von Mathias Haden, 24.10.2017
Das vermeintlich beste Album als Schlusspunkt einer konsequenten Entwicklung.
Chris Martin ist schuld. Nach wie vor. Immerhin war's er, der mit A Rush Of Blood To The Head diesen Pop-Alternative-Stadion-Piano-Rock so en vogue werden hat lassen... Bereits bekannt? Klar, aber irgendeinen Sündenbock braucht die Welt doch, für diese gottverdammte Pleite. Deswegen kann man dies gar nicht oft genug betonen. Obwohl dieser Sachverhalt klar scheint, muss man sich oder dem eigenen Meerschweinchen irgendwann trotzdem die Frage stellen, ab wann man denn den unzähligen Epigonen an Kuschelrockern, mit denen wir es bekanntlich ja gleichermaßen haben wie nicht haben, Schuld an ihrem frivolen Treiben geben kann. Bei Snow Patrol bietet es sich mittlerweile an, immerhin haben die selbst schon über zehn Millionen Platten verkauft, auch wenn die Trendkurve scheinbar endlich in die richtige Richtung zeigt. In diesem Zusammenhang sei auch das zweite, in meinen Ohren weit gravierendere Problem als der streichelweiche Stadion-Pop-Rock selbst, erwähnt. Nämlich der Umstand, dass diese Bands alle im Zeichen des Erfolges denselben Weg wählen und sich exakt auf dieselben stilistischen Mittel verlassen.
Deswegen hat sich auch die irische Band um Gary Lightbody auf der nunmehr sechsten LP mit einer weiteren Gitarre verstärkt. Denn groß zu sein, das bedeutet selbstverständlich einen großen, erdrückenden Sound zu okkupieren. Dafür wurde Johnny McDaid, den man mittlerweile als Co-Writer von so manchem Ed-Sheeran-Song kennt, ins Boot geholt, was auch die gesamte Besatzung temporär auf seine Höchstmarke von sechs beteiligten Personen steigen ließ. Und tatsächlich wird man direkt von den weiter aufgeschichteten Klangteppichen umgeblasen, die sich mit Opener I'll Never Let You Go um die Ohren legen. Weniger vom nichtsdestotrotz auffälligen Gitarrenzusammenspiel, mehr vom dicken Gospelchor, der kurz vor Ende Lightbodys seit einigen Jahren gewohnt pathetische Performance unterbuttert. Und man sollte diesem danken. Nicht nur, weil der in seinem wenige Sekunden andauernden Auftritt mehr Emotionen vermitteln soll, als der unter ausverkauften Tourneen und Fortune womöglich abgestumpfte Frontmann der Band in der kommenden - oh ja, ich meine, oh nein - knappen Stunde. Nun hängt dies natürlich auch damit zusammen, dass in der gewohnt dicken Suppe an Gitarren, Keyboards und Streichern wie so oft einfach kein Platz für Gefühle vorhanden ist. Das muss nicht zwangsläufig schlecht sein, bei Snow Patrol hat die Kombination aus dichtem Klangbild und Emotion in der Vergangenheit aber immerhin für den einen oder anderen Treffer gesorgt. Zwar kommt das Sextett gelegentlich mit ordentlichen Melodien um die Ecke, auch das schlägt sich nämlich nicht zwingend mit soundtechnischer Opulenz, wie uns gerade die Iren selbst einst bewiesen haben, doch liegen die in der Regel wie auf dem in ungekannte Sphären vordringende The Symphony ein paar Schichten zu tief vergraben.
Verlieren wir nun ein paar Worte über die lyrischen Ergüsse einer Truppe, die mit You're All I Have oder Please Just Take These Photos From My Hands einst ausgesprochen ordentliche Texte aus dem Ärmel zaubern konnte. Auf Fallen Empires sieht es diesbezüglich bei allem Respekt etwas mau aus. Selbst, wenn man sich aus praktisch jeder zweiten Nummer die Woo-Hoo's rausdenkt, bleibt da nicht viel übrig. Ein paar Kostproben verdeutlichen vielleicht mein Ansinnen. Da wäre etwa Lead-Single Called Out In The Dark, Fan-Liebling und Hurts-Gedenk-Electro-Popper, der sich wie die britischen Kollegen von seiner besten Seite zeigt:
"And how the heavens they
opened up
Like arms of dazzling gold
With our rain washed histories
Well we do not need to be told"
Auch wieder so ein Fall für das musikalische Philosophicum. Warum muss eine Band, die erfolgreich ist, seine Themen in Richtung Himmel und Weltschmerz richten? Ohne zu wissen, welche Zielgruppe sich an Zeilen wie
"A new empire beckons a new
kingdom in the distance
No gods are present, just the sky, the earth and us
No wings, no halos, nor the thunder in the footsteps
Because fear and anger, they are a law unto themselves"
vom nicht weniger pathetischen Weight Of Love, das zumindest mit stampfendem Drum-Beat aufwartet, laben kann, bleibt nur zu konstatieren: Der Erfolg gibt ihnen recht. Diese Aufzählung könnte sich bis zum Ende der Tracklist fortsetzen lassen, ich denke aber, mein point of view wurde verständlich dargebracht.
Außerdem ist ja nicht alles schlecht, was Lightbody und seine Gefolgschaft 2011 geschaffen haben. Wie man sich denken kann, sind Snow Patrol ohnehin nur selten unerträglich, viel zu gepflegt das auf Wohlklang getrimmte Zusammenspiel. Nicht schlecht ist beispielsweise die andere populäre Single This Isn't Everything You Are, die ausnahmsweise auf Dynamik setzt und wiederum vom prominent platzierten Drum-Sound profitiert, mit seiner choralen Hook leider wie der klassische Andreas-Bourani-Sommerhit tönt. Glücklicherweise hat die LP ja noch ihren Titeltrack, auf dem die Band endlich neue Pfade beschreitet, mit rotierenden Gitarren, einem elektrischen Drumbeat und verzerrtem Gesang herumspielt und eigentlich alles richtig macht, abgesehen davon, dem dringlichen Track irgendwann einen wohlverdienten Ausbruch zu gönnen und stattdessen mit endlosen "We are the light"-Schlachtgesängen auszufaden. Schade. Ordentlich läuft der Motor auch, wenn die Band zur Schau stellt, wie weit man als erfolgreiche Stadionband gereist ist. Einerseits in der Tat als hübsches, mit wortlosen Gesängen, Streichern und lieblichen Elektronik-Gimmicks augmentiertes Instrumental Berlin, andererseits als austauschbare Pianoballade einlaufendes, dann überraschend in eine packende Hymne mit eleganten Bläsern ausuferndes Pop-Rock-Perlchen New York. Nun, sie kennen zumindest die Hauptstädte.
Im Vorfeld der Veröffentlichung kündigte Gary Lightbody an, Fallen Empires wäre ein experimentelles und insgesamt auf jeden Fall das beste Album seiner Band geworden. Ich behaupte das Gegenteil, denn abgesehen vom mutigen Titeltrack, einem schunkelnden Razorlight-Gitarren-Abklatsch (The Symphony) und dem immer üppiger werdenden Klanggebilde ist eigentlich alles beim Alten. Es gibt die langsamen, risikolosen Balladen (Lifening), die schon einmal besser ins Ohr gingen, es gibt die üblichen Themen von der Liebe und dem Schmerz, um einige überlebensgroße Facetten angereichert und schließlich auch den Usus gewordenen Schmelz (Those Distant Bells). Leider macht das auf knapp sechzig Minuten aufgeblasen nur viel zu selten Spaß. Lightbody klingt wie ein gelangweilter Messias, seufzt sich durch das ellenlange Programm, die Band spielt solide mit, mehr geben die Songs aber einfach nicht her. Zumindest erinnere ich mich nicht an mehr als drei davon. Gelegentlich einmal auf den Chor oder Weltretterbotschaften verzichten wäre garantiert nicht verkehrt, dann kann man auch wieder ins sichere Mittelfeld zurückkehren, wo Snow Patrol ganz grundlegend beheimatet sind. Für das vermutlich schwächste, unter keinen Umständen aber beste Album möchte ich die Iren selbst aber keineswegs verantwortlich machen, das muss sich ein anderer bekannter Frontmann einmal mehr auf die Fahne schreiben.