von Kristoffer Leitgeb, 10.04.2021
Das Stumpfste, was die Karibik zu bieten hat, läutet seinen Abstieg in die Irrelevanz höchstselbst ein.
Viel dessen, was so über die Jahrzehnte die Charts in Beschlag genommen hat, hat gleichzeitig auch einige gewichtige Fragen aufgeworfen. Meist sind es die nach dem Warum. Die Ursachenforschung des Erfolgs ist allerdings oft eine schwierige und in Wahrheit ziemlich müßige. Deswegen tut es gut, dass hier und da doch ein paar Leute daherkommen, deren kommerzielle Dominanz sich im Handumdrehen erklären lässt. Das heißt nun nicht unbedingt, dass es sich dabei um musikalische Erzeugnisse der Extraklasse handelt. Aber es tun sich keine erwähnenswerten Hürden auf, wenn man nach Erklärungen dafür sucht, warum denn irgendwann einmal die Backstreet Boys und die Spice Girls, Nena und Modern Talking oder Justin Bieber und Katy Perry die Poplandschaft beherrscht haben. Ähnlich verhält es sich mit Sean Paul, der zu Beginn des neuen Jahrtausends mit Singlehits um sich geworfen und so Millionen gescheffelt hat. Natürlich hat er das. So ein bissl karibisches Flair mitsamt R&B und Hip Hop im Gepäck und dazu das Dogma des immerwährenden, sexistischen Hyperhedonismus - das kann schon was. Zumindest dort, wo die Charts sind. Und so wandelte der Jamaikaner quasi als spiritueller Nachfolger des noch kurz vorher für locker-seichte Partyunterhaltung erfolgreichster Form zuständigen Will Smith und nahezu im Gleichschritt mit den ähnlich tiefgründigen Black Eyed Peas durch die 00er-Jahre und schien sich zur dauerhaften Präsenz da ganz vorne aufzuschwingen. Was die Black Eyed Peas zum Abschluss des Jahrzehnts noch gleichermaßen bravourös wie musikalisch bedenklich schafften, daran scheiterte Sean Paul allerdings deutlich.
Mit "Imperial Blaze" war nämlich der Anfang vom Ende gekommen. Keine großen Hits in Sicht, dementsprechend bescheidene Verkäufe und eine Resonanz, die sich irgendwo zwischen einem gelangweilten Schulterzucken und fragenden Blicken bewegt hat. Das hatte zur Folge, dass der Jamaikaner zumindest in den USA nur noch als Feature in den Songs anderer ganz vorne dabei war, in Hauptrollen dagegen blass blieb. Seine vierte LP tut jedoch auch verdammt viel, um das mehr als gerechtfertigt erscheinen zu lassen. War Vorgänger "The Trinity" noch eine Verdichtung der eindimensionalen Qualitäten, die er mitbringt, und wurde so zu einem zwar aufgeblasenen und vereinzelt lähmend stumpfen und langweiligen, aber eben trotzdem an Treffern und rechtmäßigen Hits reichen Album, scheint sich diesmal sehr viel auf den stumpfen und langweiligen Part zu konzentrieren. Denn diesmal ist nichts zu spüren von der zündenden, aggressiven Härte und unterkühlten Aura, die Jahre vorher zum Ziel geführt hat. Und auch die vergleichsweise leichtfüßige, aus dem Ärmel geschüttelte Lockerheit von Durchbruchsalbum "Dutty Rock" sucht man hier eher mit der Lupe. Stattdessen wandelt man hier in einem Uncanny Valley irgendwo zwischen den beiden Vorgängern. Musikalisch genauso steril und elektroniklastig wie "The Trinity", gleichzeitig aber wieder mit ungezwungenerem, lockerem Touch.
In der Theorie mag das durchaus seine Vorzüge haben, praktisch summiert es sich jedoch von Beginn an zu nicht viel als zu einer penetranten, inhaltslosen und diesmal sowohl atmosphärisch als auch in puncto Beats und Hooks höchst bescheidenen Affäre. Die unvorteilhafte Mixtur aus anorganischem, synthetischem Sound, mangelnder Dynamik und einer unfassbaren Monotonie führen eher dazu, dass man diese auf knapp 70 Minuten breitgetretene Show als blutleeres Unterfangen wahrnimmt. Selbst der noch relativ frischen, einem gewohnt sinnlosen Intro folgenden Eröffnung mit Lace It mangelt es an einer zündenden Idee, um den stark pulsierenden Strophen einen ähnlich gelungenen Refrain zur Seite zu stellen und vor allem über drei Minuten nicht in eine hemmungslose Wiederholungsorgie auszuarten.
In der Folge ist selbst ein solches Urteil kaum einmal möglich. Den stark pulsiert hier kaum etwas, stattdessen trotten viele Songs trotz mitunter harter Beats und klinisch-abgehackter Elektronikbausteine ereignislos dahin. Damit wird die anstrengend affektierte Show von Sean Paul am Mikro mitsamt seiner sexistischen, hohlen Texte unvorteilhaft freigelegt und die Songlängen werden trotz ihres popmusikalischen 3- bis 4-Minuten-Formats zu einer Farce. Unter der Anleitung von Stephen "Di Genius" McGregor verkommt die LP nahezu in ihrer Gesamtheit zu einer lethargischen, trotz aller Trimmung auf partytaugliche Minuten freudlosen Angelegenheit. Das synthetische Flimmern von She Wants Me wird im Zusammenspiel mit dem lahmenden Beat dabei genauso zu einer Geduldsübung wie die sterilen Stakkatos von Birthday Suit oder die ausgelutschten Streicherloops in Don't Tease Me. Letztlich erfreut man sich hier an so ziemlich nichts, das auf dem eigentlich Home Ground des Jamaikaners stattfindet. Die nach Coolness und Sexyness, nach mitreißender Dynamik und hitziger Atmosphäre strebenden Dancehall-Hämmer versanden allesamt in einer Durchschnittlichkeit, der man gar nicht vorwerfen kann, dass sie grausam wäre. Aber wenn nichts zündet, ist die Sinnfrage bei dieser Art von Musik schon sehr schnell bei der Hand und hier zu irgendetwas animiert als zu einem Blick auf die Uhr.
Im Sinne dessen, was Sean Paul eigentlich ausmacht, ist es wohl auch ein deutliches Zeichen der Schwäche dieses Albums, dass dessen beste Minuten hauptsächlich dort zu finden sind, wo der synthetischen Anspannung, die dann doch wieder keine sein will, nahezu gänzlich entsagt wird. Die wenigen eher dem Reggae, in kleinen Dosen auch dem R&B zugewandten Tracks wirken durchdachter und klanglich souveräner als die eigentliche Domäne der elektronisch getragenen Tanzflächen-Penetranz. Deswegen hört man gern dem ungewöhnlich von gemächlichem Beat und lockeren Gitarrenakkorden dominierten Pepperpot zu. Zwar scheint hier genauso wie im etwas langatmigeren Straight From My Heart die kitschige Romantik das einzige zu sein, was sich Sean Paul für einen weniger angespannten Song als Inhalt vorstellen kann. Störend ist das aber genauso wenig wie sein für derartige Tracks in Wahrheit höchst unpassender Gesang. Und weil das alles so wenig stört, ist auch die mit Abstand beste hier zu findende Komposition eine dieses Schlags. Hold My Hand ist als für ihn höchst untypischer, sonnig-leichter Reggae eine Wohltat, die sich zwar wenig außerhalb des Gewöhnlichen erlaubt, aber in ihrer geschmeidigen, harmonischen Machart ein Sieg des Understatements darstellt. Da wird nicht geprotzt mit Elektronik und treibenden Beats, sondern stattdessen eher die Hängematte zum Zielort.
Dass es doch noch irgendwie im angestammten Terrain auch funktioniert, zeigt einem am ehesten Now That I've Got Your Love, das zwar weder sonderlich hart noch schnell dahintrabt, aber trotzdem am ehesten die stromlinienförmige, unterkühlte Aura von "The Trinity" ausdünstet und also dynamische Strophen und einen unweigerlich im Gedächtnis bleibenden Refrain verbindet. Dass einen die kratzig-grellen Synths im Hintergrund dabei eher weniger begeistern, vergisst man da fast schon.
Was man dagegen nicht vergisst, ist die Tatsache, dass wir hier von einer sehr überschaubaren Minderheit der versammelten Songs reden. "Imperial Blaze" ist mit einer noch einmal ausgedehnten Tracklist noch länger als der Vorgänger und wäre damit wohl selbst bei etwas gelungenerer Umsetzung so oder so zum Scheitern verurteilt. Denn die sparsame Bandbreite, innerhalb derer Sean Paul agiert, macht Abnutzungserscheinungen absolut unausweichlich. In Wirklichkeit ändert sich nämlich auch mit der vierten LP gar nicht so viel, außer dass wieder ein bisschen aus der überraschend effektiven, berechnenden und harten Kälte von "The Trinity" zurückgerudert wird. Letztlich kommt der Jamaikaner aber nicht weit und versandet irgendwo in einem Niemandsland, in dem er über mehr als eine Stunde keine seiner ohnehin nicht zu zahlreichen Qualitäten ausspielen kann. Stattdessen retten ihn Songs, die eigentlich gar nicht die seinen sein sollten, während ihn in seiner Domäne jegliche Vitalität abhandenkommt und frische Ideen und Sounds so rar sind, dass man schon gar nicht mehr danach suchen will. Manchmal geht eben eine Ära zu Ende und manchmal ist dann auch gleich der, der sich von der Spitze verabschiedet, höchstselbst dafür verantwortlich.