von Kristoffer Leitgeb, 25.08.2018
Wild-West-Mythos in der alpinen Tristesse.
Kaum zu glauben, aber man spricht auch in Österreich hin und wieder von einem wilden Westen. Zugegebenermaßen, meistens geschieht das bei halblustigen Innenpolitik-Journalisten, die abtrünnige und aufmüpfige Landeshauptleute Tirols oder Vorarlbergs das eine oder andere Mal in die Welt der Revolverhelden und Saloons mit Schwingtüren hineinprojezieren. Ansonsten bietet das Land wenig Gelegenheit, um nach Anknüpfungspunkten mit dem von Mythen durchzogenen Wilden Westen zu suchen. Was auch daran liegt, dass die Vorstellung von ebendem dermaßen viel mit dem klassischen Hollywood-Western zu tun hat, dass man sie schon in den USA kaum einmal in die Realität hinüberretten kann. Insofern lebt sie auch hierzulande nur im Film. Und wo ein gesalzener Western ist, muss auch die dazu passende, zwischen kitschiger Melodramatik und spannungsgeladener Endzeitstimmung schwebende Musik dabei sein. Vielleicht ist es von Vorteil, dass man mit dem Deutschen Matthias Weber einen Mann gefunden hat, der über die nötige Erfahrung im Land der unbegrenzten Möglichkeiten verfügt. Vielleicht ist er aber auch einfach nur ein Könner und realisiert deswegen den nahezu idealen Soundtrack für "Das Finstere Tal."
Ideal heißt in diesem Fall nicht unbedingt eine direkte Nähe zu Morricone oder anderen Protagonisten der Hochphase des traditionellen Western. Das wäre auch zu abgedroschen und die Eingliederung dessen in ein Setting, dass Sand und Kakteen gegen Schnee und Tannen eintauscht, entsprechend kompliziert. Nachdem aber die untypische Szenerie mit einem für einen Western archetypischen Handlungsbogen gefüllt wird, ergo der rachsüchtige Einzelgänger seine wohlüberlegt ausgewählten Opfer eines nach dem anderen erledigt, gilt es zumindest stimmungsmäßig auf der Genrelinie zu bleiben. Weber schafft das ausgesprochen gut mit einer an Jonny Greenwoods Arbeit für "There Will Be Blood" angelehnten Ansammlung an von Streichern und abgehackter Percussion dominierten Kompositionen. Extravaganz ist also vom ersten Ton an nicht angesagt, stattdessen regieren schwere Celli und helle Violinen, die beide im dahinterliegenden Nichts verhallen. The Secret schafft es damit in aller Kürze, tatsächlich nicht einmal einer Minute, ein Höchstmaß an Emotion aufzubauen und perfekten den emotionalen Ton des Films einzufangen.
Dass die Tristesse der filmischen Schauplätze auch in der Folge nach keinen hyperaktiven, mit diversen das Gedächtnis folternden Queues schreit, ergibt sich von selbst. Insofern ist der Soundtrack in seiner Gesamtheit ein Stimmungswerk, ohne gigantischen Wiedererkennungswert auf melodischer oder rhythmischer Ebene, dafür mit dichter Atmosphäre und entsprechender Anziehungskraft. Dabei sind Webers Mittel limitiert und simpel. Zu den Streichern gesellen sich abgehackt-stumpfe Drums oder Synthesizer-Bässe und vereinzelte Industrial-Anwandlungen in Form von sphärisch-metallenen Synth-Klängen, hier und da noch dunkle Blechbläser. Naturgemäß ist damit die Möglichkeit zur Beschreibung einzelner Tracks limitiert, hier trotzdem der Versuch, die Stärken passend einzufangen. Kompositionen wie Plotting oder Passacaglia Vindicta zelebrieren die bewusste Absenz von Dynamik und Tempo, bilden dadurch eine düstere, brütende Schwermut ab. Die entsprechenden Streichersätze sind trotz ihrer voluminösen Natur mitnichten klobig oder sperrig, stattdessen setzt Weber auf eine moderate Zahl an Streichern, lässt die entstehenden Klangwände damit weniger episch und eher verloren und vereinsamt wirken. Das zieht sich durch bis zum brütenden Abschluss seiner Arbeit mit Revenge Done, das mit wiederkehrenden Trommeleinsätzen zunehmend lauter und im Ton melodramatischer wird.
Die andere Seite bildet der Spannungsaufbau und die treffend eingefangene, unterschwellig oder offensichtlich omnipräsente Gewalt im - so nebenbei nicht österreichischen, sondern eigentlich südtirolerischen - Tal. Wenig kreativ, aber entsprechend wirksam generiert Weber genau diese Stimmung durch abgehackte, laut pochende Trommeln, die nur selten - wie im Fall von Wedding - und kurzfristig eine dynamischere Rhythmik annehmen. Kombiniert mit einem klassischen Streicherstakkato hilft das Confession auf die Sprünge, auf der anderen Seite schert Promise mit synthetischem Beat und langgezogenen Keyboard-Klängen soundtechnisch, nicht aber in puncto Wirkung aus. Den wirklichen Ausreißer unter Webers Kompositionen findet man mit der Dark Valley Polka, deren heitere und spielerische, mit Ziehharmonika und Fiedel angereicherte Melodie auf effektvoll zynische Weise die übrigen Tracks konterkariert.
Jetzt steht sich der Deutsche nicht wirklich selbst im Weg, obwohl er mit seinen ultrakurzen Kompositionen mitunter fragende Gesichter zurücklässt. Zwar hält das den Soundtrack auf einem erträglichen Längenmaß, nur wird niemand etwas mit kaum definierten, detailfreien Einminütern wie Mountain View oder Reminiscing anzufangen wissen. Da tut sich einfach nichts, um innerhalb dieser kurzen Zeit irgendwie Eindruck zu hinterlassen. Das sind allerdings vernachlässigbare Unnötigkeiten, was in dieser Form über die drei externen Beiträge nicht ganz gesagt werden kann. Welche Intention dahintersteckt, ist schwer zu erahnen, auf alle Fälle dürfen sich drei heimische Interpreten auf dem Soundtrack verewigen. Nur Clara Luzia gelingt es mit einer trocken, schnörkellosen Folk-Rock-Performance, den uralten Traditional Song Sinnerman in den Film einzupassen. Spröde Gitarrenakkorde und die abgebremste, bewusst unrhythmische Snare bestimmen den Song, der ansonsten nur sporadisch das Tamburin hören lässt. So soll das klingen, wenn man schon Indie-Musiker in einen solchen Film lässt. Katastrophal im Film und zumindest wenig erbaulich am Soundtrack ist dagegen How Dare You, mit dem die Steaming Satellites die Klimaxszene beschallen durften. Inwiefern spacig angehauchter Classic Rock mitsamt Robert-Plant-Gedächtnisauftritt und synthetischem Ziehharmonikasound in "Das Finstere Tal" passt, muss erst geklärt werden. Für sich allein ist der Song allerdings nicht schlecht. Und dann wäre da natürlich noch der krönende Abschluss, wiederum Sinnerman, weil es ja so schön war. Diesmal allerdings in einer Version von One Two Three Cheers And A Tiger. Und die klingt dank Retro-Synths so, als hätte man sie eigentlich für "Drive" eingeplant gehabt, was nett ist, aber dank beinahe nicht vorhandener Schnittmenge zwischen dem US-Film mit Ryan Gosling und dem Austro-Film mit Sam Riley latent deplatziert wirkt.
Diese Songs sind nicht schlecht, tatsächlich alle drei nicht. Aber zwei davon sind aus Sicht der kleinen Welt, die das Tal darstellt, dermaßen außerirdisch, dass sie reine Störfaktoren darstellen. Schade ist das, weil Matthias Weber rundherum zwar nicht gerade durchgehend brilliert, aber immerhin bravourös die Aufgabe meistert einen Spannungsbogen und eine atmosphärische und klangliche Einheit zu schaffen. Man kann genüsslich darüber streiten, ob die relative Unauffälligkeit und Unbeweglichkeit seiner Kompositionen nicht zu viel des Guten und Erträglichen ist. Allerdings gelingt ihm damit ein musikalisches Pendant zum atmosphärischen Meisterstück, das "Das Finstere Tal" darstellt. Letztlich ist das die Aufgabe eines Soundtracks und alles andere Draufgabe. Wobei ein Achsbruch natürlich trotzdem möglich wäre, ließe sich das Album nicht so reibungslos hören und könnte man in den einzelnen Tracks nicht emotional und gedanklich versinken, bis man sich selbst in der tristen Realität eines tyrannisierten Alpentals glaubt.