von Mathias Haden, 06.02.2015
Entbehrliche Pop-Weltreise am RCA-Debüt des späteren Mr. Soul.
Wer nach einem Jahr MusicManiac noch Zweifel an unserer musikalischen Bandbreite hat, der möge sich jetzt bitte in eine angenehme Sitzstellung bringen und Mr. Soul himself durch die Pforte spazieren lassen. Jenen Mann, der von Gott mit der schönsten Stimme gesegnet, von selbigem aber viel zu früh, mit 33, zu sich in den Himmel geholt wurde. Dies soll allerdings kein christlicher Missionierungsversuch werden, stattdessen steht heute im Fokus eines seiner frühesten Alben einer kurzen, aber produktiven Karriere; das erste für das Label RCA (Victor): Cooke's Tour. Zumindest am Papier spreche ich jedenfalls von Soul, das frühe, nicht immer eigens geplante Schaffen spült Cooke nämlich wie beim in der Folge rezensierten Werk auch gerne mal in Richtung Pop und R&B - und das nicht immer zu ertragreichen Ergebnissen.
Denn sein insgesamt fünftes Studioalbum hat einige Baustellen. 1960 befand sich die LP per se noch in den Kinderschuhen, wurde dieses Medium doch nur genutzt, um Singles mit schnell eingespieltem Zusatzmaterial zu stopfen und erneut unter die Leute zu bringen. Dementsprechend ist es umso verwunderlicher, dass das Label Cooke hier am ersten Album in ein symbolisches Flugzeug steckt und ein Konzeptalbum rund um die Szenerien dieser Erde aufnehmen lässt. RCA hatte wohl wenig Interesse daran, das neu signierte Goldkehlchen schon so früh zu verheizen, schenkte ihm aber mit einem dazumal gut dotierten Vertrag sein Vertrauen - und das in einer Zeit, als Elvis Presley die Kassen klingeln ließ.
Vom großen Soul, der Sam Cooke schließlich unsterblich gemacht hat, ist allerdings noch herzlichst wenig zu sehen. Stattdessen wird er in ein traditionelles Pop-Album gepresst, auf dem er überwiegend verstaubte Standards vertont. Dazu spielt ein übermäßig präsentes Orchester, besonders die Streicher füllen jedes freie Vakuum mit Gedudel, während Cooke noch eine sehr untergeordnete Rolle zukommt. Seine Stimme ist allerdings schon hier sehr ausgereift, auch wenn er noch nicht die gesangliche Kraft und Inbrunst späterer Glanztaten in Anspruch nehmen muss. Opener Far Away Places bildet den thematischen Ausgangspunkt einer Reise rund um die Welt. In verträumter Stimme schwärmt der Sänger vom Reisefieber, verkündet: "Those far away places with strange sounding names / Are calling, calling me".
Denen nimmt er sich in Folge auch an. Einen der besseren Trips unternimmt der Amerikaner im The Coffee Song nach Brasilien, wo die Tochter eines Politikers verurteilt wurde, weil sie Wasser und keinen Kaffee getrunken hatte. Dieser gibt wie alle anderen romantischen Verklärungen der LP textlich wenig her, dafür legt das hübsch arrangierte Orchester dem Protagonisten mit lockerem Rhythmus endlich mal eine verwertbare Untermalung. Selbiges geschieht auf dem Ausflug in die Heimat des Reggae, am beschwingten Calypso Jamaica Farewell. Hier halten sich die omnipräsenten Streicher erstmals im Zaum, lassen Cooke einen größeren Aktionsradius. Der ohne Zweifel beste Track der LP ist allerdings wenig überraschend jener, der thematisch nicht direkt unpassend ist, im Kontext aber trotzdem eine Eigenheit darstellt: das von Frank Sinatra berühmtgemachte The House I Live In, das als Schlusspunkt noch einmal das geliebte Amerika beschönigt. Und auch wenn die Streicher hier wieder ihre Dominanz ausspielen, ist es auf besagtem Closer trotzdem der Sänger, der mit seiner glühenden Hingabe die Aufmerksamkeit auf sich zieht und seine beste gesangliche Leistung der LP abliefert:
"The town I live in
The street, the house, the room
The pavement of the city
Are a garden all in bloom
The church, the school, the clubhouse
The million lights I see
But especially the people
That's a miracle to me"
Für jedes Ausrufezeichen bietet Cooke’s Tour aber mindestens zwei fragwürdige Antworten. Bali Ha'i ist überzuckerte Langeweile, auch das reduzierte, gemächliche Gelway Bay, dem kleinen Schwenk nach Irland, wird zum risikobefreiten Ritt, während die Strings vom ansonsten durchaus anständigen Arrividerci Roma den Sänger unter sich begraben. Gemein haben diese Nummern alle, dass sie wirklich jede Gefahr meiden, die Sache trocken runterspielen. Dazwischen steht ein Künstler, der das Album mit seiner Stimme einigermaßen zusammenhält, ansonsten wäre man dem träumerischen Schnulzenschlager schon längst entlaufen. Welchen Track man nun noch heranzieht, ob das farblose Sweet Leilani oder den bieder anmutenden Japanexkurs im Japanese Farewell Song; stets bleibt das Urteil zwiespältig.
Mit seiner ersten LP für RCA legt Sam Cooke den Grundstein für eine beachtliche Karriere. Sein markantes Organ ist hier schon ziemlich gut entwickelt, sein Bemühen, die Herren vom prestigeträchtigen Label zu überzeugen, hört man in jedem Moment. Dennoch ist das Resultat weit weg davon, Jubelstürme auszulösen. Dies liegt allerdings nicht am Protagonisten, der wirkt, als hätte er keinerlei Entscheidungsmacht, sondern wie eines von vielen Puzzleteilen am eigenen Album. Zudem liefert er uns den Beweis, dass ein prächtiges Organ nicht grundsätzlich mit toller Musik einhergeht. Das dominante Orchester, die uninteressanten Songs und der überschaubare Freiraum des Mannes mit dem Namen auf dem Artwork machen Cooke’s Tour durch die Schauplätze unserer Erde zwar nicht schlecht, aber unglaublich entbehrlich.