack in seiner Natur für andere, größere Aufgaben geschaffen scheint. Es gilt, den Aufstieg eines Ölmagnaten zu begleiten, was den Film, aber auch die Musik ins frühe 20. Jahrhundert zurückwirft. Greenwoods Entscheidung war dahingehend eine relativ radikale, denn in einer Art artistischer Selbstverstümmelung lässt er sich selbst nur die Möglichkeiten der damaligen Zeit für seine Arbeit. Es wartet also ein klassischer, wirklich sehr klassischer Soundtrack, zu gefühlten 98% aufgebaut auf einem mächtigen Streicherensemble und sonst nichts. Wie beeindruckend Greenwood dieses einzusetzen weiß, wird jedoch von der ersten Sekunde an klar. So gewichtig die Rolle der Musik in dem gigantischen Filmdrama ist, so gewichtig stellt sie sich dann auch in ihrer Reinform dar. Bereits das eröffnende Open Spaces breitet da an Dramatik schwer zu überbietende Streicherwände vor einem aus, die in ihrer wirkungsvollen Mischung aus graziler Einfachheit und unheilvoller Schwere ein ordentliches Maß an Emotion mit sich bringen. Es sind vorerst noch gesittete Harmonien, befreit von Tempo und drastischen Brüchen, dafür mit einer nachhallenden Ruhe, die in ihrer klaren, durchdringenden Art unweigerlich unheimlich, beklemmend und auf gewisse Weise tödlich wirkt. Es könnte wohl auch ein Requiem sein, das Greenwood da eröffnet.
Was er aber in Wahrheit lostritt, ist ein vorteilhaft kurzes Soundtrackalbum, das sich tatsächlich zu großen Teilen in düsteren Unwelten herumtreibt. Und dabei schafft Greenwood es mit seinem reduzierten Klang, der Epik im Sinne musikalischer Übergröße - dafür siehe: Hans Zimmer - zu entgehen und ihr stattdessen viel eher eine epische Tiefe mitzugeben. Es sind emotionale Momente, die er hier bereithält, unter die Haut gehende Arrangements. Damit sind die leichten Klaviertöne von Prospectors Arrive, mitsamt den nur sporadisch anschwellenden Streichereinsätzen, genauso gemeint wie die quasi zum Weinen gebrachten Saiten in HW / Hope Of New Fields, in dem sich von der Violine bis zum Cello alles im kraftvollen, winselnden Vibrato übt. Gerade der großartige, kratzige Klang der tiefen Töne sorgt dort für ein Highlight des Albums.
Natürlich geht es trotz dieses Grundtenors auch lauter, kaum aber weniger emotional. There Will Be Blood geht in Wahrheit überhaupt ganz andere Wege, paart melodielose Stakkato-Einsätze in düsterer Fassung mit merkwürdigen, chaotischen Anfällen, in denen aus dem Ensemble ein einziges Gewirr verschiedenster Noten wird. Eat Him By His Own Light dagegen trumpft als wahrlich klassischstes Stück auf. Eigentlich schon kitschige Dramatik kommt einem da mit den hellen Violinen entgegen, auch die verfehlt ihre Wirkung allerdings nicht. Mit den eingestreuten Klaviertupfern arbeitet sich der Track zunehmend zum eindringlichen, wenn auch auf Streicherseite zu schrillen Höhepunkt hin, vollendet damit einen der durchstrukturiertesten Momente des Albums.
Alles bisher beschriebene hat zwei Dinge gemeinsam: Zum einen den allzu offensichtlichen, unglaublichen Fokus auf eine punktgenaue Präzision, die sich, so scheint es jedenfalls, auch noch um Hundertstelsekunden schert. Darin liegt natürlich ein Teil des Erfolgs begraben, sind doch Misstöne nicht einmal dahingehend rauszuhören, als dass die Instrumente sich gegenseitig die Luft rauben würden. Doch auch was die Kritik anbelangt, steckt der Teufel im Detail. Denn die durchkalkulierte Natur jeder Passage sorgt zwar für fast nie da gewesene Passform im Film, aber auch dafür, dass den Minuten eine gewisse emotionale Note verloren geht, die es für den umfassenden Triumph vielleicht bräuchte. Da ist Greenwood ganz auf Radiohead-Schiene.
Der zweite und noch wichtigere Aspekt ist aber im Gegensatz dazu die Eigenschaft des Soundtracks als beinahe komplett unszenische Musik. Das Hauptaugenmerk liegt hier wohl kaum nur in der Unterstützung der jeweiligen Szenen, stattdessen bemüht sich Greenwood redlichst darum, Emotion zu filtern und in Noten zu gießen. Das sorgt für eine universelle Qualität einiger dieser Tracks, die sich sonst nur selten unter klassischen Soundtracks finden lässt.
Dass es doch anders geht, beweist aber der Höhepunkt und prägnanteste Ausreißer dieser elf Stücke. Future Markets besticht durch unglaubliche Dynamik, zuerst in Form der hektischen Stakkato-Einsätze der Streicher im Stop-and-Go-Format, in der Folge mit unablässig hohem Tempo und gezupften Saiten, die dem Ganzen einen verspielten Touch geben. Erst spät begibt sich Greenwood hier wieder in gewohnte Bahnen, stellt abrupt um auf schwelende Streicher und langgezogene Noten.
Man ist aber dann froh, dass es bald vorbei ist. Auch da macht Greenwood keinen Fehler, wenn er sich nach etwas mehr als einer halben Stunde dem Ende nähert. Denn "There Will Be Blood" ist in all seiner Größe und Qualität doch ein schwergewichtiger Brocken, dessen Eigenschaften leicht auch zur Überdosis werden können. Die letzten Minuten bekommen das schon leicht zu spüren, dort ist dann langsam genug mit penibelster Präzision und der Streicherarmada. Es sind kleine Mängel, die man in diesem Fall hervorheben muss, denn Jonny Greenwood macht in der Tat sehr viel richtig. Sein Beitrag zu einem großartigen Film ist ein ähnlich großartiger Soundtrack, der sich strikt der Klassik verpflichtet, nicht zwingend aber den gängigen Methoden für einen Score dieser Art. Der Radiohead-Gitarrist scheint Epik ein wenig anders zu schreiben als die Kollegen und er fährt gut damit. Also bedanke ich mich für eine äußerst starke Empfehlung bei Marygold und ziehe vor Mr. Greenwood den Hut, immerhin ist er als Solist genauso gut wie im Team.