von Kristoffer Leitgeb, 09.05.2015
Die mögliche grandiose Horror-Tiefenwirkung wird des Proggers knusprige Beute.
Sehr geehrter Herr Leitgeb,
nachdem wie vereinbart ihre Zahlung eingegangen ist, erhalten Sie folgend den bei mir in Auftrag gegebenen Fehlerbericht, der in - wie gewünscht - möglichst ausführlicher Darstellung meine Recherchen bezüglich des beanstandeten Falles darlegt:
Fehlerquelle 1: Kollegen M gutgläubig vertraut.
Fehlerquelle 2: Soundtrack nicht ohne vorhergehendes zurate Ziehen des Filmmaterials konsumiert.
Fehlerquelle 3: Zu wenig Bewegung, zu viel Zucker.
Ich hoffe, der Bericht fällt zu ihrer Zufriedenheit aus und hilft ihnen bei der baldigen Lösung der Problemstellung.
Mit freundlichen Grüßen
(Name der Redaktion bekannt)
Ja, eh super. Da gibt man nichtsahnend ein paar Tausender aus für ein ordentliches Gutachten, wartet ein paar Tage, während man vor dem inneren Auge den Gutachter nächtelang schwitzend vor dem Bildschirm sitzen sieht, und was bekommt man? Drei lausige Zeilen. Also eigentlich eh nur zwei, die Lebensberatung hätt er sich nämlich ohne weiteres sparen können. Auch wirklich voll hilfreich, auf diese Erkenntnisse kommt ja keiner. Ja, ja, der Kollege war's also. Einfach mal so einen Dritten mit reinziehen, geht ja schnell. Gut, der hat zwar das Wort "Suspiria" in den Raum geworfen, als es um mögliche Soundtrackperlen für den Sommer ging. Aber trotzdem, sowas macht man nicht, immerhin ist ihm da ein Argento-Klassiker über die Lippen gekommen, das kann ja nur Gutes heißen... und er hat dabei auch sicher die gigantische Vorliebe meinerseits für 70er-Streifen - Horror noch dazu, ein Traum - und Prog Rock vollumfassend miteinkalkuliert. Also eh alles in Margarine. Dass dann die DVD nirgends aufzutreiben ist, ist Glück und Pech zugleich, der Soundtrack bleibt nämlich trotzdem noch zu reviewen. Wofür es übrigens langsam einmal Zeit wird.
Die Bühne gehört also den Italienern von Goblin, die Argentos blutrünstiges Spektakel in der Ballettschule des Grauens zu etwas noch Einzigartigerem machen sollen, als es ohnehin schon sein dürfte. Ok, gesagt getan, es werden also in aller Kürze alle großen Ideen in Form gegossen, die die Band so über die Jahre mit sich geschleppt hat. Das macht ja erst einmal Eindruck, diese unbändige Kreativität und der Plan des zu schaffenden Unikums in Musikform. Und austauschbar klingt auch wirklich wenig, wohl insbesondere weil kaum sonst jemand je darauf gekommen wäre, Songs so zu konzipieren, intonieren und arrangieren, wie es dem Quintett beliebt. Legt man jetzt das Augenmerk auf die ersten Minuten, naturgemäß der Theme Song, dann gerät man auch leicht ins Schwelgen. Auch wenn man sich nicht ganz wohl fühlt bei der Sache, die sich Suspiria nennt und einem mit Bouzouki und Tabla gleich einmal zwei Instrumente vorsetzt, die man so nicht erwartet hätte. So zupft und trommelt es sich atmosphärisch dahin, während vor allem Keyboarder Claudio Simonetti schnell beweist, dass zu einem ordentlichen Teil er die Zügel in der Hand hält. Ob die Sache wirklich Gruselfaktor hat, scheint reichlich fraglich, man wähnt sich trotz unheilvollen Geflüsters eher in den Untiefen eines Drogenrausches. Ist aber dahingehend egal. Dass das Ganze akustisch trotzdem noch großartig daherkommt, auch mit dem plötzlichen Tempowechsel, der dann mit funkigem Unterton die klassischen Rocker herauslässt und schrille Keys auf einen loslässt, ist nämlich ebenso Tatsache.
In ähnliche, eigentlich sogar schwindligere Höhen entsteigt man dann mit dem beeindruckenden Sighs. Dort zeigt sich auch wohl das einzige Mal vollumfassend der universelle Charakter der Songs, die die LP weit eigenständiger machen als viele andere Soundtracks. Man ist gar nicht angewiesen auf Bilder irgendeiner Art, stattdessen managen Goblin Emotion und atmosphärische Kraft ganz alleine. In diesen triumphalen Minuten greifen dann Zahnräder so flüssig ineinander, es ginge kaum besser. Vom mystischen Gehauche zu Beginn kommt man schnell in einen tatsächlich mit Horrorqualitäten ausgestatten Soundmix. Die kargen Riffs an der elektrischen Gitarre werden da nur von kalten, dynamischen Synthesizern begleitet, die nicht endenwollendem Heulen im Hintergrund den Kampf ansagen. Das Heulen gewinnt letztlich, es überdauert die Musik, trifft auf immer mehr in der Dunkelheit verhallende Stimmen und die wuchtigen Einsätze der E-Orgel, die sich mit aller Kraft verewigen.
Doch mit glänzenden Auftritten war es das urplötzlich. Schweigen im Walde herrscht noch lange nicht, schon das vorher eingestreute Witch arbeitet dem mit metallischem Getrommel und gleich düsteren wie schrillen Synthiewänden entgegen. Doch zwischen die omnipräsenten, verzerrten und undefinierbaren Stimmeinsätze quetscht sich mehr und mehr eine gewisse Monotonie hinein. Die zweite Hälfte bekommt das eher zu spüren, vor allem weil Goblin in Blind Concert zu unspektakulären Blues-Rockern verkommen und sich vom schwerfälligen Bass anleiten lassen, jede Dynamik verbannen. Da helfen die elektronischen Ausflüchte wenig, auch weil man die spätestens nach dem langgezogenen Markos ziemlich satt hat. Schlecht ist sie ja nicht, diese unermüdliche Ausbeutung von Keyboard und Synthies, doch über vier Minuten wird eine solche Zurschaustellung von Klängen, die an frühe Soundtracks von Joe Hisaishi, beinahe aber sogar an Daft Punk erinnern, zur langgezogeneren Übung. Goblin waren da eindeutig früher dran, doch auch mit Frühaufsteher-Bonus lassen sich bei dieser musikalischen Auskundschaftung Abnützungserscheinungen nicht verleugnen. Es ist einfach irgendwann zu viel des Guten.
Und trotzdem hält man sich und man hält sich und hält sich. Da sind die Italiener so wie das Mineralwasser. Das verdirbt halt eigentlich auch nie, es schmeckt nur irgendwann nicht mehr ganz so prickelnd. Goblin kommen mit ihren Prog-Abenteuern also doch nur in die Nähe einen zu nerven, zumindest ein bisserl fad wird es aber zwischendurch schon. Dafür stimmt die Endnote, denn das kolossal unpassende, weil in Wahrheit ziemlichen Humor offenbarende Death Valzer zeigt sich als kurzes, kleines Klavieroutro erfrischend locker und sprunghaft.
Also auch trotz ungünstiger Voraussetzungen, ja, sogar ohne den theoretisch nicht ganz unwichtigen Film ein ziemlich guter Auftritt von Goblin. Allen voran werden die fünf Italiener hier ihrem Prog-Label gerecht, gleichzeitig kristallisiert sich in diesen von stilistischen Wendungen durchzogenen Tracks aber auch immer wieder atmosphärische Qualität heraus. Nicht wirklich jene, die ein schockender Horror-Streifen braucht, doch es reicht für manch beklemmende Minute und noch viel mehr für die ihnen wohl ohnehin wichtigere Einzigartigkeit. Dem Kollegen ist dabei auf alle Fälle Absolution zu erteilen, denn der Tipp war kein falscher, nur ein schwieriger. Goblin lassen mit ihrer Arbeit für "Suspiria" einfach mal alles raus, was so in ihnen steckt. Das bedeutet immerhin ein verdammt vielschichtiges Album, trotzdem aber allein wegen des großteils fehlenden Horror-Touchs keinen großen Klassiker.