von Kristoffer Leitgeb, 09.03.2019
Die Katharsis hinter sich, ein Leben vor sich, dazwischen neoklassische Schönheit ohne Übermenschliches.
Vollmundig und mit einer an Überheblichkeit grenzenden Nonchalance habe ich vor langen Jahren einmal einen Review mit der Feststellung eröffnet, dass Depressive die besseren Musiker wären. Das klingt auch 2019 nicht komplett falsch, auch wenn es eine schwer zu verteidigende Behauptung ist, die sich von allen musikalischen Seiten mit Gegenbeispielen bekämpfen lässt. Allerdings nur sehr bedingt mit sauberen, denn um der Wahrheit möglichst nahe zu kommen, muss man sich ja einen einzelnen Musiker suchen, der nett genug ist oder war, sowohl in depressiven oder zumindest von emotionalen Tiefs geprägten Phasen als auch in weitaus besseren zu musizieren. Manch einer wird wohl ein paar Namen im Kopf haben, Brian Wilson womöglich, Townes Van Zandt oder Chris Cornell, ein paar der offensichtlichen Optionen eben. Aber Wilson war in seiner schlimmsten Phase kaum aktiv, Van Zandt eigentlich immer zumindest unvorteilhaft melancholisch und Cornell plötzlich Solist, als er am Boden angekommen war. Also schwierige Ausgangslage für eine Bewertung. Bei jemandem wie Anja Plaschg alias Soap&Skin wiederum ist es deswegen schwierig, weil bei der ihre Musik prägenden Düsternis und der Mischung aus Seelenqual und romantischer Todessehnsucht nur bedingt klar ist, inwiefern das auf ihr persönliches Leben zurückzuführen ist. Allerdings, "Narrow" war die künstlerische Verarbeitung des Todes ihres Vaters, aufgenommen nach einem Klinikaufenthalt und damit ziemlich bodennah. Eine Gegenüberstellung mit "From Gas To Solid / You Are My Friend" scheint also opportun.
Denn das dritte Album der Österreicherin ist nun nicht wirklich freudig oder sonnig, aber beides um ein Vielfaches eher als ihre frühere Arbeit. Es stellt einen künstlerischen Aufbrauch in Richtung eines optimistischeren Klangs dar, in dem nicht mehr abweisende, eisige Elektronik und düstere, gesetzte Klaviermelodien das Bild prägen. Stattdessen trifft man auf hymnische Harmonien, vollere Arrangements mitsamt prominenten Bläsersätzen und hellen Streicherpassagen und eine Atmosphäre, die weit eher inneren Frieden als den Kampf mit sich selbst oder gar Resignation vermittelt. So ungewohnt das im ersten Moment ist, so gut klingt es zumeist auch. Begünstigt wird das wohl auch dadurch, dass die versammelten Songs zwar merklich anders sind als die, die vor der langen Releasepause veröffentlicht wurden, aber dann doch keinen musikalischen Paradigmenwechsel darstellen. Begünstigt wird dieser Eindruck dadurch, dass ausgerechnet der Opener This Day klanglich eindeutig in der Tradition von Plaschgs Debüt steht, paart gedämpfte Akkorde am Klavier mit winselnden Streichern und ihrem charakteristischen, an Nico erinnernden Gesang. Es ist die deutlichste Reminiszenz an Soap&Skins Tage im Dark Wave, auch wenn die minimalistischen Zeilen eher existenzielle Fragen aufwerfen als einen direkt in die Dunkelheit zu führen.
Drastischere Schritte passieren allerdings erst mit späteren Tracks, in denen sich trotz gewohnt neoklassischer Rezeptur dank des neu ins Repertoire aufgenommenen Flügelhorns, den sporadischen Military Drums und vor allem Plaschgs agilerem Gesang eine feierliche Friedlichkeit breitmacht. Athom ist der erste Schritt in diese Richtung, beginnt zwar mit kargem Beat und schwerfälligem Klavierspiel, vermittelt aber trotzdem mit jeder Minute mehr eine emotionale Wärme, die man bisher nicht gekannt hat. Gleiches gilt für das leichtfüßige Safe With Me und dessen Kombination aus Streicher-Trio und Piano, den leicht synthetisch unterstützten, übersteigerten Klang von Heal oder natürlich das finale What A Wonderful World, das zwar das bisher womöglich schwächste Cover von Soap&Skin bedeutet, vor allem gegen Voyage Voyage vom Vorgänger deutlich weniger auslöst, trotzdem aber der Gipfel entspannter Idylle zu sein scheint, auch wenn man dank eingestreuter Soundeffekte ein dezent ungemütliches Gefühl nicht ganz los wird.
Insofern ist "From Gas To Solid / You Are My Friend" und damit Plaschgs Albumrückkehr nach sieben Jahren ein deutlicher Schritt weg von der schmerzerfüllten Kälte, die "Narrow" geprägt hat, aber auch von der gleichermaßen romantischen wie von jeglicher Hoffnung befreiten, perfekten Düsternis, die ihr Debüt ausgemacht hat. Doch wo jetzt mehr Licht ist, ist auch plötzlich Schatten, der aber nicht unbedingt eine beladene Atmosphäre bedeutet, sondern eher Schwachstellen, die man so bisher nicht gekannt hat. Italy, entstanden 2016 für den Soundtrack zu "Sicilian Ghost Story", zerbricht beispielsweise an der endlosen Wiederholung des Titels, noch dazu betont auf eine Art, die unwillkommene Schmerzen bereitet und dem feierlichen, dezent fantastischen Soundgewand entgegenarbeitet. Foot Chamber auf der anderen Seite startet wie eine Reproduktion von Radioheads The National Anthem, nur um sich in einer merkwürdig lethargischen Szenerie zu verlieren, die mit den Drums, sphärischen Soundeffekten, den Overdubs und den verschrobenen Einsätzen von Streichern und Bläsern latent überfüllt wirkt. Das ist eine unvorteilhafte Kombination, klanglich zu viel zu bieten, es aber gleichzeitig unförmig dahinstolpern zu lassen.
So bleibt es an zweierlei Dingen, dem Album den grandiosen Touch mitzugeben, der an die besten Momente von Soap&Skin erinnert. Der eine ist eine epische musikalische Collage, angeblich über ein Jahrzehnt zu seiner finalen Form gebracht und perfektioniert worden. Surrounded ist entsprechend eindrucksvoll, dramatisch inszeniert und mit einem dezent beklemmenden Unterton, der gleichermaßen Plaschgs verhallendes "Surrounded" inmitten umgebender Instrumentierung und die langgezogenen Noten der Streicher prägt. Was den Song allerdings ausmacht, ist gar nicht so sehr sein drückender Charakter, auch wenn ohne diesen wohl weit weniger herausschauen würde. Es ist das geniale Arrangement, das sich von sporadischen elektronischen Tönen zu einem imposanten Klimax hinarbeitet, in dem alles an verfügbaren Instrumenten ausgeschöpft wird, nur um danach einem klavierbestimmten, dahinschwebenden Finale Platz zu machen. Das zweite Aushängeschild des Albums heißt Palindrome, basiert auf antiker Poesie und ist ein unwirkliches, minimalistisches Gebilde, in dem sich xylophonähnliche Percussion, sphärische Streicher und Backgroundstimmen um den Tenorgesang von Hans-Jörg Gaugelhofer ausbreiten. Diese Szenerie ist trist und unwirtlich genug, um jeden Funken positiver Stimmung, der vorher aufgebaut wurde, in drei Minuten fast komplett abzuwürgen.
Was einen zu dem Schluss bringt, dass es letztlich doch wieder die düsteren Minuten sind, die Soap&Skin in ihrer besten Form zeigen. Selbst das dynamische Heal oder das dank sphärischem Choral pastoralen Charakter annehmende (This Is) Water kommen da nicht heran, so stark sie auch sein mögen. Und letztlich sind beide auch nicht so beeindruckend, wie man es von den Liedern der Österreicherin fast schon gewohnt war. "From Gas To Solid / You Are My Friend" ist aller Wahrscheinlichkeit nach ein für Soap&Skin sehr wichtiger Schritt, weil er aus einer engen musikalischen Nische herausführt, die man wohl auch nicht ewig bespielen kann, will man bei geistiger Gesundheit bleiben. Die Songs, die dieser Schritt hervorbringt, zeigen auch unverändert eine Künstlerin mit beeindruckenden Stärken, nur dass ebendiese in den aktiveren, volleren Arrangements nicht immer voll zur Geltung kommen. Entsprechend zählen auch die einzelnen Tracks selten zu ihren besten, so überzeugend sie auch insgesamt immmer noch sein mögen. Es werden offenbar weniger überwältigende Minuten und stattdessen vermehrt bestätigende, die einem deutlich machen, dass man nicht an Plaschgs Qualitäten zu zweifeln hat, dass sie sie aber bereits besser auszuspielen wusste. Bleibt nur die Frage, ob sich das so fortsetzt oder irgendwann noch etwas kommt, das "Lovetune For Vacuum" Konkurrenz machen kann.