Soundgarden - Superunknown

 

Superunknown

 

Soundgarden

Veröffentlichungsdatum: 08.03.1994

 

Rating: 9 / 10

von Kristoffer Leitgeb, 30.11.2018


Ein Klassiker in und außerhalb des Grunge als Update der ersten Meilensteine des Hard Rock und Metal.

 

Ich habe diese Band bereits hinlänglich mit Lob überschüttet, ich weiß. Aber was bisher gefehlt hat, war das wichtigste und nachhallendste Album des Seattler Quartetts. Wenig überraschend stammt es aus dem 94er-Jahr, das ein solches Füllhorn an starken und bedeutenden Alben - vom seichten Nerdtum Weezers bis hin zur ikonischen Selbstoffenbarung Kurt Cobains - und vor allem auch ein verdammt wichtiges Jahr für die größten Namen des Grunge war. Nun war diese Welle damals schon fast wieder am Verebben, fand aber trotzdem noch die Gelegenheit, drei seiner Big Four zu genialen Alben zu bewegen. So lose und effektiv willkürlich nun die Querverbindungen innerhalb des Grunge waren, gehörten Soundgarden wohl oder übel dazu, auch wenn kaum aufgefallen wäre, dass sie je wirklich danach geklungen hätten. Eklatante Änderungen hält auch "Superunknown" in dieser Hinsicht nicht bereit, dafür ändern sich andere Dinge, die der LP zu epochaler Größe verhelfen.

 

Denn musikalisch ist man damals nicht auf der Stelle getreten. Unbestreitbar klingt Chris Cornell so, wie er immer geklungen hat. Er ist immer noch die seelisch gepeinigte und daher eher düster brodelnde Version Robert Plants, die dessen exzentrische Mischung aus Macho-Ausbrüchen und feinfühligen Balladen-Serenaden eher zum exzentrischen Kampf mit den eigenen Dämonen werden hat lassen. Das zieht, allerdings beflügelt durch ein buchstäbliches monolithisches klangliches Gerüst rundherum, dessen Basis nichts mehr mit den Punk- und Hair-Metal-Einflüssen der 80er-Alben gemein hat. Stattdessen sind die US-Amerikaner mit ihrem wichtigsten Album zu einer der großartigsten Wiederaufbereitungsanlagen aller Zeiten geworden. Denn die Eigenständigkeit des Sounds ist insofern ein bisschen zu relativieren, als dass man ein Amalgam aus Led Zeppelin und Black Sabbath vorgesetzt bekommt, das all deren starke Seiten ideal einfängt. Den ureigenen Touch besorgt dabei hauptsächlich Cornells markanter Gesang, weniger aber die musikalische Ausgestaltung.

 

Wie nebensächlich dieser Umstand ist, wird einem bereits mit Opener Let Me Drown bewiesen. Wer geglaubt hat, "Badmotorfinger" würde mit Rusty Cage großartig loslegen, wird nicht umhinkommen auch diesen Albumstart genial zu finden, ihn ob seiner röhrenden, breitwändigen Härte vielleicht sogar noch besser zu finden. Schon da wird nämlich alles mitgebracht, was die nächsten 70 Minuten auszeichnen sollte und für Klassikermaterial von Nöten ist: Da wären wunderbar verzerrte Riffs, deren spätestens mit dem Solo greifbare Virtuosität nur durch ihren energiegeladenen Nachdruck überstrahlt wird; da wären auch der hymnische, dreckig klingende Refrain oder aber die nötige, melodischere Entschleunigung in der zweiten Songhälfte, die die Präzision der Produktion offenlegt. Ein imposantes Gesamtpaket, auch und gerade ermöglicht durch die erwähnte Produktion, die einen bis in den letzten musikalischen Winkel makellosen Brückenschlag aus klarem, auf die Feinheiten der Instrumentierung achtenden Klang und doch dem erdigen, dreckigen und vor allem durchdringenden Hard-Rock-Touch, der die Intensität ausmacht.

 

Bei all diesen Vorzügen kann man sich jetzt aussuchen, welche Seite der Band einem am liebsten ist. Ist es die harte, kompromisslose und dem geradlinigen Rock zugewandte? Dann immer her mit My Wave oder dem Titeltrack. Superunknown bringt da aber nicht nur die gebotene Schlagkraft mit, sondern auch noch den textlich wie klanglich spürbaren psychedelichen Einfluss auf die Songs. Der ist überhaupt albumumspannend markant, wenn auch nicht in jedem Moment spürbar. Will man nämlich gerad den, wären 4th Of July, Head Down oder das schräge Half zu empfehlen. Letzteres ist zwar ein wirklich scharfer Abbieger für die Band, klingt nach latentem indischen Einfluss und damit nach etwas, das sich die Beatles auch einmal erlauben hätten können, legt aber abseits des schrägen, manipulierten Gesangs eine ansprechende Mischung aus den Fab Four und den Heavy-Metal-Göttern um Ozzy Osbourne nahe. Head Down dagegen ist schleppend unterwegs und klingt von der ersten Sekunde an fuzzy, schwimmt auch rhythmisch eher dahin, als dass man mit dem Kopf durch die Wand ginge. Dabei helfen auch die dem traditionellen Rock verpflichteten Riffs, die im Speziellen in den instrumentalen Passagen weniger voluminös wirken. Da enden die zur Schau gestellten Seiten natürlich noch nicht. Hitsingle Black Hole Sun bietet ein faszinierendes, zwar immer noch - vor allem textlich - psychedelisches Schauspiel, sorgt aber mit den über Leslie Speaker verarbeiteten Gitarren für eine sphärische Schwerelosigkeit im Sound, einen starken Kontrast zum Hauptbetätigungsfeld der Band bietet. Dass der schleppende, quasi balladesque Touch noch dazu weniger hart und melodischer als so manch anderer Track der LP erweist, schadet da auch kein bisschen.

 

Sollte es eine zur Schau gestellte Facette der Band geben, die nicht gerade zu Jubelstürmen verleitet, dann ist es die, die sich dem Sludge Metal annähert und damit die Tracks noch schwergewichtiger wirken lässt als ohnehin bereits. Mailman ist genau so ein Fall, der allerdings in seiner schleppenden Gangart den Stärken von Gitarrist Kim Thayil und auch denen von Chris Cornell nicht unbedingt entgegenkommt. Fresh Tendrils ereilt trotz weniger durchschlagender Härte ein ähnliches Schicksal, weil die Dynamik der besten Minuten schmerzlich vermisst wird. Natürlich ist es irgendwann schon auch so, dass der drückende Sound der LP die Ausdauer beansprucht und dementsprechend in der zweiten Albumhälfte, mehr noch im letzten Drittel, weniger überwältigend wirkt. Man ist schon überwältigt und verpasst so vielleicht sogar die eine oder andere große Vorstellung, wobei einen nichts daran hindern könnte, The Day I Tried To Live und das abschließende siebenminütige Monument Like Suicide als großartige Songs zu erkennen. Womöglich ist es also kein Problem der Länge, wobei man kaum an der Erkenntnis vorbeikommt, dass sowohl Cornells plakativ aufbereitete innere Monologe und emotionale Kämpfe als auch die röhrenden Riffwände eine ermüdende Qualität haben. Nicht etwa, weil man sie irgendwann schlecht finden würde, aber man hält beidem nicht ewig stand.

 

Das wiederum ist ein Eingeständnis der eigenen Schwäche und keine irgendwie verwertbare Kritik an dem, was Soundgarden mit "Superunknown" anzubieten haben. Das ist eine großartige Show, die wirklich all das kann, was Rock können soll. Und noch mehr, wenn man es genau nimmt. In Wahrheit müsste man diesen Review sogar noch weiter führen, um Cornells Texten dann doch wieder gerecht zu werden, weil sie sich zwar in ihrer Ausformung eher weniger durch Komplexität bestechen, gleichzeitig aber der Inbegriff von in Musik gegossener Depression und Verdruss sind. Zwar lässt man sich trotzdem zu Motivationshymnen hinreißen und schafft es, mit Head Down ein Plädoyer für ein bisschen mehr Lachen anzubieten, ohne dass man es dem Song auch nur eine Sekunde lang anhören würde. Doch der Tenor ist düster. Allerdings glorreich düster und qualitativ so hochwertig, dass man Soundgarden in eine Ahnengalerie des Rock hineinreklamieren muss, wenn sie nicht sowieso schon in jeder stehen.

 


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