Selena Gomez - Revival

 

Revival

 

Selena Gomez

Veröffentlichungsdatum: 09.10.2015

 

Rating: 5.5 / 10

von Mathias Haden, 01.07.2017


Geglückte Emanzipation inmitten Schichten generischer Soundschwaden.

 

Sich selbst neu zu finden und erfinden, ist in jeder Subkategorie der Kunst in der Regel mit einem gewaltigen Risiko verbunden. Wie wird das Label auf die Re-Invention, wie die Fans auf die Abkehr vom bislang geliebten Kurs reagieren? Wird es von Kerrang! dasselbe Rating wie immer geben? Gut, davon ist stets auszugehen. Manche haben zeit ihres Lebens schon so viele verschiedene Pfade beschritten, dass man zumindest aus heutiger Sicht darüber schmunzeln kann. Man denke da nur an die synthetischen Ausflüge eines Neil Young Anfang der 80er, Scott Walkers aufkeimende Liebe für die Avantgarde oder die ewigen Kreuzzüge der Rastlosen unter den Musikern, immer auf der Suche nach einer neuen Herausforderung wie David Bowie, Linda Ronstadt oder auch die Byrds in ihren kreativsten Jahren.

 

Selena Gomez dagegen hat in ihren jungen Jahren noch nicht ganz so viel erlebt. Behutsam aufgewachsen zwischen Walt Disney-Marktstrategien, einer Armada an verliebten Teenagern und Pädophilen und einer noch größeren Armada an profitgeilen Paparazzi erlebte die US-Amerikanerin mit mexikanischen und italienischen Wurzeln mit ihrer streichelweichen, elektronischen Teen-Pop-Band The Scene um die Jahrzehntwende ein paar erfolgreiche und unbeschwerte Jahre als Frontgirl. Um sich schließlich weiter zu emanzipieren, folgte die Trennung von der Band, wurde am vorläufigen Höhepunkt ihrer kommerziellen Strahlkraft eine Solokarriere angestrebt, die mit dem zerfahrenen Stars Dance direkt an die Spitze der Billboard-Charts vorstieß. Mit dem Labelwechsel von Hollwood zu Interscope sollte in weiterer Folge der nächste Schritt getan werden, ganz dem klassischen Walt Disney-Kinderstar entsprechend, endlich als Frau und eigenständige Künstlerin wahrgenommen zu werden. Diese Bemühung trägt den Namen Revival und ist tatsächlich von einer Reife durchzogen, die man auf den bisherigen Alben meist vergeblich sucht.

 

Das ist mitunter schon dem Umstand geschuldet, dass Gomez hier erstmals an der Mehrheit der Songs zumindest beteiligt ist, Pseudo-Songwriter wie Kevin Rudolf außen vor bleiben. Zwar wird weiterhin tanzbarem Pop gefrönt, doch tragen die Tracks nicht mehr Titel wie Kiss & Tell oder Summer's Not Hot, sondern Hands To Myself oder Sober. "What I've learned is so vital / More than just survival / This is my revival", kündigt die Sängerin am einleitenden Titeltrack zu einem einnehmend entspannt durch den Raum wabernden Beat an, die folgenden knapp vierzig Minuten lösen das Versprechen zum Teil auch ein. Denn Gomez ist gut bei Stimme, klingt trotz ihrem kindlich niedlichen Timbre und gelegentlicher Hilfe von unnötigem Auto Tune-Beiwerk sicherer und schlicht erwachsener als noch kurze Zeit davor. Einer der besten und am persönlichsten anmutende Track der LP ist ausgerechnet einer der wenigen, die sie lediglich vertont hat. Das von Charli XCX geschriebene und von Stargate produzierte Same Old Love illustriert den Verdruss über eine immer wiederkehrende Liebesgeschichte, bandelt an den Dance-Pop der Ex-Band an, verfeinert deren Sound mit eleganten Synthesizern plus einer hübschen Klaviermelodie und charmiert mit Gomez gereifter gesanglicher Performanz. Auch das atmosphärische Good For You mit Rapper A$ap Rocky als einzigem Gastauftritt der LP zeigt eine aufstrebende, um Authentizität bemühte, dabei aber in Lana Del Reys musikalischem Vorgarten herum wühlende Künstlerin, die in der Folge in verschiedene Richtungen gleichzeitig abzubiegen versucht. Ob gefühlvoller Piano-Ballade (Camouflage), vermeintlich euphorisierenden House-Beats (Me & The Rhythm) oder synthetische Worldmusic-Ausflüge mit Gospel-Affinität (Rise), so richtig will sich die Sängerin einfach nicht festlegen, wo ihr Platz im Pop-Zirkus denn sein soll.

 

Das hat trotz gebotener Abwechslung wiederum den bittersüßen Beigeschmack, dass die um Eigenständigkeit kämpfende Gomez wieder dort landet, wo sie vorher schon war: irgendwo im Nirgendwo und ohne musikalische Identität (für weitere Informationen siehe When The Sun Goes Down). Zwar wird die Protagonistin nicht mehr ganz so herum geschoben wie noch vor wenigen Jahren, doch wirken sich die vielen Produzenten und Songschreiber negativ darauf aus, wohin ihre Reise gehen sollte. Daraus resultieren dann schon mal so schmeichelhafte Synthpop-Hymnen wie Sober mit seinen generischen Boom Claps und verzerrtes Background-Gejaule oder das überdrehte Body Heat, das Flamenco-Gitarren mit einem räudigen Club-Beat vereint und daran erinnert, wie der König von Mallorca Jürgen Drews den Ballermann mit einer besseren Stimme noch mehr zum Beben bekommen würde.

 

Revival könnte locker Selena Gomez bestes Album bis dato sein, ziemlich sicher ist es das sogar. Das macht die Angelegenheit ja auch so traurig. Nahezu alles auf dieser zweiten Solo-LP klingt reifer, ausgefeilter und sinnlicher als die pubertären The Scene-Alben mit dem Herz am rechten Fleck und dem drögen Vorgänger. Dennoch bleiben die alten Schwachstellen weitestgehend erhalten, während ein wilder Haufen vermeintlich sachkundiger Entourage es fertig bringt, mit sich gegenseitig negierenden Song- und Produktionsideen eine ambitionierte Künstlerin vom rechten Pfad abzubringen. Sollte es gelingen, diese Hohlköpfe in Zukunft mit- und nicht gegeneinander arbeiten zu lassen und Gomez ihre eigene Sing- und Songschreiberqualitäten ein wenig verbessern können, steht einem guten Album nichts mehr im Weg.

 

Anspiel-Tipps:

- Revival

- Same Old Love

- Rise


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