von Kristoffer Leitgeb, 09.07.2015
Ein Lehrstück in epochaler Größe, das mit theatralischer Dynamik punktet, nicht mit Emotion.
Auf zu neuen Ufern, mein Freund! Es gibt nun unterschiedliche Herangehensweisen an diesen Leitspruch. Da hätten wir den Eroberer, der mit allem Mut auf dem Weg ein paar Indianer und ein paar Büffel ermordet und sich holt, was doch rechtmäßig ihm gehört. Oder aber der abenteuerlustige Entdecker, der für Wissenschaft und Neugier noch unerforschte Pfade entlangt wandert, nur um dann bei einer Kongo- oder Niger-Expedition draufzugehen oder zumindest auf ewig zu verschwinden. Und es gibt den selbsterwählten Angsthasen und Sesselkleber, der unter dem Motto 'Ich sitz aber schon hier!' einfach daheim bleibt, weil ja woanders Unbekanntes und damit Tod und Verderben lauern könnte. Willkommen also in meiner Welt...
Da ist es doch gut, dass einem die Musik alle Möglichkeiten zur Entdeckung, aber keine der unausweichlichen Gefahren bietet. So begeben wir uns also auf neues und gleichsam schwieriges Terrain, nämlich das der Soundtracks. Noch unbeackert diesseits der Donau und also überfällig. Damit aus dem Abenteuer auch noch etwas wird, reiten wir gleich zwei Jahrtausende in die Vergangenheit und in epische Schlachten, wir spielen ein bisschen "Gladiator".
Mit dem größer-als-großen Film von Ridley Scott geht das äußerst gut, was auch gleich die relevante Frage aufwirft, wie gut denn die Musik ohne das passende Bild dazu überlebt. Nun, man erwartet Bombastisches von Hans Zimmer und man wird nicht wirklich enttäuscht. Dass der Deutsche sein Handwerk per se versteht, war auch im Vorhinein klar, doch sein Versuch die schiere Überlebensgröße eines epischen Historien-Dramas einzufangen täte anfangs auch wenig, um einen daran zweifeln zu lassen. Sein zaghaft mystischer Einstieg mit eleganten Flöten-Tönen und unheilschwangerer Streicherpremiere legt nur einen ersten Grundstein, aber einen starken. Die dezenten afrikanischen Einflüsse bilden mit den leichten Gitarrenzupfern und dem tiefen, klagenden Summen Lisa Gerrards schon genug Atmosphäre und doch sind sie nur Intro für das meisterlich gezimmerte The Battle.
In Anbetracht der damit untermalten Schlacht zwar wenig kreativ betitelt, doch Zimmer breitet in diesen zehn Minuten bereits alles nur Mögliche vor einem aus. Während die schweren Bläser das allseits bekannte Leitmotiv des Films vorstellen, folgt ein langsamer Aufbau, der sich mit einem ersten Anschwellen der Streicher und Bläser-Sektion - tja, Trompeten, Tuben und Hörner sind da wirklich überall, man kommt nicht dran vorbei - bemerkbar macht. Doch erst nach einem auf- und abwallenden Aufbau kommt das eigentliche Herzstück, das sich mit abgehackten Streichern, vor allem aber wieder - na, klar doch - den Blechbläsern aller Arten einstellt, zuerst noch in gemächlicher Schwere, mit dem ruhelosen Duell der Trompeter mit den gestrichenen Saiten aber zunehmend in ideal geformtem Chaos versinkend. Und zwischen aufflackernden Filmszenen und dem Mitgehen mit jedem Akzent, den Zimmer hier setzt, erlebt man zum Ende Gerrards friedliche Serenade als Abschluss.
Bevor jemand ob dieser ausufernden Beschreibung ca. 5000 Wörter für diesen Review befürchtet, sei bereits anderes vorweggenommen. Denn Glanz und Glorie verlieren sich in rascher Folge doch merklich. Zimmers Beiträge zu den emotionalen, spirituell-mythischen Szenen des Films tun sich nämlich mit dem Aufbau von Atmosphäre und Stimmung weit schwerer. Dort wird augenscheinlich, dass auch die subtilen orientalischen und afrikanischen Einflüsse rund um Gerrards Stimme und die Duduk-Flöte nicht immer groß aushelfen. Denn in diesen ruhigeren, vom Pathos getragenen Momenten ist zwar noch immer jeder Ton an seinem Platz, dafür kommt man kaum in Verlegenheit, wirklich in der Musik zu versinken. Ob Sorrow, das vor sich hinschwelende To Zucchabar oder der Streicher-Gipfel unwirksamer Melodramatik, Patricide, alles lässt einen nur auf den nächsten meisterlichen Ausbruch warten. In die Nähe dessen gelangt er zwischendurch vor allem mit The Might Of Rome, das den Einzug in die Hauptstadt begleitet und das mit pompösem Getrommel, reichhaltiger Percussion und dem ständig steigenden Tempo bis hin zu sich überschlagenden Chorälen und Congas auch durchaus eindrucksvoll. Die harmonische Streicher-Vollendung greift diese Kraft nicht ganz auf, bringt aber dafür mit streng klassischen Elementen erfolgreich die orchestrale Größe zur Geltung.
Doch dieses ins gediegene Mittelmaß abrutschende Ausschnaufen nach dem anfänglichen Triumph dauert doch länger. Ein großes Finale soll helfen. Eingeleitet vom zweiten Endlosstück Barbarian Horde, das sich erfolgreich ähnlicher Mittel bedient wie The Battle. Vollumfassende Dynamik durchfließt einen da trotzdem nur phasenweise, dort aber in einer jede Faser durchdringenden Form, sodass die Ohren noch lange nachhallen. Dem dramatischen Finale entgegenarbeitend, kommt mit Am I Not Merciful? ein Tupfer unheilvoller, von den Violinen dominierter Dramatik ins Spiel, der sich allerdings merklich besser ins Gesamtbild einfügt, eine drückende Schwere mit grazilen Phasen verbindet und sich zum mächtigen Klimax hinarbeitet. Zur Vollendung des Spektakels braucht es allerdings noch das durch und durch harmonische Ende, das sich in Lisa Gerrards starkem Auftritt von Elysium, voll mit jeder Sprache fernbleibenden Harmonien, dem dezent-hymnischen Honor Him, vor allem aber dem finalen Now We Are Free äußert. Dort packt Zimmer noch einmal alles aus, was ihm lieb ist. Gerrard dominiert stimmlich noch einmal, wird dabei von markant afrikanischem Getrommel und unterschwelligen Streichern begleitet, die sie zu ihrem beinahe a cappella gesungenen Finale führt. Ein in höchstem Maße würdiger Abschluss, der den Soundtrack trotz fehlender Bläser - also sowas... - würdig zusammenfasst und dabei mühelos zwischen mystischer Ruhe, epischer Größe und leichtfüßiger Dynamik wandelt.
Ein erster Trip in die Welt der cineastischen Klangausstattung ist also getan. Und er wirft im Nachhinein noch immer so viele Fragen auf wie vorher - Asche also aufs Haupt des inkompetenten Reviewers. Und doch darf eines am Ende klar gesagt werden: Nebst aller unzulänglich beschriebener musikalischer Finesse und vager Aussagen über stilistische Ausgestaltung bleibt die Erkenntnis, dass Zimmer auf eine gewisse Art ein Meister seines Fachs ist. Das belegt ein Soundtrack, der besser nicht zum Film passen könnte, der aber auch abseits davon existieren kann und darf. Vor allem darf er das, weil hier genug dramatische Tiefe, sowie Abwechslung und Dynamik drinstecken, um ganz ohne Bildschirm Bilder entstehen zu lassen und Geschichten zu erzählen. Dass dabei dann das Momentum oft verloren geht, wenn der Deutsche seine Zylinder drosselt und in der Ruhe Emotion und Kraft sucht, wirkt auf ironische Weise logisch, betrachtet man die Qualität der Konkurrenz. Aufgerechnet auf seine 17 Tracks verspricht der "Gladiator"-Soundtrack aber klassische Epik auf hohem Niveau, ein Ohrenschmaus zum Augenschmaus also.