von Mathias Haden, 28.08.2016
Ein letztes Mal muss sich der Jahrhundertsänger das unpassende Big Band-Korsett überstreifen.
Den Blues zu haben, das wünscht man doch keinem. Ob wegen der verflossenen Liebe oder dem verhauten Mathetest gerät da schnell zur Nebensächlichkeit, so eine kleine Depression braucht wirklich niemand - auch wenn sich mit dieser im Gepäck nicht selten die besten Songs schreiben ließen. Den Blues zu haben, kann aber auch auf einer anderen, weit positiveren Metaebene stattfinden, wenn man sowohl Rhythm als auch besonders den Blues eben in seinem Blut weiß. Vermutlich traf nichts davon auf den jungen Sam Cooke zu, der sich im Mai 1961 erneut im RCA-Studio einfinden musste, um sein zweites Album innerhalb eines Jahres aufzunehmen. Meinethalben, den Rhythmus mag man dem US-Amerikaner in keiner Phase seiner Karriere, die ihn immerhin quer durch die unterschiedlichsten Genredisziplinen spülte, absprechen. Mit Blues, der in weißen Lettern das Artwork seiner insgesamt neunten Studio-LP ziert, hatte das Songmaterial im Repertoire des Sängers allerdings zu keinem Zeitpunkt viel gemein. Bei RCA Victor hinderte das nichtsdestotrotz niemanden, den Longplayer My Kind Of Blues zu nennen.
Stattdessen dominiert auf diesem ein großes Orchester. Wie auf allen Cooke-Alben beim Label sind wieder Hugo & Luigi für die Produktion zuständig, während dem Protagonisten wie so oft die Rolle als Vertoner ohne allzu viel Mitspracherecht in Bezug auf die künstlerische Ausrichtung zukommt. Nicht unüblich für die Zeit, in der seine Alben entstanden sind. Traurig allerdings ist der Umstand, dass man seine bis heute nicht mehr übertroffene Stimme nur allzu oft in Arrangements packen musste, die dieser einfach nicht gerecht werden und für die sie schlicht und einfach nicht gemacht war. Auf ein Zielpublikum zugeschnitten, das die Aufbruchsstimmung der Elvis Presley-Ära gekonnt ignoriert haben dürfte, trällerte Cooke auf seinen RCA-Alben bis zu My Kind Of Blues also mal mehr, mal weniger erquicklich, aber dank seines einmaligen Gesangs zumindest immer hörenswert, ehe die Karriere in schöpferischer Hinsicht schließlich und endlich den verdienten Schwenk nach oben erlebte.
Was nun auf dem heute besprochenen Longplayer schnell auffällt ist, dass der kleine, aber charmante Pop-Faktor vom wenige Monate zuvor erschienenen Swing Low wieder verschwunden ist. Zwischen pompösen Bläsern und Jazz-Piano der Big Band swingt sich der Protagonist durch zwölf Stücke, die man praktisch auch durch jede andere Jazz- oder Blues-Standardnummer aus dem amerikanischen Songbook hätte ersetzen können. Welchen dieser - ich hasse ja eigentlich solche Bezeichnungen in diesem Kontext, man verzeihe mir dieses eine Mal - "angestaubten" Stücke Cooke hier aber auch vertont, ist ohnehin von wenig Belang. Denn es ist wie gesagt sein Organ, das den Hörer bei der Stange hält. Beim Opener Don't Get Around Much Anymore zieht der Sänger alle Register, auf You're Always On My Mind, das in seinem lange Zeit zurückhaltenden Klangkostüm durchaus zu gefallen weiß, beweist er wieder, das ihm dank seiner weichen und doch so warmen Stimmfarbe gerade ruhige Songs besonders gut liegen. Auch der einzige offensichtliche Schwenk in Richtung Pop mit Exactly Like You birgt erfreuliche Minuten, trotz aufdringlicher Bläsersektion locker und geschmeidig im Swing verankert.
Retrospektiv betrachtet, lässt sich die Philosophie des Labels, einer LP nicht die höchste Beachtung zukommen zu lassen, durchaus verstehen. Dienten Alben in der Regel doch dem Zweck, Werbung für die deutlich populäreren Singles zu machen. Rätselhaft bleibt trotzdem, warum Cooke, der seine einzigen Chartserfolge eigens verfassten Songs zu verdanken hatte und auf dem im selben Jahr erschienenen Swing Low erstmals von RCA die Möglichkeit bekam, für ein Album eigene Songs zu verwenden. Und da diese zweifelsfrei die Highlights der LP darstellten und mit Chain Gang sogar der Hit des Vorjahrs beinhaltet war, mutet die Entscheidung, hier plötzlich wieder lediglich auf Standards der populären Musik zurückzugreifen, dann doch etwas merkwürdig an. Von technischer Seite ist das natürlich alles sehr ordentlich, was die professionellen Studiomusiker hier bieten und den ersten Alben auf RCA dank seiner homogenen Ausrichtung um Nuancen voraus. Doch wirklich oft kommt das Album mit Ausnahme der genannten Stücke nicht darüber hinaus, mehr als leisen Respekt und der üblichen Bewunderung für Sam Cookes gesangliche Leistungen, so verschwendet sie im Jahr 1961 auch wirken, zu generieren.
Insofern ist es nur logisch, My Kind Of Blues eine knapp positive Gesamtnote mit Bauchweh zu verpassen und auf seine darauffolgenden, in jeglicher Hinsicht besseren Alben oder auch das Keen-Debüt von 1957 zu verweisen. Wer Sam Cooke will, will Soul mit einer gesunden Prise Pop - hier bekommt man davon leider nur allzu wenig. Und Blues schon gar nicht.