Serj Tankian - Harakiri

 

Harakiri

 

Serj Tankian

Veröffentlichungsdatum: 10.07.2012

 

Rating: 6 / 10

von Kristoffer Leitgeb, 23.05.2015


Der schwere Weg zurück zu alter Stärke führt Tankian mehr denn je in die Welt des Pop, lässt ihn den Rock aber genauso wiederentdecken.

 

Sehr geehrte Damen und Herren, das feierliche Wort zum Sonntag, im Namen des Vaters, des Sohnes und der nervigen kleinen Schwester: Was einmal bergab geht, das kommt nicht wieder zurück nach oben! Möge es euch allen Hoffnung spenden!

Wer dem keinen Glauben schenken will, der frage bitte nach beim Römischen Reich, der Wiener Austria oder der Lawine des Vertrauens. Man kann auch so manchen Musiker fragen, Bestätigungen werden einem immerhin von Leuten wie Avril Lavigne, Lil Wayne oder Pink Floyd entgegenkommen - auch wenn Roger Waters es eigentlich nie zugeben würde.

Weil aber irgendwer ganz sicher damit ankommen wird, dass das schlechte Essen vom Vortag doch auch ganz locker wieder den Weg hinauf findet, muss in der Musik nach ähnlich gelagerten, aber weniger unappetitlichen Beispielen gesucht werden. Die Wissenschaft verlangt es und findet sogleich Serj Tankian. Der hat seine Karriere eigentlich wunderschön gestaltet, um von den Höhen, die "Toxicity" zu bieten hatte, in die unwirtlichen Tiefen eines "Imperfect Harmonies" abzurutschen. Aber es steckt doch noch genug im Armeno-Ami für die Strapazen des Wiederaufstiegs, wenn auch mit "Harakiri" sicher nicht bis zu irgendwelchen Gipfeln.

 

Braucht aber auch keiner, man ist eh schon froh, wenn in der weiblichen Hauptrolle wieder die E-Gitarre zu hören ist und nicht die Elektronik. Und siehe da, er tut einem den Gefallen. Kratziges Gezupfe eröffnet die dritte LP, leitet ein bisschen lockeren Rock ein, den man Tankian eigentlich kaum noch zutrauen hätte können. Cornucopia ist da gleichzeitig poppig und ein bisschen hart, gleichzeitig aufgeweckt hell und doch ein bissl düster. Komische Kombination, wie man merkt. So ganz will der gar meisterliche Beginn nämlich nicht transzendieren, auf dass er sich auch meisterlich hört. Zwar taugen einem die Riffs, vor allem in den kurzen aggressiven Ausbrüchen, die die zweite Hälfte zu bieten hat, doch die langgezogene Nummer verrennt sich in ihrer ungekannt unspektakulären Art ins Mittelmaß. Irgendwie ein wenig zu brav, wie Tankian da seinen Sing-Sang zelebriert, sich nicht zu lauteren Worten hinreißen und die Gitarren im Hintergrund etwas zu eintönige Dominanz versprühen lässt. Ein bisschen zufrieden darf man aber schon sein, denn urplötzlich hat dieses ehemalige Aushängeschild des Mainstream-Metal wieder etwas mit Rock zu tun.

 

Unter diesem Stern stehen auch die übrigen Songs und versuchen damit den Spirit der lauten SOAD-Tage zurück zu bringen. Recht erfolgreich, wie man mitunter merkt. In Leadsingle Figure It Out gibt's kernige Riffs, zwischendurch sich überschlagende Drums und einen Sänger, der die alte Tugend wechselnder Gesangstypen aufleben lässt. Denn das in aller schnelle ins Mikro gesprochene "Fuck, let's figure it out" wird nicht nur von langgezogenen Arien begleitet, sondern auch vom althergebrachten Sprechgesang, der zusammen mit der im Hintergrund den Aufstand probenden Band für ziemlich lohnende Minuten sorgt. Wenn man auch ein bisschen ein taubes Ohr haben muss, geht es denn ans Eingemachte, nämlich an die Texte. Der große Philosoph steckt offenbar nicht mehr in ihm, Banalitäten geben sich hier vielfach ein Stelldichein, um den erhobenen Zeigefinger in offensichtliche Wunden zu legen. Die gesellschaftspolitische Note dominiert, dem poppigen Charakter der LP wird aber Tribut gezollt, die Finanzkrise wird mit einem eher lapidaren "Why pretend that we don't know / CEOs are the disease?" abgehandelt.

 

Und so gräbt sich Tankian durch ein Album, das vor allem von seiner Rückkehr zu einem härteren, geerdeteren Sound lebt, die gewichtigen Themen nur hin und wieder ausreichend vermitteln kann. Man kann damit leben, denn die punkigen Einflüsse, die Songs wie Butterfly oder Weave On kennzeichnen, sorgen zuallermindest für einen kurzweiligen Trip. Besser geht's trotzdem, wenn sich neben diesem stabilen Fundament noch anderes auf der Haben-Seite finden lässt. Ching Chime's orientalischer Touch zündet von der ersten Sekunde, was auch Tankians Auftritt an der Baglama zu verdanken ist. Mit Laute im Gepäck tut man sich dann mit einem erfrischenden Sound gleich leichter, vor allem wenn er durch eine starke Performance des Drummers und auch von Tankians Stimme verstärkt wird. Der Pop-Punk von Uneducated Democracy kommt ohne solchen Schnick-Schnack aus, bietet mit dem treibenden Beat und den starken Power Chords aber auch genug, um so etwas wie Leere erst gar nicht aufkommen zu lassen und dem wahren Wort die passende Bühne zu bieten:

 

"Thanks for allowing us to fuck you

Behind closed doors, closed minds

Attractive feudalism

Commercial Orwellianism

 

The final revolution

Will illuminate silence

Release us to the Utopians

Let go, let go

 

Without education there is no real democracy

Without education there is only hypocrisy"

 

Trotz des relativ experimentfreien Raumes, den "Harakiri" mit seinem abgesicherten Sound darstellt, bleibt aber trotzdem genug Platz für Ausrutscher. Deafening Silence ist das schwachbrüstige Überbleibsel der Liaison von Tankian mit der Elektronik, bietet neben dem nicht unlebendigen Beat eigentlich nur einen fad vor sich hinsingenden Armenier mitsamt ähnlich lustloser weiblicher Unterstützung und einer Synthie-Fassade, die zwar nichts erdrückt, trotzdem aber dem billigen Kitsch Tür und Tor öffnet. Konsequenterweise wird das ähnlich uninteressante Forget Me Knot direkt hinterher geschmissen, damit die Sache wenigstens schnell vorbei ist. In einem Versuch den klassikgeprägten Rock von Debüt "Elect The Dead" zurückzubringen, wird mit wirkungslos verpuffenden Piano-Passagen ein träger Gitarrenbrei zu retten versucht. Gelingt weniger.

Überhaupt unnötig, mit dem starken Occupied Tears landet er nämlich in Wahrheit fast wieder dort, wo ihn sein bisher bester Auswurf, Empty Walls, hingebracht hat. Starker Alt-Rock mit ordentlicher Message, die zwar dank der fehlenden Härte und Tankians der Feinheit früherer Tage beraubter Stimme im pathetischen Lager Platz nimmt, irgendwie aber auch mit zusammengestückelten Zeilen die Kurve zum Friedensaufruf kratzt.

 

Ergo nicht so ganz klar, wie man nun in der Sache Serj Tankian vs. musikalischer Abstieg votieren soll. Erfangen hat er sich aber, so viel Schulterklopfer kann und muss es geben. Denn "Harakiri" bringt den ehemaligen Metal-Protagonisten wieder zurück auf eine Straße, die mit Riffs und energiegeladenen Drums gepflastert ist, die musikalische Erkundungstour dafür einmal kurz hint anstellt. Das bringt einen in den Genuss, wieder vermehrt lohnende Minuten serviert zu bekommen, die zwar ihren poppigen und simplen Anstrich etwas gar stolz vor sich her tragen, dafür aber ein beständiges, mit wenig negativen Überraschungen gespicktes Album formen. Die großen Heldentaten bleiben zwar auch aus, doch die Fähigkeit ein paar nette, eingängige Songs zu schreiben, die sich auch gleich den wichtigen Themen annehmen, die ist Tankian dann wieder nicht verloren gegangen. Also doch eine gelungene Rehabilitation nach dem tiefen Fall.

 


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