von Kristoffer Leitgeb, 16.08.2020
Meisterliche Balance orchestrierter Dramatik, melancholischer Einsamkeit und fernöstlicher Akzente.
Allzu deutlich voneinander abweichende Rezeption eines Films und der dazugehörigen Musik ist ein relativ seltenes Phänomen. Es gibt zweifelsohne viele großartige Filme, deren Qualität und Fokus so wenig Raum für die dafür komponierten Musikstücke lässt, dass diese zwangsläufig etwas im Schatten enden und deswegen recht wenig Aufmerksamkeit bekommen, insbesondere wenn der Film noch nach klanglichem Understatement schreit. Aber das muss ja nicht heißen, dass die Musik schlecht wäre oder so wahrgenommen würde. Sie drängt sich eben nicht auf. Ein wirkliches, deutliches Auseinanderdriften zwischen Film und Musik findet sich dagegen nicht so oft und ist noch einmal umso rarer gesät, wenn zwar der Soundtrack bejubelt und geehrt wird, der Film sich aber vor Kritik kaum retten kann. "Memoirs Of A Geisha" ist aber genau so ein Fall, was unweigerlich damit in Verbindung steht, dass Ron Marshalls Werk - melodramatische Seifenopern-Elemente hin oder her - generell unter Wert geschlagen wurde. Lediglich der visuellen Gestaltung und der klanglichen Genüsse konnten sich anscheinend alle erfreuen, sodass es für einen Film, der sich bestenfalls einer lauwarmen Reaktion brüsten darf, dann doch drei Oscars gegeben hat. Allesamt in Nebenkategorien, die das visuelle Spektakel geehrt haben, mehr aber schon nicht. Übergangen wurde dabei ein gewisser John Williams, der sich mit einem Golden Globe begnügen musste, der es mir aber immerhin endlich einmal erlaubt, in überschwängliche Verehrung zu verfallen.
Nachdem der US-amerikanische Halbgott unter den Filmkomponisten nämlich mit seinen bisher reviewten, drei Soundtracks eher mäßig weggekommen ist und überwältigende Stärke dort nur sehr sporadisch spürbar war, ist die hier gebotene Musik beinahe durchgehend atmosphärisch und emotional herausragend. Basis dessen ist, wenig überraschend, aber dann doch in für Williams ungewohnter Form, der dazugehörige Film. Nachdem sich der Komponist nämlich erstmals in seiner Karriere ernsthaft selbst darum bemüht hat, diesen Soundtrack machen zu dürfen, anstatt wie üblich von Steven Spielberg freundschaftlich gefragt oder anderen um Beiträge angebettelt zu werden, war auch sein Zugang zur Arbeit ein etwas anderer. Laut ihm selbst in enger Zusammenarbeit mit Regisseur Marshall entstanden, sollte der Soundtrack möglichst genau dessen Vorstellungen und den emotionalen Wandlungen des Films folgen, sich nahtlos an die Geschehnisse anpassen. Dementsprechend kommt der Soundtrack selbst einer atmosphärischen Nacherzählung der im Film sichtbar gemachten Gefühle und deren mal unterschwelligeren, mal melodramatisch deutlichen Änderungen gleich. Williams folgt der anfangs zwangsweise in den Geisha-Bezirk verfrachteten Chiyo und später unter ihrem neuen Namen Sayuri zur Geisha auserkorenen Protagonistin mit empathischer Genauigkeit durch alle Lebenslagen. Und er spiegelt dabei die verzweifelte Einsamkeit zu Beginn genauso wieder, wie kindlich verspielte Momente, erbarmungslose Beklemmung und natürlich den immer wiederkehrenden Hoffnungsschimmer der früh gefundenen Liebe.
Musikalisch lebt all das von einer meisterlich ausbalancierten Mischung gewohnter, dramatischer Orchestrierung, prominent eingeflochtener klassisch fernöstlicher Instrumentierung wie der Shakuhachi-Flöten oder der Koto, dem japanischen Gegenstück zu Zither und Guzheng. Dass ausgerechnet die im Film als klassisches Instrument der Geishas gezeigte Shamisen keinen Platz hat, ist schade, macht sich aber musikalisch wenig überraschend kaum bemerkbar. Viel eher liegt das Augenmerk ohnehin auf zwei Stars ihres Fachs, dem Cellisten Yo-Yo Ma und dem Violinisten Itzhak Perlman, die als Solisten oft genug die Szenerie in Beschlag nehmen und als emotionales Sprachrohr für Sayuri einerseits und den "Chairman" als ihrem romantischen Gegenstück andererseits.
Eingerahmt in Williams' wunderschön arrangierte Szenerien bestechen beide als gefühlvolle Interpreten dessen, was man auf der Leinwand sieht oder mitunter auch nicht zu sehen bekommt. Primär zeichnen beide verantwortlich für diverse Interpretationen der beiden Kernthemen des Films, den eröffnenden Sayuri's Theme und den Chairman's Waltz. Ersterer als graziles, aber melancholisch-einsam anklingendes Thema, dem Yo-Yo Ma zu Beginn im Verbund mit untersetzten Trommeln, hellen Flötenklängen und dem rauchigen Shakuhachi in höchstem Maße gefühlvoll begegnet. Der Chairman's Waltz mag dem emotional in nichts nachstehen, ist aber gleichzeitig mit einem Maximum an Eleganz gesegnet und verkörpert in mehreren Lagen einerseits romantisch-poetische Harmonie und Hoffnung, die sich neben sanfter Percussion vor allem in Perlmans fragilem Geigenspiel äußert. Insbesondere Sayuris Thema begegnet einem im Laufe des Soundtracks und Films häufig, mehrmals in Form einer flehenden, voluminösen, aber nicht raumfüllenden Streicherwand wie in The Journey Of Hanamachi. Das illustriert auch bestmöglich die nahtlosen atmosphärischen Wanderungen, die Williams mitunter in einem einzigen Stück unternimmt. Von den gespenstisch-unwirtlichen Flötenklängen zu Beginn mündet die Komposition in die dramatischen, fast märchenhaften Streicher des Hauptthemas, um wiederum bald Yo-Yo Ma und dem dunklen, einsamen Klang des Cellos Platz zu machen. Williams' Fähigkeiten sei Dank, begegnet einem dieses Thema und insbesondere dieser atmosphärische Eindruck im Laufe des Soundtracks so oft in so unterschiedlich nuancierter Form, dass es müßig wäre, alle davon zu beschreiben oder dies auch nur zu versuchen.
Vielleicht wird also das Augenmerk eher gerichtet auf die deutlicheren Abweichungen vom inhaltlichen Kern des Soundtracks. Brush On Silk tänzelt mit den kratzig-hellen Klängen der Koto und dynamischem, leichtem Trommeln spielerisch und grazil dahin, entwickelt mit Flöten und vielfältiger Percussion ein zunehmend volleres Arrangement. Becoming A Geisha findet dagegen in zarten Koto-Zupfern und flehenden Streicherklängen eine ideale Basis, um das Sayuri-Thema in möglichst eleganter Weise dramatisch auszugestalten und zwischendurch in ein frenetisches, mehrstimmiges Getrommel übergehen zu lassen. A New Name...A New Life wiederum stellt drückend schwere Streichereinlagen einem friedvoll-melancholischen Zusammenspiel aus der Shakuhachi, Koto und dem Cello gegenüber. The Fire Scene And The Coming Of War wiederum markiert einen dramatischen Höhepunkt, der in seiner Form wohl am deutlichsten klassisch westlichen Soundtrack entspricht und mit wuchtigen Trommelschlägen, Blechbläsern und angespannt auf- und abwallenden Streichern für atmosphärische Dichte sorgt, die plötzlich von einem kurzen, japanischen Gesangmonolog unterbrochen wird, und in zunehmend melodramatischere Streicherpassagen übergeht, ohne dabei an Wirkung einzubüßen.
Diesem Ausritt und insgesamt weniger Eindruck hinterlassenden, nach Spannung und Emotion suchenden Minuten wie jenen von The Rooftops Of The Hanamachi oder Destiny's Path folgend, wird zum Ende noch einmal der intime emotionale Kern des Films beschworen. Das anfangs von dezenten Flöten geprägte, zwischendurch jedoch eindringlich aufwallende Confluence klingt in diesem Sinne genauso gefühlvoll und sentimental wie Yo-Yo Mas finales Cello-Solo in A Dream Discarded, das noch einmal die einsame Hoffnungslosigkeit des Beginns in Erinnerung ruft. Dem gegenüber steht mit Sayuri's Theme And End Credits ein Finale, das zwar klarerweise an der Eröffnung des Soundtracks anknüpft und einmal noch das dominante Thema voranstellt, das aber gleichzeitig mit einer mehrminütigen, orchestrierten Erweiterung für eine überzeugende Zusammenfassung des gesamten Films sorgt. Dramatisch, gefühlvoll, sicherlich ein bisschen kitschig, aber eben auch elegant und atmosphärisch und eine mehr als lohnende Erweiterung dessen, was auf der Leinwand an Gefühlen transportiert werden soll.
Vielleicht muss man sogar darüber hinaus gehen und sagen, dass "Memoirs Of A Geisha" emotional zu einem überwiegenden Teil auf seinen Soundtrack aufbaut. Selten stolpert man über einen Film, dessen ganze atmosphärische Kraft so deutlich von der Musik beeinflusst und getragen wird. Das darf zwar nicht so weit gehen, dass man darüber die einen vereinnahmende visuelle Schönheit des Films und die durch die Bank überzeugenden Darbietungen der versammelten Darsteller vergisst, der Stellenwert von John Williams' Arbeit darf hier aber gerne einmal hervorgehoben werden. Begeht der US-Amerikaner oder wer auch immer die Zusammenstellung des Soundtracks zu verantworten hat, einen eklatanten Fehler, dann ist es die Absenz jenes traditionell japanischen Musikstücks, das ausgerechnet die schlicht perfekt inszenierte und atmosphärisch beeindruckende Szene von Sayuris Tanz im Schnee unterlegt. Das hier nicht dabei zu haben, ist ein Verlust. Allerdings ein ultimativ verschmerzbarer, wird man doch hier dennoch mit erstklassigen Kompositionen, Arrangements und beeindruckenden Solisten versorgt, die vielleicht ultimativ sogar mehr aus diesem Film herausholen, als wirklich in ihm steckt.
Anspiel-Tipps: