Scott Walker - Scott

 

Scott

 

Scott Walker

Veröffentlichungsdatum: 16.09.1967

 

Rating: 7.5 / 10

von Mathias Haden, 19.02.2017


Alles vorhanden und doch fehlt was: Der nächste Meilenstein wird 50.

 

Wir prolongieren vorerst diesen Doppelpass zwischen 60ern und den 10er Jahren des aktuellen Jahrhunderts. Eine weitere Karriere nahm hier, vor einem halben Jahrhundert, ihren Lauf. Denkt man heute über die Beziehung zwischen Musik und Film nach, fallen einem zuallererst die zahlreichen Schauspielerinnen ein, die mit peinlichen Weihnachtsalben ihren eigenen Marktwert weiter steigern wollen oder all die erhabenen Entertainer, die sich irgendwann zu höherem berufen fühlten. Einer der waghalsigsten, dem dieser Spagat dann auch noch gelungen ist, darf sich dieses Jahr zum fünfzigsten Geburtstag seiner Solo-Debüt-Platte gratulieren lassen: Scott Walker. Meinetwegen, so richtig funktioniert der Konnex Walker-Film dann doch nicht, immerhin ist der Bezug mit einer BBC-TV-Serie, einem Album namens The Moviegoer und einigen Soundtrack-Arbeiten doch reichlich dünn. Sei's drum. Kurzzeitig war Scott Walker sogar richtig erfolgreich, zuerst als kreativer Kopf der Walker Brothers und schließlich, beginnend mit der in weiterer Folge besprochenen LP, als facettenreicher Solokünstler. Zumindest im UK und praktisch ausschließlich in den Sixties - ringt sein Name südlich der Insel heute doch nur Sachkundigen ein schwärmerisches Grunzen ab.

 

Nicht zu Unrecht, sieht man sich direkt das Konzept der ersten Platte an. Als Konglomerat eigener Kompositionen, Cover-Versionen von aktuellen Hits sowie Film-Nümmerchen (Ha!) und vor allem den in Walkers orchestrale Arrangements eingegossenen Chanson-Übersetzungen des belgischen Troubadours Jaques Brel zugleich übermäßig ambitioniert. Gerade mit der Adaption letzterer vermählte der US-Amerikaner, der erst mit dem Umzug nach England sein Potenzial entfalten konnte, die Popmusik mit Themen, die in dieser bis dato praktisch nicht angerührt wurden. Dadurch wurde Walker, der eigentlich Scott Noel Engel heißt, Teil der "Pop-Revolution" der Sechziger. Brel, den er als größten Songschreiber der Welt pries und dessen Einfluss auf seinen eigenen Schreibstil offensichtlich ist, darf auf Walkers Debüt immerhin für drei Songwriting-Credits verantwortlich zeichnen. Diese finden sich zum Auftakt, zum Abschluss, respektive in der Mitte und stellen nicht von ungefähr mitunter die stärksten Minuten der LP. Opener Mathilde bläst lautstark zum Angriff, steigert sich in einen Orkan aus dynamischen Streichern, wütenden Fanfaren und kraftvollem Gesang und stößt die Tür weit auf für den ersten Triumphzug einer ungewöhnlichen Solokarriere zwischen Pop-Idol und Avant-Garde-Tüftler. Dass Walker die Formel des Openers auch für das einleitende Stück seiner nächsten LP verwenden würde, sei hier nur am Rande erwähnt. Bleiben wir stattdessen bei Jaques Brel und diesen ominösen Themen, die bislang nur knapp angeschnitten wurden. Wobei es weniger die Themen per se trifft, als die düsteren Beobachtungen, die unter den spielfreudigen Arrangements oftmals subtile, bedrückende Pracht verströmen, wie am Closer Amsterdam:

 

"And they turn and they dance and they laugh and they lust
Till the rancid sound of the accordion bursts
Then out to the night with their pride in their pants
With the slut that they tow underneath the street lamps"

 

Dazu noch die barocke Lebensfreude von My Death und das Trio ist komplett. Dass diese Begeisterung für das Werk Brels rasch auf die eigene Handschrift abgefärbt hat, zeigt sich vor allem auf Montague Terrace (In Blue), der mit Abstand besten seiner Eigenkompositionen. In majestätisch orchestralem Gewand offenbart dieser Track seine melodiöse Herrlichkeit per farbenfroher Bildsprache und schwelgerischer Erzählung.

 

Dass sich diese Schwäche für das Pompöse und Anmutige, die sich hier in üppigen Arrangements ausdrückt, mit Fortdauer der LP als erdrückend herausstellt, wiegt allerdings genauso schwer wie der Umstand, dass die Highlights von Scott primär auf dessen erster Seite zu finden sind. Besonders die beiden Film-Songs You're Gonna Hear From Me und Through A Long And Sleepless Night erweisen sich dabei kurz vor Ende als die großen, einschläfernden Spielverderber. Sanft eingebettet zwischen orchestraler Souveränität und dem Hang zum Kitsch, nimmt Walker sich selbst und damit der Platte die Dynamik, die zusammen mit seiner eigenwilligen Herangehensweise an das Album ein bis dahin ungekanntes Hörvergnügen bietet. Zu dieser eigenwilligen Herangehensweise gehört auch Walkers erhabener Bariton, der sich erst mit der Zeit erschließt, letztlich aber von seiner Kunst nicht wegzudenken ist. Auf When Joanna Loved Me drückt der Künstler, dessen Werk nicht von wenigen als der Heilige Gral der Popmusik bezeichnet wird, in einem von Trägheit gezeichneten, fast operettenhaften Gesang allerdings um einiges zu dick auf.

 

Da auch die Coverversionen zeitgenössischer Künstler einen ordentlichen Job machen und mit Tim Hardins The Lady Came From Baltimore (gemeinsam mit Amsterdam die einzigen akustischen Tracks) ein weiteres Highlight in petto haben, fügen sich die unterschiedlichen Strömungen der LP zu einem hübschen Ganzen zusammen. Zwar fehlt es dem überwiegend opulent produzierten Album an konstant formidablen Songs, um sein hohes Ansehen unter Kritikern zu rechtfertigen, doch legt es die Basis für Walkers zukünftige Arbeit. Obwohl sich hier bereits von der majestätischen Schönheit hin zu den zynisch finster angehauchten Texten alles findet, was dessen Schaffen in den Sixties ausmacht, sollte er seine LPs in weiterer Folge besser ausbalancieren und weniger auf cheesy Pomp-Balladen setzen. Gut so, wie ich meine.

 


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