von Kristoffer Leitgeb, 01.03.2021
Ein Song für die Geschichtsbücher, einer fürs eigene Best Of und zu viel pastorale Friedlichkeit.
Was macht der handelsübliche Erdenbürger an einem handelsüblichen Mittwochmorgen? Er steht verschlafen auf, verflucht das Prinzip der Lohnarbeit, frühstückt und nuckelt wahlweise am Kaffee, Tee oder Energy Drink, während er sich fertig macht für das unfröhliche Werken in den nächsten +/- 8 Stunden. Was machen Paul Simon und Art Garfunkel? Offenbar um drei Uhr früh einen ordentlichen Harmoniegesang anstimmen zu Ehren des einzig wahren Heilands, zumindest wenn man nach ihrem Debüt gehen darf. Schräge Vögel also, die auch trotz musikalischer Beheimatung im damals durchaus mehrheitsfähigen Folk kein nennenswertes Publikum fanden, als sie damals erstmals ein Studioalbum in die Welt entließen. Der Rest ist Geschichte, eine unverschämt erfolgreiche sogar, die zwei engelsgleiche Stimmen in den Olymp der Popmusik katapultierte, auch wenn nur eine davon wirklich langfristig dort agieren sollte. Dass das mit dem ersten Album aber so gar nicht gelungen ist, dort schon einmal erste Schritte hinzusetzen, sondern stattdessen die Musikwelt an den beiden so ziemlich vorbeizog, ist wohl gar keine große Sache. Auch der Dylan Bob hat mit seiner LP-Premiere keine Bäume ausgerissen und wurde trotzdem noch zum Folk- und generellen Gott. Die Ursachen für den schwierigen Einstand decken sich auch zumindest teilweise und sind dann doch wieder grundverschieden.
Vielleicht liegt es bei "Wednesday Morning, 3 A.M." wirklich einfach nur daran, dass das Material, wie auch beim Dylan-Debüt, großteils nicht aus der eigenen Feder des Duos bzw. eher der von Paul Simon stammte, sondern traditionsbewusst aus der weiten Welt angestaubten Folks und pastoraler Hymnen zusammengestückelt wurde. Vielleicht aber auch daran, dass die LP mitunter beinahe an ihrer mit kirchlichem Hintergrund gesegneten Friedlichkeit zugrunde geht, anstatt daraus großartiges Kapital schlagen zu können. Eventuell hat auch beides seinen Anteil daran, dass es nichts wurde mit dem Erfolg und dass auch nicht gerade ein großer Klassiker herausgeschaut hat. Die versammelten Kompositionen sind schlicht nicht dafür geschaffen, die Qualitäten dieses insbesondere gesanglich unerreichten Duos bestmöglich einzufangen. Das ändert nichts daran, dass es dann doch oft genug in ziemlich eindrucksvoller Art gelingt. Schon Eröffnung You Can Tell The World, so untypisch sie als freudig-lockerer, unentwegt dahinrollender Hymnen-Folk für das Duo sein mag, überzeugt dank der perfekt abgestimmten Stimmen der beiden, die einem hier erstmals in vollendeter Harmonie entgegensingen. Und auch der schnellen Gangart kann man da einiges abgewinnen, wird doch jeglicher ermüdender Qualität dieses kirchlich angehauchten Liedguts damit gleich einmal der Kampf angesagt.
In der Folge passiert das leider nicht oft genug, sodass man ein bisschen Gefahr läuft, selig zu entschlafen, anstatt sich von den Songs emotional vereinnahmen oder musikalisch begeistern zu lassen. Das ändert absolut nichts daran, dass das Duo selbst in seinen bescheidensten Minuten eigentlich durchwegs immer noch zu ordentlichen, zumindest durchschnittlichen Darbietungen im Stande ist. Dem countryfizierten Last Night I Had The Strangest Dream mit seiner bewegungsarmen Mischung aus Akustikgitarre und Banjo oder der spannungsfreien Aufarbeitung von Peggy-O zu lauschen, ist aber dennoch eine mäßig Interesse weckende Sache. Schön anzuhören sind sie durchaus, die Gesänge, aber dann doch gleichzeitig so verdammt ungefährlich und charakterarm, dass es schwierig wird, sich damit länger als bis zum Ende ihrer Laufzeit damit zu befassen. Was immer noch besser ist als die lange nachhallende Verwunderung über den zweistimmigen Kanon Benedictus, der seinem Titel und seiner Machart nach direkt aus dem Benediktinerkloster in die Lautsprecher eingespielt worden sein dürfte und mit seiner Begleitung aus Akustikzupfern und ausdruckslosem Kontrabass so verstörend friedlich und pastoral angehaucht daherkommt, dass man ihn gerne vergessen würde. Immerhin beschwingter und lebendiger, damit auch für den Harmoniegesang förderlicher, dann aber dennoch von einer zersetzenden, religiösen Fröhlichkeit geprägt, ist auch Go Tell It On The Mountain kein wirklicher Genuss, sondern Material, das man der Welt ersparen hätte können.
Man darf allerdings nun nicht auf den falschen Gedanken kommen, das wäre alles, was es über dieses Album zu berichten gäbe. Das hat so ziemlich ausschließlich damit zu tun, dass Paul Simon eben doch einige seiner Kompositionen hier unterbringen durfte und diese durch die Bank in ihrer Form und Umsetzung dem Duo bereits viel dessen entlocken können, wofür sie wenig später berühmt werden sollten. Bleecker Street, He Was My Brother und der die LP beschließende Titeltrack sind allesamt zwar atmosphärisch ebenfalls nicht wirklich aus der Ruhe zu bringen. In ihrer dogmatischen Fokussierung auf die Akustikgitarre sind sie aber gleichzeitig spärlich und fragil genug, um dem samtweichen Zweigesang der beiden US-Amerikaner den idealen Boden zu bereiten, aber auch stark genug eingespielt, um der Gitarre die eine oder andere Eindruck machende Feinheit zu entlocken. Nicht zu vernachlässigen auch: Sie sparen sich den verzichtbaren kirchlichen Kitsch und setzen dagegen zögerliche Schritte in Richtung gesellschaftlicher Themen und einer romantischen Ode an die Geliebte, die als Closer des Albums besonders gefällt.
Netterweise hält Simon dann auch noch zwei Songs bereit, die als Sahnehäubchen und Kirsche des Albums bestechen. Die poetisch verpackte Gesellschaftskritik der Fabel Sparrow bietet mit dem steten Galopp des Kontrabass und der Gitarre einen guten musikalischen Kontrast zu den oft langgezogenen Noten der beiden Sänger und überzeugt textlich genug, um auch auf den beiden folgenden Alben ein positiver Ausreißer sein zu können. The Sound Of Silence ist dem gegenüber eine dreiminütige Legende, wie sie der Folk wohl sonst kaum kennt. Tatsächlich leider erst in der lauteren, dem damals trendigen Folk Rock verpflicheteten Version, die ohne Wissen von Simon & Garfunkel durch Tom Wilsons Overdubs 1965 entstand, zum großen Hit geworden, ist es das Original, das der eigentliche, alles überstrahlende Triumph des Duos sein sollte. Unerreicht in seiner musikalischen Einfachheit, Zurückhaltung und fragilen Schönheit, kann man sich in den spärlichen Akzenten der akustischen Gitarren genauso verlieren wie im Gesang. Wie dieser in seiner eigentlich so unscheinbaren, schlichten Art flehende Verzweiflung und doch spürbare, schwelende Wut vermittelt, während er dennoch einfach nur ein Traum für die Ohren ist, kann gar nicht genug gewürdigt werden. Genauso wie auch Simons Zeilen, deren emotionaler Befund über das beobachtete kommunikative Elend, die Gleichgültigkeit und Oberflächlichkeit der Menschen, bis heute nachhallt und das wohl auf ewig tun wird.
Insofern ist "Wednesday Morning, 3 A.M." ein Erfolg, ohne jemals wirklich ein Erfolg gewesen zu sein. Seinen deutlichen Schwächen zum Trotz, die hauptsächlich vom unvorteilhaften, entliehenen Songmaterial herrühren, ist das Album hauptsächlich dank der Kompositionen von Paul Simon ein Gewinn. Die nehmen nämlich durchwegs bereits spätere Qualitäten des Duos vorweg und würden auf keiner der nachfolgenden LPs einen schlechten Eindruck machen. Selbst wenn dem nicht so wäre, bekommt man immer noch zwei erstklassige Momente gesellschaftlicher Kritik, die zwar weniger anklagend und stattdessen bedrückt nachdenklich klingt, aber deswegen um nichts weniger eindringlich wirkt. Eher im Gegenteil ist es gerade die Ruhe, die musikalische wie textliche Zurückhaltung, die ein absolutes Juwel wie The Sound Of Silence erst möglich macht. Dessen emotionale Kraft sucht ihresgleichen und sollte auch seitens Simon & Garfunkel unerreicht bleiben. Allein dafür gilt es, ein Album wie dieses zu schätzen und ein bisschen in Ehren zu halten. Obwohl es gar nicht einmal nur das zu bieten hat, führt aber dennoch kein Weg an der Feststellung vorbei, dass es sich zwar um ein grundsolides Album handelt, aber eben doch um das schwächste, das diese beiden in ihrer kurzen gemeinsamen Zeit geschaffen haben.