Rise Against - Wolves

 

Wolves

 

Rise Against

Veröffentlichungsdatum: 09.06.2017

 

Rating: 5.5 / 10

von Kristoffer Leitgeb, 14.11.2019


Nicht die Berechenbarkeit, sondern fehlende Kraft hindert die Band an der Rückkehr zu alter Stärke.

 

Punk ist kein Genre, das von stetigem musikalischem Wandel oder der Suche nach neuen künstlerischen Ufern lebt. Womöglich klingt das negativ, tatsächlich soll es aber einfach nur die Feststellung sein, dass starker Punk auch auf dem x-ten Album noch großartig und alles andere als langweilig klingen kann, selbst wenn sich soundtechnisch seit dem Debüt nicht wahnsinnig viel getan hat. Es gibt ja auch wunderbare Beispiele dafür, Bands deren anhaltender Erfolg dieser Tatsache geschuldet ist. Bad Religion sind beispielsweise immer noch da und nach bald einmal vier Jahrzehnten macht da keiner Anstalten, eine Neuerfindung der Band-DNA in Erwägung zu ziehen, was nichts daran ändert, dass sich das immer noch verdammt gut hören lässt. Solange da mit der nötigen Intensität und Energie drauflosgespielt und ordentlich Dampf gemacht wird, dazu noch ein paar knackige Texte kommen, gibt es einfach ziemlich wenig zu bemängeln. An anderer Stelle, nämlich dort wo gerade Rise Against verweilen bzw. ihre nächsten Aufnahmen planen, scheitert man auch mit der achten LP an genau dieser Aufgabe und das nicht zum ersten Mal.

 

Soll heißen: Das grundlegende Problem ist nicht, dass die Band spätestens seit "Appeal To Reason" aufgehört hat, sich musikalisch irgendwo hin zu entwickeln, sondern viel eher die Umsetzung dessen, was nun schon seit längerem ihre klangliche Heimat ist. Wieder anders formuliert, kann man als Knackpunkt wohl am ehesten identifizieren, dass der stilistische Stillstand zu einem eher ungünstigen Zeitpunkt gekommen ist. Denn 2008 mag man zwar auf dem kommerziellen Höhepunkt gewesen sein und eine unvorstellbar starke Hitsingle hingeknallt haben, der Blick auf das gesamte fünfte Studioalbum der Band aus Chicago hinterlässt aber einen etwas blassen Eindruck. Es war der Auftritt eines weichgespülten Quartetts, das zwar zeitweise noch grandios klingen konnte, aber offenbar den notwendigen Nachdruck für denkwürdige Auftritte in Albumlänge verlegt hatte. Und an diesem Befund hat sich eigentlich seit damals nichts wirklich geändert, sodass man auch "Wolves" als eine LP wahrnimmt, die bekannte Stärken auszuspielen versucht, dabei aber latent wenig aufbringt, um einen mitzureißen.

 

Vielleicht verspricht das hier für die Zukunft noch etwas weniger als noch in den Jahren davor, weil hier sogar der archetypisch laute und harte Anreißer zum Albumanfang eher mäßige Formen annimmt. Wolves ist dabei definitiv nicht schlecht, aber all die Power Chords und wuchtigen Drums können nicht wirklich kaschieren, dass der vermeintliche Punk dieser Band eher lauwarmen Charakter angenommen hat. Hymnische Mid-Tempo-Refrains sind ein Muss, während in den Strophen zwar zumindest an der Gitarrenfront versucht wird, ordentlich Gas zu geben, aber auch nicht wahnsinnig viel gelingt. Letztlich ist es auch ein Produktionsproblem, das Rise Against trotz oftmals harter Gangart und leidenschaftlichem Auftritt von Frontmann Tim McIlrath weit von ihrer Heimat im Melodic Hardcore weggespült hat. Folglich sind viel dieser Songs einmal primär zu glatt, um nachhaltig Eindruck zu hinterlassen. Kombiniert man das mit dem mittlerweile doch sehr altbekannten Songwriting, der oben erwähnten Vorliebe für bedeutungsschwangere, schleppende Refrains und jedes Momentum tötende Bridges, bleibt irgendwann nicht mehr so viel auf der Habenseite.

 

Das ändert nichts daran, dass Rise Against ihren Sound generell draufhaben und er mit der nötigen Kraft immer noch eine nicht zu geringe Wirkung entfalten kann. Ohne Einschränkungen kann man das hier allerdings keinem Song mehr so wirklich zugestehen, auch wenn immerhin Welcome To The Breakdown mit seinen treibenden Drums, dröhnenden Riffs und vor allem einem Verzicht auf unnötige Tempoverluste an den schlechtesten Stellen sehr nahe an das Ideal der Band herankommt. So ganz verhindert das zwar nicht, dass das ein bisschen nach Standardarbeit riecht, wenn aber der Standard hoch genug ist und das ist er bei Rise Against, dann macht das nicht viel aus. Insofern ist es der eine genuin politische "Fist Pumper", der funktioniert und an bessere Tage erinnert.

Will man anderweitig starke Minuten, findet man sie in dieser Form sicherlich nicht mehr und landet am ehesten bei den beiden Singles The Violence und House On Fire, die allerdings nichts mehr tun, als das zunehmende Abdriften der Band in Richtung eines glatten Alternative Rock zu verdeutlichen. Schlecht ist das per se nicht, weil man deswegen noch nichts gegen die starken Melodien und den verhältnismäßig hellen Sound hat. House Of Fire schließt damit ziemlich direkt an The Dirt Whispered oder Satellite an, ohne aber dabei die überzeugende Hook oder das Tempo von letzterem mitzubringen. The Violence wiederum zerbricht nicht an seinen herzlich vagen Ergüssen über unseren Hang zur Gewalt, sondern markiert dank des starken, kantigen Riffs in den Strophen und der eingängigen Vocal Hook des Refrains einen der überzeugendsten Momente des Albums.

 

Das ist aber dann auch schon ein bisschen Kritik, die sich in diesem Lob versteckt. Denn von glorreichen Minuten ist da nicht die Rede, lediglich die übrigen Songs sind nicht dazu in der Lage, da irgendetwas draufzulegen, nicht einmal wenn sie in dezidiert wütende und angriffige Richtung gehen. Bullshit wäre ein solcher Kandidat, ist aber trotz überzeugender Passagen und einem kurzen Ska-Abstecher etwas zu platt und eintönig, um voll aufzugehen. Parts Per Million wiederum bringt alles mit, um lange im Ohr zu bleiben, insbesondere einen tollen Beat und ein paar klanglich ausgehöhlte, aber trotzdem zündende Riffs, erliegt aber in der zweiten Songhälfte dem Pathos und mutiert mit seinen komplett deplatzierten, kitschigen "O-o-o-ooooohs" im Hintergrund irgendwann zu einer Mischung aus U2 und Green Day anno 2009. Verschmerzen lässt sich das, auch weill es nicht allzu lange währt, aber das ist mal eine sehr eindeutige verschenkte Chance auf einen wirklich starken Track.

 

Spätestens nach dem ersten Viererpack an Song hat man es aber sowieso auch mit Songs zu tun, die so einfach überhaupt nicht existieren sollten und eine unheilige Kombination aus dem der Band zunehmend anhaftenden Hang zum Melodramatischen und äußerst kraftlosem Rock darstellt, sodass dann etwas wie Far From Perfect oder Mourning In America herauskommt. Bei ersterem zuckt wahrscheinlich ein jeder zusammen, wenn McIlrath im Refrain die kitschigsten und verweichlichtsten Zeilen seiner Karriere über gewohnt schleppendem Mid-Tempo-Rock zelebriert:

 

"We are far from perfect
But perfect as we are
We are bruised, we are broken
But we are goddamn works of art
Works of art"

 

Das Problem daran ist, dass das keine Weiterentwicklung hin zu etwas Erwachsenerem oder zu einer über die eindringlichen Polit- und Protesthymnen hinausgehenden Eloquenz ist, sondern eine inhaltliche Regression, die das sympathisch simple, aber feinsinnige Savior wie tiefgründige Philosophie wirken lässt. Kombiniert man das mit der Tatsache, dass die tagespolitischen Beobachtungen der Band zunehmend diffusen Charakter annehmen und selbst bei leidenschaftlicher Präsentation schwerlich den Funken überspringen lassen, bleibt nicht mehr viel.

 

Und das führt dann dazu, dass auf "Wolves" alles und nichts falsch läuft. An der Oberfläche ist es ein Album, wie man es von Rise Against kennt und mag, auch wenn Ähnlichkeiten mit den Höhepunkten der eigenen Diskographie nur mehr sporadisch erkennbar sind. Selbst die grundlegende Sympathie für den seit längerem gewohnten Stil der Band wird allerdings zu guten Teilen erschöpft durch das kraftlose Gesamtbild, das den Kompositionen und der unvorteilhaften Produktion gleichermaßen geschuldet ist. Das kratzt natürlich an den Grundfesten dessen, was die US-Amerikaner ausmacht, nämlich ihre leidenschaftlichen Auftritte, ihre mit größtmöglichem Nachdruck hinausgeschrienen politischen Bekenntnisse und letztlich auch die energiegeladene Musik. Von all dem ist nicht mehr viel außer vereinzelt präsentierten Bruchstücken über. Der Rest ist durchschnittlicher Rock, der zwar auch seine sympathischen Seiten kennt, aber wenig an genuin starkem Material mitbringt. Und das verstärkt die seit längerem bestehende Befürchtung, dass Rise Against mittlerweile in der Durchschnittlichkeit gefangen sind.

 


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