von Kristoffer Leitgeb, 21.07.2019
Gefühlvoller Seelenfrieden und der mittlere Westen in musikalischen Bildern.
Natürlich wäre es die Urform eines Irrglaubens, würde man meinen, ein auffälliger Soundtrack verlangt nach Penetranz oder stilistischer Extravaganz. Gleichzeitig diktiert einem die Logik, dass was laut und aufdringlich ist, auch wahrgenommen wird. Die Logik diktiert in diesem Sinne aber darüber hinaus den Schluss, dass zwar alle aufdringlichen Soundtracks auffallen, aber nicht alle Soundtracks, die auffallen, aufdringlich sein müssen. Es braucht aber dann doch den richtigen Film, damit dezente Klänge auch ausreichend zur Geltung kommen können und das Hauptaugenmerk nicht auf musikalischer Inszenierung liegen muss. "Good Will Hunting" ist beispielsweise so ein Film, der in diesem Fall Elliott Smith auch mit zurückhaltenden Singer-Songwriter-Darbietungen zu berechtigten Ehren verholfen hat. "The Straight Story" ist auch so ein Film und das ausgerechnet dank David Lynch, der seine absurd-verschrobene Exzentrik außen vor lässt und natürlich die denkbare Todsünde abwendet, die wirklich rührende Geschichte Alvin Straights in eine lächerliche Komödie umzuwandeln. Stattdessen kommt ein Blick auf ein winziges Puzzleteil der Gesellschaft und damit ein verkleinertes Abbild von ihr heraus, dem Angelo Badalamenti einen so guten Soundtrack komponiert, dass man ihm fast vorhalten muss, dass er ihn nicht perfekt gemacht hat.
Denn das Potenzial dazu erkennt man nach wenigen Minuten. Zwar zählt der Film trotz realem Background definitiv zu den schrägsten Road Movies aller Zeiten, doch liegt das an der zugrundeliegenden Basis: Der Trip des 73-jährigen Alvin Straight durch Iowa und Wisconsin zu seinem kürzlich von einem Schlaganfall getroffenen Bruder. Auf einem Rasenmäher...
Das Potenzial für die oben erwähnte Komödie ist wahrscheinlich erkennbar, Lynch besitzt allerdings genug Gefühl und Talent, um stattdessen eine bedächtige, kontemplative und gefühlvolle Studie über Straight und die am Weg wartenden Mitmenschen zu machen. Badalamenti wiederum unterstützt dieses Vorhaben bestmöglich. Seine Kompositionen sind von rudimentärer Natur, gestützt auf akustische Gitarren und Violinen und sonst eigentlich nichts. Darin liegt, soviel wird umgehend klar, eine puristische Schönheit. Schon mit Rose's Theme manifestiert sich diese eindrucksvoll, weil Badalamenti komplett auf cineastische Effekthascherei verzichtet und stattdessen den Minimalismus nicht nur an der Instrumentenfront, sondern auch kompositorisch etabliert. Es sind einfache Melodien, die meist innere Ruhe, Reinheit und schlicht ein Gefühl von Schönheit vermitteln. Dabei gelingt es dem US-Amerikaner am schmalen Grat zu wandern, auf dem diese Stücke gleichzeitig unscheinbar und einlullend an einem vorbeilaufen können, aber genauso in ihren Nuancen faszinierend und vor allem von meditativer Wirkung sein können. Man kann sich gut verlieren in diesen Minuten, weil man je nach Geschmack tiefenentspannt oder zum Sinnieren verleitet ist.
Im Gegensatz zu dem, was man, dieser Beschreibung folgend, vielleicht annehmen könnte, ergibt sich aus dieser stilistischen Ausrichtung nicht die geringste Monotonie. Der Eindruck ist eher konträr dazu, denn trotz offensichtlicher musikalischer Einheit der Tracks und einem steten klanglichen Fluss, in dem sich der Soundtrack befindet, bietet er genauso genügend Facetten und Eigenheiten, um lange Zeit zu faszinieren. Ist es im eindringlichen Laurens Walking das dunkle, kratzige Timbre der Streicher oder im weniger vereinnahmenden Country Waltz die rhythmische Beschwingtheit, versetzen einen im Gegensatz dazu die winselnden Streichersätze von Final Miles oder Crystal in eine dramatischere und berührende Atmosphäre. Letzteres beherrscht Badalamenti nicht weniger, trotzdem sind aber die gemächlichen Minuten, die oft genug endlose Weiten von Weizenfeldern, Sonnenuntergänge und alle erdenklichen friedlichen Szenen untermalen, jene mit der eindringlichsten Wirkung. Alvin's Theme ist in seiner Einfachheit großartig, bringt dank dem Paarlauf von Akustikgitarre und Geige mehr als nur dezente Western-Anleihen mit und ist dabei so friedvoll und elegant, dass man es nicht verbessern könnte. Sprinkler als reiner Gitarrentrack oder Country Theme sind im Vergleich dazu etwas sentimentaler angehaucht, ohne dass das in irgendeiner Form nennenswert schlechter geraten würde.
Dass es nun nicht für den perfekten Soundtrack reicht, liegt an zwei Schwächen. Die eine, umgehend auffallende, betrifft den Einsatz des Keyboards. Glücklicherweise nur in zwei Tracks sehr deutlich der Fall, dort allerdings von einer unfassbaren Schwäche, weil mit direktem Draht zum schwülstigen Kitsch klassischer US-Daytime-Soaps. Wirklich hart trifft einen das gleich zu Anfang, wo Laurens, Iowa anklingt, als gelte es, eine Versöhnungsszene aus "Reich & Schön" zu untermalen. Das tut unfassbar weh, wenn man den gesamten Soundtrack kennt. Tatsächlich kann man relativierend einwenden, dass man über dieses Machwerk drüberhören kann, es also nur dann in negativster Form auffällt, wenn man wirklich konzentriert zuhört. Dann ist es schmalziges Grauen, andernfalls ist es eine unwillkommene, aber verschmerzbare elektronische Einleitung, wo eigentlich nur Akustikgitarren sein sollten. Dem zweiten Keyboard-Track, Farmland Tour, ergeht es besser, was nichts daran ändert, dass auch da jede Begeisterung ausbleibt. Immerhin hat man davor einige glänzende Minuten gehört, nur um dann mit sowas konfrontiert zu werden.
Auf der anderen Seite steht etwas, das wohl noch jeden Soundtrack getroffen hat. Zum Ende hin ist die Faszination für manche Komposition endenwollend. Montage als Finale verdeutlicht das womöglich am besten, ist es doch für sich genommen nicht schlechter als das, was davor geboten wurde, wiederholt sogar bereits gehörte Motive. Trotzdem mangelt es an der zurückhaltenden Eindringlichkeit, die beispielsweise Laurens Walking zu bieten hat. Auch Nostalgia reiht sich da ein, klingt gut und weiß als einziger Keyboard-Track zu gefallen, doch die synthetischen Klänge zusammen mit dem hohlen, nach alter Radioaufnahme klingenden Sound sind nicht das Wahre bei dieser Tracklist.
Natürlich gilt es auch hier zu bedenken, dass das nur deswegen Kritikpunkte sind, weil so vieles andere hier so glänzend gemacht ist. Angelo Badalamenti sei Dank kann man nämlich definitiv mehr als die Hälfte der Kompositionen als erstklassig bezeichnen. Der US-Amerikaner hat hier das Kunststück vollbracht, einen großartigen Film durch seine Musik noch großartiger zu machen. Nicht nur das, auch ohne Bild dazu ist das eindrucksvolle Arbeit. Wobei sie eben nicht eindrucksvoll ist, weil Effekthascherei, immerwährende Abwechslung oder extrovertierte Kunststücke zu einer Unzahl an Eindrücken führen. Die Musik zu "The Straight Story" ist die Antithese dazu - beruhigend und gleichzeitig kontemplativ, großteils effektfrei und doch von malerischer Qualität, die zur durchdringenden Atmosphäre und Emotion auch noch Bilder erschafft. Viel mehr geht nicht, würde nicht das Gesamtbild dazu auffordern, ein paar Fehler herauszuheben. Nachdem sich diese allerdings auf wenige Stücke beschränken, bleibt einem auf zurückhaltende Art imposante Arbeit, in der man wunderbar versinken kann. Auch auf einem Rasenmäher...