von Kristoffer Leitgeb, 02.11.2019
Der Aufstieg in den Folk-Rock-Olymp klingt zeitgeistig und in all seiner Großartigkeit doch zeitlos.
Es gibt so viele legendäre, mitunter mythischen Charakter annehmende Geschichten aus der Welt der Pop-Musik da draußen, dass jene rund um den großen Durchbruch von Paul Simon und Art Garfunkel eigentlich untergehen sollte bei all der Konkurrenz. Allerdings beschreibt sie wohl perfekt das Duo, das so sehr vom eigenen Erfolg überrascht wurde wie sonst kein Musiker auf dem Planeten, ist dabei quintessentiell passend für die 60er und gibt auch ein wenig Gelegenheit zum Lachen. Da machen die doch glatt ein Debüt, das an fast der ganzen Welt vorbeigeht, sogar belächelt wird, vor allem wenn es denn live zum Besten gegeben wird. Es riecht schon nach endgültiger Trennung, weil Paul Simon sich ins UK und irgendwann solo ins Studio wagt, ultimativ natürlich erfolgsarm wie eh und je. Und dann fasst sich Produzent Tom Wilson ein Herz und modelt einfach so The Sound Of Silence um, damit aus dem Akustiksong etwas wird, das auf der Byrds'schen Folk-Rock-Welle schwimmen kann, und schon ist da Platz 1 in den Charts. Gerechnet hat damit keiner, was allein schon daran erkennbar ist, dass Paul Simon für die Aufnahmen im Studio, die letztlich "Sounds Of Silence" ergeben sollten, extra wieder aus dem UK herübergeflogen kam. Retrospektiv und auch mit wohligen Folk-Klängen in den Ohren kann man sagen, dass sich der Flug gelohnt hat wie fast kein zweiter.
Denn dieses zweite Album ist entgegen durchaus mäßiger Voraussetzungen ein Volltreffer. Wirklich originales Material war zwar beinahe nicht zu haben, nachdem Simon aber nicht lange davor sein Solodebüt veröffentlicht hatte und mit den Aufnahmen nicht so recht zufrieden war, konnte man sich ja gleich einmal dort bedienen. Einmal den aufbereiteten großen Hit dazu, ein Instrumental, ein vertontes, umgeschriebenes Gedicht und vielleicht doch noch ein Song, der genuin für dieses Album geschrieben wurde und schon ist alles Nötige beisammen. Der große Hit, also natürlich The Sound Of Silence, eröffnet in klassischer 60er-Manier natürlich die LP, ist aber auch auf seine Art eine Enttäuschung, weil man hier zwar einen starken Song zu hören bekommt, da aber ja doch diese unfassbar gefühlvolle, ruhige, zerbrechliche Urversion auf dem Debüt war, die man hier in der nachbearbeiteten, aufgeblasenen Aufmachung nur mehr bedingt erkennt.
Insofern müssen es andere Tracks richten und ich fürchte, der Platz wird früher oder später ausgehen, sie alle ausreichend zu würdigen. Bereits das wunderbar verspielte und dezente Leaves That Are Green erhebt mit seinem genialen Zusammenspiel aus akustischer Gitarre und Cembalo in meisterliche Sphären. So ganz erklären lässt es sich nicht, warum der unaufgeregt ruhige Harmoniegesang der beiden US-Amerikaner gar so gut mit dem unerwarteten Tastengeklimper dazwischen funktioniert, es ist aber auf alle Fälle eine eindrucksvolle Mischung. Wobei die starken Eindrücke, die man hier gewinnt, in keiner Minute irgendwie einschüchternden Charakter hätten. Im Gegenteil sind die hier zum Besten gegebenen Songs insbesondere dann ein Genuss, wenn sie sich eben doch ganz simpel und zurückhaltend präsentieren. April Come She Will und Kathy's Song sind die emotional eindringlichsten Beispiele dessen. Insbesondere ersterer nimmt den aufs Minimum reduzierten Singer-Songwriter-Folk von später ähnlich großartig agierenden Herrschaften wie Nick Drake oder Elliott Smith vorweg und ist folglich ein berührendes Stück, einfach und mit hauchzarter Gitarrenarbeit gesegnet.
Trotz merklich lauterer Szenerie ist letztlich ein Song wie Richard Cory nicht weniger dieser Einfachheit verpflichtet. Klassischer Folk-Rock wird einem da kredenzt und während der trockene Sound dahinstampft und antreibt, ist der Trumpf des Songs der von Simon adaptierte Text, das gleichnamige Gedicht von Edward Arlington Robinson. Die kurze Geschichte vom stinkreichen Society-Liebling, der dann, wie man erst spät erfährt, doch nicht durch und durch glücklich ist, obwohl er alles hat:
So my mind was filled with wonder when the evening headlines read:
'Richard Cory went home last night and put a bullet through his head.'"
Musikalisch ähnlich gelagert und trotz des vermeintlichen Seelenfriedens, der hier durchwegs musikalisch und gesanglich vermittelt wird, auch nicht unbedingt den sonnigen Seiten des Lebens zugewandt, ist der finale und endgültige Höhepunkt des Albums. I Am A Rock ist die Hymne für alle strikten Einzelgänger, insbesondere die emotional zerstörten, die sich vom Rest der Welt abschirmen wollen. Wohl weniger von einer poetischen Schönheit wie April Come She Will, dafür aber direkt und pointiert, bekommt man hier jene Zeilen, die wahrscheinlich am ehesten nachhallen und im Gedächtnis hängen bleiben werden:
"I've built walls
A fortress deep and mighty
That none may penetrate
I have no need of friendship, friendship causes pain
It's laughter and it's loving I disdain
I am a rock
I am an island
Don't talk of love
But I've heard the words before
It's sleeping in my memory
I won't disturb the slumber of feelings that have died
If I never loved I never would have cried
I am a rock
I am an island"
Um diesem Textüberfluss Einhalt zu gebieten, sei an dieser Stelle ein drastischer Schwenk erlaubt. Dieser führt uns dorthin, wo jene, die sich nicht überzeugen lassen wollen, am allerschnellsten mit ihrer Kritik ansetzen können. Das für die Verhältnisse von Simon & Garfunkel unerhört laute, dem Rock & Roll entsprungene We've Got A Groovy Thing Goin' ist wohl mit einiger Sicherheit der Schwachpunkt des Albums. Immerhin lässt sich hier inmitten der galoppierenden Percussion, der E-Gitarrenriffs und unterstützender Keyboard- und gar Bläserklänge wenig der unnachahmlichen Qualität des Singer-Songwriter-Duos erkennen, sodass außer der ordentlichen Hook und dem nicht zu leugnenden Drive wenig da ist, auf das man sich freuen könnte. Der schleppende, schon leicht psychedelisch anklingende Song Blessed wirkt genauso etwas überladen, aber auch ungleich interessanter. Da wurde die jangelnde Gitarre weit besser eingesetzt, was sich genauso gut über die beiden markanten Stimmen sagen kann. Zwar passen Musik und Gesang da nicht gerade wie die Faust aufs Auge, aber es ist ein Versuch, der durchaus einmal gewagt werden darf.
Trotzdem merkt man, warum schon eher etwas wie das Akustik-Instrumental Anji die Richtung vorgeben sollte, in der Simon & Garfunkel ihre Qualitäten perfektionieren sollten. Wobei man hier fast einschränken muss in Anbetracht dessen, wie großartig schon "Sounds Of Silence" selbst ist. Viel scheint es da nicht mehr zu verbessern zu geben, sieht man einmal davon ab, dass man mit etwas mehr Zeit für die Aufnahmen wohl nicht auf die Idee gekommen wäre, etwas wie We've Got A Groovy Thing Goin' einzubauen. Auf der anderen Seite ist das zweite Album des Duos auch aufgrund der nicht vorhandenen Zeit angenehm naturbelassen und unverziert, gibt sich auch in den exzentrischeren Minuten sehr straighten Klängen hin. Das schafft umso mehr Raum für die Hauptrollen, Paul Simons und Art Garfunkels Stimmen und zumindest genauso sehr die oft eindringlichen, gefühlsbetonten Texte. Insofern kann es, wenn es denn um Folk-Rock geht, wohl gut und gerne präziser, ambitionierter, wohl auch kreativer zugehen, wahnsinnig viel besser wird es aber nicht mehr, als diesen beiden und ihrer überschaubaren musikalischen Unterstützung hier zuzuhören.