von Mathias Haden, 07.05.2015
Lohnender Erstling, der spartanische Produktion und nackte Selbstreflexion tadellos vereint.
Promis und Nacktbilder, das ist immer so eine Sache. Man kennt ja die Geschichten von sabbernden Papparazzi, die den Hiltons und Lohans dieser Welt hinterher hetzen, um im richtigen Moment einen ganz und gar zufälligen, vielleicht peinlichen, vielleicht insgesamt aber doch im Sinne des Opfers stehenden Schnappschuss zu landen. Keine 60 Sekunden später kursieren die Bilder im Netz, mehr als ein schmunzelndes "Uppps" kann man den Abgelichteten als Rückmeldung darauf meistens nicht entlocken. Andere wiederum bringen den nimmermüden, sensationsgeilen Fotografen um den geliebten Job, lassen auf Wunsch gemachte Aufnahmen zirkulieren - oder schmücken damit das eigene Debütalbum. Man braucht sich also nicht zu fürchten, wenn einem die junge Schauspielerin/Sängerin Sky Ferreira mit ihren knapp zwanzig Lenzen links oben mit wehmütigem Dackelblick und Red Nips (statt Red Lips von 2012) aus der Dusche entgegenblickt, das war schon genau so gewollt. Verwunderung ist dennoch gestattet, ob des mutigen Zuges des exzentrischen Sonderlings, ob der Zustimmung von Capitol Records, die immerhin schon Musterknaben wie die Beach Boys unter Vertrag hatten und besonders ob der scheinbar einigermaßen überwundenen Prüderie der Vereinigten Staaten. Erwarten konnte man sich jedenfalls eine LP introspektiver, verletzlicher Natur - zumindest sprach die Protagonistin im Vorfeld davon.
Dies reflektieren die knapp 45 Minuten von Night Time, My Time auch ganz gut. Zwischen einer reduzierten Produktionsmischung aus 80s-Synthpop und 90s-Grunge lamentiert die Amerikanerin über persönliche Verfehlungen, Jungs, Liebe und Schmerz. Im hervorragenden I Blame Myself verkündet sie zu einem erfrischend poppigen, stampfenden New-Wave-Beat:
"How could you know what it feels like to fight the hounds of hell?
You think you know me so well
How could you know what it feels like to be outside yourself?
You think you know me so well
I just want you to realize I blame, I blame myself
Blame, blame, blame myself
I blame I blame, blame myself for my reputation"
und man nimmt es ihr bedenkenlos ab. Zu diesem Zeitpunkt ist man in der kaputt wirkenden Welt der Sky Ferreira bereits längst angekommen. Zuvor rechnet sie in Nobody Asked Me (If I Was Okay) und düster dröhnender Atmosphäre mit ihrer Jugend - oder dem, was einem Teen-Star als Jugend vorkommen könnte - ab und macht daraus die nächste, mitreißende Pop-Hymne; unter der Decke ihres kraftvollen Gesangs und einer Armada aus billigen Synthies verbirgt sich aber juvenile Verletzlichkeit. Die weiteren Highlights finden sich ebenfalls früh: Opener Boys punktet mit seinen brummenden Gitarrenwänden und Ferreiras fragilem Gesang, trotz des simplen Themas ist sie schon an diesem Punkt ihrer Karriere den Rivalinnen Miley Cyrus oder Katy Perry Lichtjahre voraus. 24 Hours bewahrt sich seinen Charme genau wie Boys in jugendlicher Naivität und Leichtsinn, liefert mit mitreißender Melodie und Drive plus einem wunderbaren Ohrwurm-Refrain einen der perfekten Pop-Songs 2013, zudem eine der wenigen heraus strahlenden Reminiszenzen an den konventionelleren Sound ihrer vorangegangenen EPs. Ob beim starken Ain't Your Right mit seinen flimmernden Synthies, beim gutverdaulichen, indes in seiner Leichtfüßigkeit wieder imponierenden You're Not The One oder den aufwühlenden Elektronikspielereien vom bizarren Omanko, stets führt die abgebrüht auftretende Sky die Tracks mit ihrer schönen Stimme in die richtige Richtung.
Natürlich schleichen sich auch hier die üblichen Abnutzungserscheinungen unter das beeindruckende Programm. Während die erste Hälfte der LP ganz gemäß dem All Killer, No Filler-Prinzip auftritt, kommt die zweite nicht ohne Fehl und Tadel aus. Kristine weckt zwar bereits früh mit seinem Kontrast aus Fuzz und hohem Gesang Hoffnungen, schaltet dann aber schnell einen Gang runter und verharrt bis zum Schlusspfiff in einer ungewohnt lebhaften Monotonie. Heavy Metal Heart ist leider so plump wie es sein Titel vermuten ließe, hat auch abseits seines einfallslosen Refrains nicht viel anzubieten, auch der süße, glatte Wave-Pop von Love In Stereo funktioniert trotz eines geschmeidigen Disco-Beats für sich genommen nicht besonders, erfüllt als Gegengewicht zum kaputten, billigen Sound vom Rest der LP und besonders vor dem Closer aber immerhin seinen Zweck.
Wie so oft in den letzten Wochen gibt es nämlich auch auf diesem Erstwerk einen letzten Fels in der Brandung. In diesem Fall ist es der atmosphärische Titeltrack, der in seiner düsteren, verzerrten Verwobenheit für einen gelungenen Ausklang sorgt. Den hat sich Night Time, My Time, Sky Ferreiras erstes Album, aber auch verdient. Eines dieser Werke, die trotz einfachster Rezepte ihren ganz eigenen Geschmack haben. Zwischen New Wave-Beats und dröhnendem Gitarrensound erfindet sich die talentierte Amerikanerin hier neu, singt von den selben Problemen, wie sie auch die anderen Teenie-Idole haben und wirkt doch so viel ehrlicher, authentischer und trotz ihrer adoleszenten Naivität reifer. Auch wenn die Nacktheit des Artworks sich nicht in jedem Moment ausmachen lässt, nimmt man der Sängerin doch einiges ab, was diese sich von der Seele singt. Aufgenommen in wenigen Wochen, wird diese LP jenen lange Zeit eine große Freude bereiten, die sich auf die spartanischen Synthies und den in seiner Einfach- und Kaputtheit schon wieder graziösen Pop auch wirklich einlassen: It ain’t your right but that’s okay...