von Kristoffer Leitgeb, 08.08.2015
Der Ausflug in dezent jazzige Gefilde wird sicher nicht zu John Williams' großer Stunde, andere zeigen da mehr.
Früher war alles besser! Ja, selbst als jemand, der das Früher eigentlich kaum erlebt hat, kann man das behaupten. Um die Verallgemeinerung kurz zu relativieren, sei angefügt, dass natürlich doch nicht alles besser war. Pferdefuhrwerk gegen sparsamen Viertürer, der Vergleich fällt zumindest aufs Tempo bezogen eindeutig aus. Stinken tun zwar immer noch beide und laut sinds auch, aber Wien - Salzburg geht in letzterem doch etwas zügiger. Und, ja, Handy statt Viertelanschluss, Chemotherapie statt Tod oder Arctic Monkeys statt Roy Black, all das hat schon was. Aber gelebt hat es sich früher auch und das ohne jeden Zweifel oft gemütlicher, langsamer und mit weniger Screens um einen herum. Das hat viel für sich, allein weil man vielleicht nicht so oft in die Verlegenheit kam, wegen der mit einem den Planeten bevölkernden Hominiden Kopfschütteln und Abwenden praktizieren zu müssen. Und das Verbrechen begehen, das war auch einfacher. Millionen abgezweigt? Scheiß egal, ab nach Uruguay. Drei Leute abgemurkst? Wen kümmert's, gibt ja nicht mal wirkliche Fingerabdruckdatenbanken. Checkbetrug war damals auch was anderes, traut sich heut ja keiner mehr. Frank Abagnale hat dafür aber sogar einen Spielberg-Streifen und einen Soundtrack von John Williams bekommen. Alles in Butter also.
Immerhin bringt einen das in den Genuss, in die 50er einzutauchen. In Österreich bedeutete das zwar Trümmerfrauen und Großmachtsbesatzung, in den USA war dafür aber die Zeit des wirtschaftlich und gesellschaftlich höchsten Hochs des Landes gekommen, vorausgesetzt man gehörte zumindest zur weißen Mittelschicht. Und es war die Zeit des Jazz. Was Williams dazu inspiriert, seine Kompositionen doch mal ein bisschen anders klingen zu lassen, auf dass ja keine Erinnerungen an "Luke, ich bin dein Vater!" oder an "Du-weißt-schon-wen" aufkommen. Dafür braucht es neue Mittel, dem Meister epochaler Soundtracks fällt dazu vor allem das Saxophon, also eigentlich fast nur das Saxophon ein. Womit man ihm zumindest angesichts des starken Theme Tracks zu Beginn ein wenig Unrecht tut. Dort gelingt ihm nämlich mit dieser eigenwilligen Mischung aus klassischen Soundtrackelementen und dem Lounge-Sound, den Kontrabass, Saxophon und Vibraphon beisteuern, viel Gutes. Denn die Eröffnung schafft irgendwie den Spagat zwischen der entspannt-ruhigen Art der LP und der nötigen dynamischen Umtriebigkeit, die ein zweistündiger Film über eine einzige Hetzjagd nun mal braucht. Das glänzende Leitmotiv und die ständig wechselnden dominanten Instrumente helfen da ordentlich mit, sodass man eigentlich den Soundtrack schon ausreichend zusammengefasst glaubt.
Und es wäre auch beinahe so, wäre nicht auch fast alles Folgende schwächer als diese ersten Minuten. Jetzt fällt Kritik am großen John Williams grundsätzlich schwierig aus, denn auch der dezenteste Misston wird per se nicht zu finden sein, der gar zurückgelehnte Stil rund um die Saxophonsoli will einen aber doch nicht wirklich im Positiven anspringen. Mit The "Float" schaut's noch recht gut aus, auch weil sich dort die längste Zeit die Streicher in altbekanntem Muster austoben dürfen und mit ihren hellen Klängen die nötige träumerische Aufbruchsstimmung mitbringen. Vielleicht ist es aber gerade der altbekannte Ton, der viele von Williams' Stücken hier ins Mittelmaß zieht. Die Sax/Klavier-Kombi von Father And Son scheitert da auf ähnliche Art daran, ihre spärlichen, alleingelassenen Musiker wirklich in eine passend drückende Stimmung zu verwandeln, wie das banale Deadheading mit seiner atmosphärisch undefinierbaren Mischung aus höchsten Vibraphon-Tupfern und den schweren, unheilschwangeren Streichermelodien im Mittelteil. Es tut sich einfach zu oft zu wenig, den Soundtrack befällt die gleiche Passivität, die auch den Film teilweise auszeichnet, nur dass sich dort immer noch großartige Leinwandpräsenzen finden lassen. In den auf ruhige Art dramatischen Recolletions und A Broken Home mangelt es dagegen an Rettungsankern, die vor der Langeweile bewahren. Mit dem Saxophon gilt für Williams' zumindest emotional angedachte Stücke nämlich noch eher das Motto der Trägheit, der unbeweglichen Schwere, die aber kaum mit Kraft punkten will.
Um den Soundtrack also vor einem Flop zu bewahren, müssen andere nachhelfen. Für das ultimative 50er-Feeling getraut man sich nämlich immerhin, dem einen oder anderen Klassiker der Ära ein Plätzchen zu gewähren. Und das fährt natürlich ein wie nur was. Zumindest wenn es der alte Franky Boy ist, den man an Bord holt. Dessen Come Fly With Me sticht im Handumdrehen alles aus, was sich sonst hier findet. Die gelebte Lockerheit und Eleganz war er eh immer und man hört es umringt vom poppigen Jazz- und Swing-Arrangement auch hier jede Sekunde. In die Nähe dessen gelangt das erwartbar süßliche The Christmas Song von Nat King Cole trotz anheimelnder Performance vom tiefen Stimmchen genauso wenig wie das mit Verlaub unweigerlich leicht lächerlich wirkende The Girl From Ipanema, das Jahrzehnte nach dem Entstehen zwar noch immer musikalischen Glanz durchscheinen lässt, aber allein gesanglich nur bis zu einem gewissen Grad ernst zu nehmen ist. Doch es schreitet noch eine Grazie heran, die mit all ihrem Charme überzeugen kann, und diese nennt sich Judy Garland. Deren Embracable You wird zum romantischen Ausreißer, der sich in seiner kindisch-süßlichen Art eigentlich nicht retten können sollte, doch dieser Stimme kann man wenig versagen, auch kein Lob für diesen Schuss Kitsch.
Alles, was Maestro Williams dem entgegenzusetzen hat, packt er sodann in das Finale, das unter dem klingenden Namen Catch Me If You Can (Reprise And End Credits) auftritt. Und dort kommt eigentlich wenig an Neuem zum Vorschein, der Titel würde es auch kaum erwarten lassen. Doch in den vollendenden Minuten treffen wenigstens die beiden markantesten und demnach lohnendsten Motive aufeinander, die er im Laufe des Soundtracks zu bieten hat. Und das beschert einem den verspielten Anfang rund um Vibraphon und leichte Bläsersoli, dazu aber noch den zweiten Auftritt des anfangs so gelobten Themes.
Ergo ist man am Ende doch versöhnt, Johnny, Franky und Judy sei Dank. In komprimierter Form lässt sich sagen, dass Williams' Arbeit für "Catch Me If You Can" und damit sein ohnehin zaghaftes Anschmiegen an den Jazz nicht viel zu seinem Vermächtnis beitragen können. Zu wenig an nachhallendem, markantem, schlicht lohnendem Material lässt sich aus diesem Haufen oft durchschnittlicher Kompositionen gewinnen. Die Soundtrack-Legende überzeugt phasenweise trotzdem mit punktgenauer Dynamik, muss sich aber nichtsdestotrotz von den Gehilfen aus längst vergangenen Tagen in den Schatten stellen lassen. Ohne das Wiederbeleben dieser Klassiker würde man mit der LP weit weniger Freude haben, ob es sie in Anbetracht des großen Kanons an Klassikern von Sinatra & Co dann wirklich braucht, sei mal dahingestellt. Zumindest eines beweist die Rettung durch alte Granden aber mit Sicherheit: Früher war alles, naja, vieles besser!