von Kristoffer Leitgeb, 22.07.2017
Royale Größe im Lichte der Pflicht selbstauferlegter Zurückhaltung.
Wir alle werden nie wissen, wie es ist, Fred Durst zu sein. Gut, wir wollen es auch nicht wissen, nehme ich schwer an. Zentraler Aspekt dieses Umstands ist aber, dass es auf dieser unserer Welt eben doch ganz viele Welten gibt. Die des Profifußballers, die des "Alltagsgeschichten"-Stars, die des Bergbauern, die des vor Hunger flüchtenden Somalis. Der Wiener kennt nur eine davon so wirklich und es ist nicht die des bezahlten Ballesterers. Weit weg vom Wasserkopf-Österreicher ist auf alle Fälle die Welt der britischen Royalität. Eigentlich jeder Royalität, selbst wenn sie nicht in London, sondern nur in Phnom Penh residiert. Unter dem Union Jack sitzt aber noch immer die interessanteste Monarchin. Vielleicht nur, weil Lizzie die Nachfahrin buchstäblicher Weltherrscher ist. Wohl aber auch, weil sie mittlerweile seit über 60 Jahren den Thron warm hält und auf diesem mehr erlebt hat, als manche Bibliothek stemmen könnte. Kein Wunder, dass man den Tod Dianas dann auch aus Sicht der Queen zum filmischen Meisterwerk gemacht hat und damit die gesetzte Haltung einer wahren Königin ins Zentrum gerückt wurde.
Ähnlich wenig verwunderlich, dass die Bürde eines würdigen Soundtracks dafür mit Alexandre Desplat einem Komponisten zutiefst klassischen Schlags zugekommen ist. Das elektronische Grauen, sechssaitiger Lärm, stimmliche Verwegenheiten; nichts davon würde dem Hause Windsor zu Gesicht stehen, nichts davon kommt im musikalischen Vokabular des Franzosen vor. Stattdessen lässt er das Londoner Symphonieorchester auffahren und inszeniert mit diesem zurückhaltendere und kontemplativere Stücke, als man vielleicht erwarten sollte. Das Brimborium einer Monarchin lässt sich daraus nur vereinzelt heraushören, wenn sich Desplat seiner charakteristischen romantischen Ader hingibt und den Hörnern die erste Reihe überlässt oder das Cembalo kleinere Ausritte wagt. Trotzdem ist der Score für "The Queen" dahingehend ideal an den Film angepasst, als dass man trotz unzähliger kleiner Spielereien vor allem die strenge Selbstkontrolle und das Ziel des Maßhaltens in allen Phasen spürt. Bereits das kurze Titelstück verkörpert diesen Zugang der wohltemperierten Großspurigkeit, in der Flöten und Bläser zusammen mit im Hintergrund verhallenden Trommeln für den idealen Vorhangöffner sorgen.
Ein Charakterstück, das als solches auch gleich die Gangart vorgibt. Keine Sekunde hier könnte man als ausschweifend oder direkt unpassend definieren, selbst das Pizzicato und die leichten Xylophon-Töne des verspielten Elizabeth & Tony ordnen sich letztlich dem Credo des Soundtracks unter. Desplat entgeht dem Vorwurf der Eintönigkeit trotzdem, bewusst monothematische Auslegung fast aller Kompositionen hin oder her. Das gleich zweimal in der Tracklist zu findende People's Princess variiert zum Beispiel sehr gut die dynamische Harmonie der eröffnenden Streicher und leichten Zupfer mit dem in gehetzter Kontrolle verharrenden Cembalo- und Klavier-Intermezzo, das sich gut mit dem gestrichenen Stakkato dahinter vereint. H.R.H. entwickelt sich dagegen - wie später das ähnlich gestrickte The Flowers Of Buckingham - rasch zur puristischsten Komposition, verlässt sich fast ausschließlich auf die langgezogenen Streichernoten, die in aller Kürze den Brückenschlag vom majestätischen Panorama hin zur tragischen Schwere schlagen. Bestimmt von verlassenen Flötentönen gelingt das The Stag ebenso, verstärkt noch dazu durch das plötzliche Anschwellen des Verbunds aus Streichern, Trommeln und Cembalo, die zusammen für das kurze dramatische Maximum von Desplats Score sorgen.
Auf der Gegenseite steht eigentlich beinahe keines seiner Stücke. Natürlich lassen sich mit dem zu schnell abgeschlossenen Zupfer-Schläfer Night At Balmoral, der schwer fassbaren Aufbruchsstimmung von A New Prime Minister oder der lästigen Walzer-Stimmung von Elizabeth & Tony und dessen identem Zwilling Tony & Elizabeth die Minuten herausfiltern, deren Daseinsberechtigung zumindest fraglich sein dürfte. "The Queen" ist allerdings ein geschlossener Soundtrack, dem durch die Absenz vermeintlich unnötiger Momente schnell einmal etwas abgehen könnte. Nicht unbedingt musikalische Qualität, vielleicht aber doch die Kontinuität. Andererseits wären plötzliche Verwirbelungen im Fluss der Tracklist doch eine Kunst, bestechen Desplats Stücke doch vor allem durch die klangliche Uniformität, die zwar keine Monotonie, doch aber das nette Gefühl des Altbekannten hervorruft.
Gerade dieses Gefühl ist es allerdings auch, das ein qualitatives Ausscheren ebenso unmöglich macht wie ein stilistisches. Unter den 15 Tracks findet sich keine Komposition für die Ewigkeit, kein Thema, das durch seine Prägnanz den Legendenstatus großer Soundtrackarbeiten verdienen würde. Stattdessen durchzieht alle Stücke das Gefühl einer gewichtigen, gleichermaßen eleganten wie einschüchternden Präsenz, derer man sich nicht erwehren kann, derer man aber vielleicht auch irgendwann überdrüssig werden könnte. Wie die Queen eben, nur ohne deren trockenen Humor.
Einzige kraftvolle Ausnahme ist bei all dem das große Finale, das aber dafür auch nicht von Desplat selbst stammt. Die von Giuseppe Verdi komponierte Version von Libera Me, hier in der von Lynne Dawson auf Dianas Beerdigung gesungenen Fassung, markiert einen emotionalen Höhepunkt und einen drastischen Abschied von der bewussten atmosphärischen Limitierung der vorangegangenen 40 Minuten. Spätestens im finalen Schlagabtausch Dawsons mit dem begleitenden Chor kommt im Gegenteil theatralische Dramatik ins Spiel, allerdings in einer gefühlsbetonten und auf allen Ebenen vereinnahmenden Form, die jedem Kitsch eine ganz schnelle Absage erteilt.
Dieser abschließende Moment ist es, der dem Soundtrack einen sehr wichtigen Drall nach oben mitgibt. Denn Desplats Arbeit ist ohne jeden Zweifel gelungen und verdient im engeren Sinne das Wort majestätisch, sodass seine Stücke zum Sinnbild für ein abgeschottetes, nach außen hin gefühlskaltes und der Welt entrücktes Herrscherhaus werden, ohne dabei den emotionalen Unterboden zu verlieren, der "The Queen" als Ganzem seine Anziehungskraft gegeben hat. Letztlich gelingt es dem Franzosen aber nicht ganz, den schauspielerischen Meisterleistungen, die von Helen Mirren abwärts für ein Höchstmaß an Authentizität und Menschlichkeit im Film gesorgt haben, wirklich Paroli zu bieten. Es braucht dann doch die entfesselt dramatische Trauer einer Opernsängerin im Auftrag Verdis, um dem Soundtrack etwas zu geben, das ihn für den erlauchten Kreis der britischen Royalität qualifiziert. Zumindest wenn Lizzie das so will.