von Kristoffer Leitgeb, 22.08.2020
Auf göttlichen Pfaden zum teilidealen Klang für einen Rache-Western der unkonventionellen Art.
Meinungen sind Meinungen sind Meinungen und doch sind sie nicht alle gleich. Immerhin werden sie unterschiedlich gut durchdacht, unterschiedlich gut argumentiert, unterschiedlich gut formuliert und entspringen insbesondere sehr unterschiedlichen Ausgangspositionen. So ist denn auch das Lob eines Feindes ein Besonderes, weil es ja per defintionem heraussticht aus der üblichen Haltung und speziell in unseren heutigen, polarisierten Zeiten Seltenheitswert hat. Nur schwerlich ließe sich ein Rapid-Fan zu einem Loblied auf die spielerischen Qualitäten von Red Bull Salzburg hinreißen, so gut wie nie käme ein Vollblut-Republikaner auf die Idee, einem Demokraten zuzustimmen. Nun ist meine Position den Coen-Brüdern gegenüber keine feindselige, aber dann doch eine reservierte. Die kongenialen Brüder, wieder und wieder angehimmelt für ihre stilistische Wandlungsfähigkeit und ihre prägnante Mischung aus Schwarzem Humor und atmosphärischem Drama, wecken bei mir nur sehr begrenzt das Bedürfnis nach ausgiebigen Jubelstürmen. Umso gewichtiger sind selbige im Hinblick auf "True Grit", ein geniales Meisterstück des modernen Western, das eigentlich gar nicht so wirklich in dieses Genre hineinpassen will. Jedenfalls ist dort, wo die Coen-Brüder sich herumtreiben, immer auch einer mit dabei, der die beiden ihre gesamte Karriere über begleitet hat, dementsprechend eine ähnlich ausgeprägte Fähigkeit zur stilistischen Anpassung besitzt und auch für diesen Anti-Western einen gewichtigen Beitrag zu leisten hat: Carter Burwell und mit ihm die hochheilige Kirchenmusik.
Denn das Trio befand, dass die resolute, starrköpfige und furchtlose Halbwüchsige Mattie Ross als Hauptfigur des Films ja auch irgendwo ihre Überzeugungen, ihren Mut und ihre Unnachgiebigkeit her haben müsse. Und so einigte man sich darauf, dass das für eine 14-Jährige im späten 19. Jahrhundert kaum woanders herkommen könnte als auch den Kirchen dieser Welt, den dortigen Predigten und vor allem der dortigen Musik. Dementsprechend sollten Kirchenlieder, feierliche Hymnen der damaligen Zeit, die Basis für Burwells musikalische Exkursion ins Western-Terrain sein. Leaning On The Everlasting Arms, geschrieben im Jahre 1887, wird dabei umgehend zum Kernstück des gesamten Soundtrack, begleitet diesen bis zum bitteren Ende des Abspanns, in dem Country-Sängerin Iris DeMents Version des Songs als einziger gesungener Beitrag des gesamten Films wartet. Dieser findet jedoch nicht den Weg auf den Soundtrack, was sich als durchaus gute Entscheidung erweist in Anbetracht der klanglichen Einheit, die einem Burwell hier bietet. Der US-Amerikaner erlaubt sich so manches im Umgang mit den kirchlichen Inspirationsquellen, macht bereits das zentrale Stück des Films, The Wicked Flee, zu einer großteils auf das Klavier gestützten, bedeutend langsameren und melancholischeren Version des ursprünglichen Hymnus. Spätestens mit dem Einsätzen der Streicher und Bläser und deren warmem Klang wird einem jedoch auch bewusst, dass dem harten Kern der Geschichte zum Trotz eine optimistische, hoffnungsfrohe Ader den Soundtrack durchziehen wird.
Diesbezüglich rückt Burwell für einige Zeit nicht von einer gefühlvollen, geschmeidigen Ruhe ab, die höchstens durch sporadisches Aufwallen der Orchesterinstrumente gestört wird und auch dann eher eine ummantelnde, friedliche Wärme ausstrahlt, statt dramaturgische Volten zu schlagen und in aufgebauschtes Hollywood-Territorium abzurutschen. Dafür kann man ihm dankbar sein, denn sowohl die gefühlvollen Streicher von La Boeuf Takes Leave als auch die nach Aufbruch ins Abenteuer klingenden Violin-Stakkatos von River Crossing sowie dessen langgezogen-hymnische Paarläufe von Streichern und Bläsern sind im besten Sinne einladend und zu wunderschönen, kurzen Beiträgen geformt. Insbesondere River Crossing erweist sich dabei als Erinnerungsstücke an klassische Western-Epik, deren weitläufiger Klangteppich sich an die filmische Szenerie anpasst. Burwell tut also von Beginn an gut daran, auf die düsteren oder übermäßig melodramatischen Passagen zu verzichten. Stattdessen tänzelt das Klavier von Little Blackie ruhig und friedlich um einen herum, während einem A Great Adventure eine harmonische Verbindung epischer Größe und beschwingt-bodenständiger Ruhe bietet. Da ist dann ein bisschen beeindrucktes Lauschen angesagt ob des bestechenden Gefühls des US-Amerikaners für diese schwierige Balance, die jugendliche Aufbruchsstimmung, hoffnungsfrohes Gefühl und die Größe der anstehenden Reise passend einfängt.
Im Hinblick darauf lohnt es sich auch, dass der Komponist zwar nicht direkt am Personal, aber dann doch an den eingesetzten Instrumenten spart. Eine beachtliche Armada an Violinisten, Cellisten, Kontrabassisten und Bratschisten bedeutet zwar eine ellenlange Liste an Musikern, der Kern beinahe aller hier gebotenen Kompositionen ist jedoch das Dreigespann aus Klavier, den Streichern und den Blechbläsern. Nur selten verirrt sich einmal eine Flöte, eine Harfe oder kurze, düstere Percussion inmitten all dessen.
Wirft man darüber hinaus einen Blick auf die sehr ökonomische Länge des Soundtracks, der sich lediglich über 35 Minuten erstreckt, könnte man ja fast von einem beispiellosen Siegeszug eines begnadeten Komponisten ausgehen. Daraus wird hauptsächlich deswegen nichts, weil Burwell zwar in vereinnahmender, perfekt ausbalancierter Manier die helleren Momente des Films musikalisch gefühlvoll und feierlich begleitet, andere Aspekte aber etwas zu kurz kommen oder aber nicht in ähnlicher Qualität auftauchen. Die oft schon zu kurz geratenen Tracks finden selten den Weg zu fesselnder Spannung, auch wenn immer wieder der Punkt kommt, an dem Burwell mit schrilleren Streicher- und Flötenklängen in aller Zurückhaltung Spannung aufzubauen versucht, um sie dann in einem kurzen Crescendo zu entladen. Ob das dann im Einzelfall die Tuben sind, die Celli oder Violinen, die diesen Höhepunkt prägen, ist relativ irrelevant, um festzuhalten, dass nichts davon in ähnlichem Maße überzeugt wie der gänzlich anders gelagerte Beginn des Soundtracks. Dagegen haben wir es da ganz eindeutig mit den Minuten zu tun, in denen die Musik überdeutlich hinter das filmische Geschehen zurücktritt und es zwar gekonnt, aber nur selten übermäßig prägnant begleitet. Insofern ist viel dessen, was sich in der Mitte des Soundtracks abspielt, entweder eine gelungene, aber nicht überragende Variante der eröffnenden Kompositionen oder aber eine solide Übung im gesitteten Spannungsaufbau. Auf dieser Ebene mangelt es ausgerechnet am nötigen "Grit", mit dem es gelingen könnte, die düstere, dem Tod nahe Spannung effektvoller und wirksamer einzufangen. Das gelingt hier nur vereinzelt, beispielsweise mit den ersten Momenten von Taken Hostage, in denen Marching Drums auf aufwallenden Trompeten treffen und damit eindringlichen Ernst und doch auch Tristesse verkörpern, bevor wieder die hohen Streicherklänge in statischer Manier auf den Klimax warten. Der kommt dann erst mit One Against Four so wirklich und wandert auch direkt wieder in feierlich-hymnisches Gebiet, formt sich rund um eine epische, wuchtige Bläser-Fanfare, deren druckvolle Spannung aber leider auch nur kurz anhält.
Deswegen braucht es dann doch irgendwann wieder etwas Zündendes, um aus dieser soliden, aber wenig spektakulären Talsohle, die doch einige Tracks anhält, herauszufinden. Es gelingt in Richtung Filmende, mit den sentimental angehauchten Ride To Death und I Will Carry You, die die friedliche Tonart des Anfangs aufnehmen und ihn in eine emotionalere, ernstere Form bringen, die den finalen Kampf gegen den Vergiftungstod passend untermalen. Das bedeutet auch eine Rückkehr zum Klavier als fragilem Kern der Kompositionen, die wiederum ein makelloses Wechselspiel am Piano, im Streichersektor und unter den Flöten und Blechbläsern mitbringen. Und so ist es dann auch ein würdiger Abschluss, wenn mit A Quarter Century und The Grave ausschließlich das Klavier zu hören ist und eine gleichermaßen andächtige, feierliche und in melancholischer Nachdenklichkeit versunkene Atmosphäre mitbringt.
"True Grit" endet damit, wie es anfängt, nämlich ziemlich großartig. Carter Burwell sei es verziehen, dass der unbedingte Fokus auf Kirchenlieder des 19. Jahrhunderts zwar ein idealer Nährboden für friedliche, gewichtige Harmonie ist, gleichzeitig aber auch die spannungsgeladeneren Minuten des Soundtracks etwas untergräbt oder unterentwickelt erscheinen lässt. Womöglich entspringt dieser Eindruck ja auch nur der herausragenden Qualität der optimistisch-hymnischen und gefühlvollen Kompositionen, die einem hier begegnen und neben denen zu bestehen recht schwierig ist. Eindeutige Schwachpunkte ergeben sich daraus dennoch nicht, lediglich Passagen von mangelnder Anziehungskraft, um über die solide Machart hinaus großes Lob notwendig erscheinen zu lassen. Nachdem der US-Amerikaner aber mit seiner traditionsbewusst anklingenden Instrumentenwahl und der andächtigen Adaption des kirchlichen Originalmaterials oft genug für einen klanglichen Genuss sorgt, wiegt der Umstand, dass sich das auch bei kurzer Laufzeit nicht über die gesamte Tracklist erstreckt, gar nicht einmal so schwer. Ein beispielloser Triumph geht sich so zwar nicht aus, aber immer noch starke Arbeit, deren Höhepunkte sich nicht an einer Hand abzählen lassen.