von Kristoffer Leitgeb, 17.10.2020
Der Höhepunkt des One-Trick-Pony, das keine Tiefe kennt, aber Entertainment aus dem Effeff beherrscht.
Hach, was waren das nicht für Zeiten? Feel Good Inc. wird zum Hit, die Backstreet Boys gehen mit einem Comeback, nach dem niemand gefragt hat, baden, der Crazy Frog übernimmt kurzzeitig die Herrschaft über die europäischen Charts und terrorisiert die Menschheit und Kelly Clarkson ist allen Ernstes ein Popstar. Da bleiben doch keine Wünsche offen, oder? Vielleicht doch die nach etwas partytauglicher Musik, die nicht in einer grausamen Wiederauferstehung von Eurodance inklusiver froschiger Sounds mündet und also doch irgendwie ertragen werden kann. Denn die Gorillaz hatten zwar schon auch was geschmeidig Hip-Hop-Electronica-Funkiges damals, wenn sie wollten. So wirklich Feierstimmung kann aber dann doch weder bei Feel Good Inc. noch bei Dirty Harry aufkommen und DARE ist einfach nur nervig und deswegen disqualifiziert. Also braucht es jemand anderes und zwar möglichst wen, der nicht wie Rihanna damals auf einen Song pro Album beschränkt ist, nicht wie die Black Eyed Peas die Hälfte der Zeit in kompletter Lächerlichkeit versinkt und nicht wie Daft Punk gerade am kreativen Tiefpunkt angelangt ist. Man kann sich natürlich den damals noch konkurrenzfähigen Indie-Rock-Klängen hingeben und die Killers auswählen oder gleich alles aufs Spiel setzen und die gerade debütierenden Panic! At The Disco und Fall Out Boy als die letzte Rettung des Pop-Punk auflegen. Aber da muss doch noch etwas mehr gehen in puncto Partystimmung. Warum also nicht Sean Paul? Immerhin ist Dancehall aus irgendeinem Grund weltweit mehr oder weniger angesagt und Jamaikas gerade erfolgreichster Musikexport doch noch irgendwie in aller Munde, weil er mal den Diwali-Riddim richtig einzusetzen wusste. Das wird er doch nicht plötzlich verlernt haben mit "The Trinity"...
Nein, hat er nicht. Und weniger erfolgreich war er mit seiner dritten LP damals, als das 21. Jahrhundert gerade mal im Vorschulalter war, auch nicht wirklich. Immerhin sind sich gleich drei Top-10-Singles ausgegangen in den USA und im Rest der Welt wollte man jetzt auch nicht gerade auf ihn verzichten. Also alles in Butter, selbst wenn der wiederholte Erfolg vom Vorgänger "Dutty Rock" rückblickend eher ein letztes Hurra werden sollte, bevor die kommerzielle Herrlichkeit endete, was auch Gründe hat, die hier aber nicht von Belang sind.
Wichtiger ist, was denn dem Dancehall-Platzhirsch hier so alles eingefallen ist. Nicht sooo viel, wenn man es genau nimmt und sich einen Vergleich mit dem zum Durchbruch verhelfenden Vorgänger erlaubt. Es wird immer noch ein partytauglicher Riddim an den anderen gereiht, Sean Pauls zwischen Rap, Toasting und Anflügen von Gesang steckende Auftritte sind nahezu unverändert, auch wenn die Vocals sauberer und stromlinienförmiger klingen, während die Texte genauso gleichbleibend rund um Ganja, Frauen, Partys, ein bisschen Liebe und natürlich des Urhebers eigene Großartigkeit kreisen. Das Posertum wird groß geschrieben, während man ein bisschen Mary Jane genießt und abcheckt, wer auf der Tanzfläche gut ausschaut und verführt werden kann. Seicht und berechenbar? Sicherlich. Sympathisch? Mäßig. Unterhaltsam? Durchaus. Was aber auch daran liegt, dass Paul sehr wohl weiß, wie er das alles im erträglichen Rahmen hält und sich nicht zu sehr in den unsympathischen Seiten seiner endenwollenden thematischen Bandbreite verliert. Und deswegen ist auch gleich We Be Burnin' als Leadsingle in zweifacher Ausführung verfügbar, einerseits als mehr oder weniger unschuldige, jedenfalls aber gewöhnliche Variante mit ein bisschen Sex, ein bisschen Drugs, ein bisschen Party und Rock 'n' Roll, andererseits, so vernimmt man, als ziemlich provokanten, direkten Pro-Marihuana-Track, der nichts feiert außer das berauschende Kraut.
Um aber nun schnell einmal zum Kern des Ganzen vorzudringen, sei festgehalten, dass es einem zumeist ziemlich egal ist, was Sean Paul da eigentlich zu singen beliebt, solange es einigermaßen gut klingt und einen Bogen um dramatische Geschmacklosigkeiten macht, was ganz gut gelingt. So ist es dann auch der markanteste, im Gedächtnis verbleibende Moment auf textlicher Ebene jener aus Ever Blazin', als seine Anhimmelungen an die Dame der Begierde weit genug reichen, um Donald Trump und Bill Gates in einem Atemzug zu nennen. 15 Jahre später geht das kaum noch, ohne politisches Statement und ohne über Verschwörungstheorien reden zu müssen.... Die Musik ist jedenfalls wichtiger und sie ist trotz offensichtlichster Einförmigkeit ein ziemlicher Ohrenschmaus, wenn man hin und wieder für die leichteren klanglichen Vergnügungen zu haben ist. Der Jamaikaner versteht es diesmal sogar noch besser als auf dem oft gelobten Vorgänger, seine Mischung aus geschmeidiger Gelassenheit, ein bisschen hitzigem Knistern und lockerer Coolness in einen dazu passenden Sound zu gießen. Deswegen ist "The Trinity" fast durchwegs härter und oft genug unterkühlt im Vergleich zu Get Busy und Co., die Jahre vorher den Durchbruch ermöglicht haben. Mehr Elektronik ist im Spiel, die Synthesizer dominieren das Geschehen und die Beats sind deftiger geraten. Dafür sind die Spuren von Rock und R&B seltener geworden, gesellt sich nicht gerade eine weibliche Gaststimme dazu, um ein bisschen der Zeit angepassten R&B-Charme mitzubringen.
Problem hat man damit absolut keines. Im Gegenteil ist die klangliche Stromlinienform und die Dominanz abgehärteter Dancefloor-Nummern ein Pluspunkt, insbesondere in Verbindung mit der abgespeckten Tracklist, die diesmal nur mehr knapp die Stundenmarke knackt. Da macht es fast überhaupt nichts, dass der Haufen ausschließlich auf Jamaika zusammengesuchter Produzenten offenbar wenig Ambitionen hegt, sich sonderlich voneinander abzuheben und dass deswegen der eigentliche Opener Head In The Zone - das vorangestellte Intro erträgt man besser schweigend - so ziemlich die gleichen Vibes aussendet wie der abschließende Closer The Trinity. So angestaubt kann die Produktion gar nicht sein, dass sie nicht trotzdem so ziemlich alles, was hier in der Up-Tempo-Region angesiedelt ist und eine so unglaublich einheitliche Atmosphäre kreiert, am Leben erhalten und unterhaltsam machen würde.
Naturgemäß trifft das dennoch auf die erste Albumhälfte etwas eher zu als auf die zweite. Die Hits We Be Burnin' und insbesondere Ever Blazin' machen einiges aus dem Starz bzw. Masterpiece Riddim, wobei insbesondere Ever Blazin' überzeugt, weil rund um den starken Riddim nicht zu viel angestellt wird, stattdessen Sean Pauls überzeugende Performance fast minimalistisch von Synth-Loops begleitet wird. Dem Album als Ganzes ist es sicher zuträglich, dass das oft genug nicht so abläuft, hier stört der relative Mangel an unterschiedlichen Soundeindrücken aber jedenfalls nicht. Genauso auf der starken Seite, aber dann doch etwas hektischer geraten, finalisieren das großartige, druckvolle Send It On und Eye Deh A Mi Knee einen ziemlich überzeugenden und lange anhaltenden Albumbeginn.
Die überdeutlichen Qualitätseinbrüche begegnen einem ausgerechnet dann, wenn an so etwas wie musikalischer Abwechslung gebastelt wird. Der deutlichste Reggae-Vibe kommt auch dank Gastpart von Wayne Marshall in Yardie Bone, ohne dass daraus etwas würde, das über drei Minuten mehr ergibt als spannungsfreie Monotonie. In solchen Momenten rächt sich die synthetische, sterile Ausgestaltung der LP, weil sie zwar für die Dancehall-Fraktion der Songs die nötige, kühle Härte bedeutet, für diesen Reggae-Ausflug aber genau deswegen tödlich ist. Nur marginal besser gerät das Reggae-Stück Never Gonna Be The Same. Dessen wehmütiger Touch und Blick auf verstorbene Freunde wird zwar mit weniger störender Musik unterlegt, wirklich abheben kann der Song klanglich aber trotzdem nie, auch wenn Sean Pauls Performance eine seiner besten hier bleibt. Noch deutlich unnötiger geraten die Gastspiele von Nina Sky, R&B-Zwillinge, nach denen selbst damals keiner geschrien hat, und der jamaikanischen R&B-Sängerin Tami Chinn. Deren Parts in Connection und All On Me hinterlassen nicht den geringsten Eindruck, scheinen komplett abgekapselt von Sean Pauls unterwältigenden Performances, machen ihn aber trotzdem uninteressanter und enden als Features, die damals wohl einfach sein mussten, ohne dass wirklich irgendwer etwas davon hatte. Und in Anbetracht dessen, dass auch Pauls Songs mit Rihanna oder Beyoncé aus dieser Zeit nicht sonderlich viel können, liegt es wohl auch nicht an den Sängerinnen, dass da einfach nichts herauskommt, was sich anzuhören lohnt.
Besser ist es da schon, schwingt er sich wieder dazu auf, ein bisschen auf den Riddims zu reiten und, umrahmt von gleichermaßen abweisend unterkühlten und ein bisschen knisternd hitzigen Synths, dem Sprechgesang seiner Machart zu frönen. Gelingt ausreichend in Change The Game oder Temperature, auch wenn dessen Aufmachung schon etwas zu ereignislos ist, um einen wirklich zu packen. Gelingt noch besser in I'll Take You There, das mit seinem starken Riddim, vor allem aber mit dem Streicher-Sample die atmosphärischsten Minuten des Albums besorgt, über denen Paul eine erstklassige Vorstellung bietet.
Insofern ist "The Trinity" keine Enttäuschung und sogar durchaus stark genug geraten, um auch 15 Jahre später noch ganz ordentlich auszusteigen. Natürlich ist der Sound mittlerweile von vorgestern, die Produktion nicht mehr die frischeste. Ändert aber alles nichts daran, dass das hier, auf das Albumformat beschränkt, Sean Pauls feinste Stunde war. Eine, die ihn oft genug genau in seinem Element und mit dem wohl idealen Sound dafür zeigt und die netterweise nicht zu oft von diesem sicherlich eintönigen, aber eben auch durchwegs wirksamen Weg abkommt. Wann immer das passiert, merkt man umgehend, dass das klangliche Fenster, in dem der Jamaikaner wirklich gut funktioniert, ein verdammt enges ist, sodass man sich schnell die Minuten zurückwünscht, in denen er dem Begriff Dancehall so richtig gerecht wird. Davon findet sich hier definitiv nicht zu wenig, sodass man nicht in Verlegenheit kommt, weghören zu wollen. Einschränkend muss man dennoch sagen, dass die Faszination für Sean Pauls Sound schlussendlich ihre Grenzen kennt und der Jamaikaner schon bald zu Recht merken sollte, dass die ewiggleiche Leier nicht ausreicht, um einen auf Dauer zu begeistern. Und so ist "The Trinity" schon das Maximum, was er herausholen kann: Ein Album mit viel Licht und deutlichen Schatten, das aber dann doch nie hell genug leuchtet, um zum großen Triumph zu werden. Dafür ist es zu wenig Abwechslung, zu wenig Tiefe, zu wenig Finesse, die dem Spektakel anhaftet.