von Kristoffer Leitgeb, 14.03.2015
Das absolute Stimmungstief wird zur Wiedergeburt der Emo-Punk-Helden.
Oh, the irony. So schön kann sie doch sein. Zahnärzte mit Namen Dr. Schmerz, Atheisten, die auf dem Jakobsweg die Erleuchtung finden, oder doch die Jungs hier. Die Emo-Punker, die sich Saves The Day nennen. Steckt eben doch ein bisschen Humor in jedem, auch wenn er gern dem Glück entsagt und Songs über Tod, Heuchelei und unerwiderte Romantik schreibt. Ist aber schon richtig so, immerhin hat die Band ja schon den ein oder anderen Klassiker unter die Leute gebracht, auch wenn ihnen der große Durchbruch verwehrt blieb. Genau dort liegt auch das Übel begraben, das letztlich zur Geburtsstunde von "Sound The Alarm" werden sollte. Der Vorgänger "In Reverie" war Major Label-Debüt und um des Erfolges willen so gar nicht punkig, dafür irgendwie Indie, was auch immer das heißen mag. Das Label mochte es nicht, die Leute mochten es nicht und in Wahrheit mochte es wohl nicht einmal Frontmann Chris Conley selbst. Auch deswegen wird die fünfte LP zum düsteren Selbstfindungstrip.
Denn wo der Misserfolg ist, da kann auch die Depression nicht so weit sein. Und ebendiese manifestiert sich in der rohen Härte, die diese 13 Songs prägt. Da war's Jahre vorher ja noch fast lustig. Harte Riffs beherrschen da die Aufarbeitung der eigenen Unwelten, die Conley irgendwo gefunden zu haben glaubt. Programmgemäß aggressiv startet man gleich mit Head For The Hills und unter anderem folgenden Zeilen:
"Drowning in the darkness of my mind
I dream I'm setting fire to everything in sight
And if I die tonight and go to Hell, oh well
I wonder will I see you"
Spaß ist anderswo und genau deswegen gelingt der Band auch so manches hier. Zwar war neben Conley nur mehr Leadgitarrist David Soloway damals in den erfolgreichen Zeiten der Band dabei, den Schmerz, den all diese Songs beherbergen, weiß aber das gesamte Line-Up in Szene zu setzen. Nichts in diesen ersten Minuten wirkt so, als hätte man lange konspiriert über deren Wesen, als wäre wirklich Kreativität im Vordergrund gestanden. Stattdessen regieren Verzweiflung und Wut. Ja, sogar die Bassline klingt irgendwie wütend. Dazu gesellt sich der winselnde Gesang und es heißt, willkommen dort, wo die Sonne nicht scheint.
Gerade weil so viel ziemlich emotional scheint, ist die Tatsache, dass man ähnlich fortsetzt, nicht weiter verwunderlich. Trotzdem erlaubt man sich, Songs wie The End oder Shattered abseits ihrer Texte fast schon zu Ohrwürmern verkommen zu lassen. Zwar ist die kurze Single The End dafür beinahe zu schnell, das auf High-Speed pulsierende Zusammenspiel von Drums und Bass verbreitet allerdings Dynamik sondergleichen, der gesittetere Riff ist da nur Draufgabe. Diese Ambivalenz aus den bei Zeiten beängstigenden Worten aus Conleys Mund und der aus dem Pop-Punk entliehenen Vorliebe für eingängige Melodien durchzieht so manchen Track hier. Anstatt sich zu neutralisieren, schafft es die Band aber oft genug, die Konfliktfelder in Einklang zu bringen und so alles Nötige abzudecken. So kommt's dann auch, dass Diseased eigentlich nichts anders macht als The End und trotzdem nicht daran scheitert, bald zu einem der Favorites zu werden.
Dass es nichtsdestotrotz auch anders geht, beweisen Mid-Tempo-Nummern wie Eulogy oder Sound The Alarm aber auch ausreichend. Ersterer schielt überhaupt in die Vergangenheit, erinnert an das bandeigene Magnum Opus "Stay What You Are" - damals als Emo Punk noch eine großartige Musikrichtung war und nicht 'Ich färb mir die Haare schwarz und sing vielleicht mal zum Spaß übers Sterben' - und gibt sich mit seinen hellen Riffs und den treibenden Drums fast schon beschwingt. Der Titeltrack wandert dagegen mit gedrückter Härte und gedrosseltem Tempo schon eher in Richtung Hard Rock, präsentiert einem den kühlen Bass wieder an vorderster Front. Dazwischen drängt sich dann sogar die in all der musikalischen Hektik bitternötige Ballade Don't Know Why. Die leidet unter Conleys Verzicht auf gesangliche Finessen - man kann es wohl auch Natürlichkeit nennen - und tut sich beim gebotenen Geheule etwas schwer so wirklich Stimmung aufzubauen, zumal die textliche Ausrichtung nahe dran ist am übrigen Material und die immanenten Todesgedanken mit weit weniger Nachdruck zu präsentieren versucht.
Das fällt dank der Konkurrenz nicht so leicht, zeichnen sich die übrigen Tracks doch gerade durch ihre Morbidität und ihre schockierend brutal ehrlichen Zeilen aus. Aber wie will man das auch toppen, wenn Conley einen ganzen Song nur seiner Fantasie widmet, die ihn zerstückelt und in der Wüste verscharrt sieht? Geht schwer, vor allem weil der Dreiteiler Bones dabei mit seinen musikalischen Wendungen und seiner Performance einen trockenen Galgenhumor beweist, der seinesgleichen sucht.
Bei aller Freude (oder Traurigkeit, wie man das eben sieht) bleiben aber am Rande doch ein paar Löcher ungefüllt. Warum sich nämlich das undynamische Duo Dying Day und 34 in die Sache einmischt, bleibt eher fraglich. Man möchte fast meinen, Langeweile kommt auf. Keine katastrophalen Aussetzer, so etwas wie Betriebsmüdigkeit scheint sich aber kurzzeitig einzustellen, driftet das Quartett doch eher unerwartet schon fast wieder in Indie-Gefilde ab und sorgt damit für träge Minuten. Einzig ein großartiges Solo bleibt im Zweiten, ansonsten ist es lauwarme Kost. Und das, wo auch der Rest nicht unbedingt so brennheiß ist. Von Konstanz verstehen die Jungs was, frage nicht. Aber den wirklich glorreichen Auftritt lässt die Ausrichtung der LP in ihrer direkten und schnörkellosen Art nur bedingt zu. Überall fehlt ein bisschen was, sodass auch das Highlight des Albums, Say You'll Never Leave, noch etwas Platz nach oben hätte. Was nicht heißt, der wäre nicht großartig. Denn in der angespannten und abgehackten Härte rund um den hyperaktiven Drummer erreicht man noch einmal beklemmende Tiefen:
"Hammer nails into my eyes
now I'll never notice
when you're staring at the ground
See myself in shredded skin
sew my lips together
so I won't have to say a word"
Es bleibt aber dann irgendwie dabei, so ganz klappt's nicht an alte Tage anzuschließen. Und trotzdem ist "Sound The Alarm" auf seine Art ein eindrucksvolles Album. Denn bar aller Poetik und musikalischer Finesse hat sich die Band dafür entschlossenen allem, was sich so aufgestaut hat, freien Lauf zu lassen. Dabei ist eines der wohl am ehrlichsten depressiven Alben der letzten Jahrzehnte entstanden, das hinter die Zukunft von Sänger Chris Conley ein ernstes Fragezeichen setzen würde, hätte er seitdem nicht noch drei weitere Alben aufgenommen. So schlecht es ihm auch gegangen sein mag anno 2006, qualitativ war das allemal ein Upgrade.