von Kristoffer Leitgeb, 14.02.2014
Wo Rise Against draufsteht, ist erstklassiger Punk drinnen.
Das Leben einer Punk-Band ist kein Leichtes. In Wirklichkeit hat man da ja ohnehin nur zwei Möglichkeiten. Entweder man findet sich damit ab, die nächsten Jahrzehnte von einem verrauchten Club zum nächsten zu tingeln, oder man erdreistet sich allen Ernstes das Angebot eines Major Labels anzunehmen und somit das zu bekommen, was alle Punker fürchten wie der Teufel das Weihwasser: Das Sell-Out-Image. Gut, die Realität ist wie immer nicht so einfach in Schwarz und Weiß einzuteilen, immerhin dürfen heutzutage auch Bad Religion oder Social Distortion vordere Chart-Platzierungen genießen. Wenn aber eine Band den Spagat zwischen Mainstream-Erfolg und gleichbleibender Credibility zumindest kurzzeitig geschafft hat, dann ist es Rise Against. Allen voran mit dieser, ihrer vierten, LP.
Denn die Wut gegen Gesellschaft und Politik, die Aufrufe zum Protest und die Energie, all das ist geblieben. Gleichzeitig gab's für Single Prayer Of The Refugee Platin in den USA. Zu verdanken ist das wohl vor allem dem aufpolierten Sound und dem gelungenen Versuch die Gitarren auch mal eine Spur leiser einzusetzen. Und gerade der Erfolgssong wird zum besten Beispiel für die Kombination aus alt und neu. Ruhige Strophen mit vergleichsweise dezentem Riff mischen sich mit dem schnellen, harten Refrain, der auch mit den ganz frühen Tagen der Band mithalten kann. Und es klappt. All das wirkt harmonisch, macht den Song aggressiv genug, um alten Fans zu gefallen, und gleichzeitig ungewohnt melodisch.
So wird der Weg, den man auf "Siren Song Of The Counter Culture" eingeschlagen hat, konsequent fortgesetzt. Die harschen Hardcore-Töne werden ersetzt durch großartige, anschwellende Intros in Chamber The Cartridge und Survive, als Pop-Happen gibt's die mit Streichern und weiblicher Unterstützung ergänzte Ballade Roadside, die nicht ganz ins Gesamtgefüge passt, allemal aber für Abwechslung sorgt. Und dazu finden sich noch immer die guten, alten geradlinigen Punk-Tracks in Form von Injection, Drones oder Behind Closed Doors. Wenig bis gar nichts davon wird den Weg in irgendjemandes Best Of-Listen schaffen, die Chicagoer bestechen aber zum bereits dritten Mal in Folge vor allem durch eines: unglaubliche Konstanz. Hier hört man keine Band, die nach einem Meisterstück komplett absackt, dafür eine mächtige Front von starken, wenn auch nicht atemberaubendem Songs.
Am ehesten geht die Rechnung für Chamber The Cartridge und Survive auf. Die überzeugen mit ihren schnellen Riffs, harten Drums und der wieder verbesserten Performance von Sänger Tim McIlrath. Dazu kommen die Texte, die bei dieser Truppe ohnehin immer eine sichere Bank sind. Zu gut sind Zeilen wie "Somewhere between happy and total fucking wreck / Feet sometimes on solid ground and sometimes at the edge / To spend your working moments simply killing time / Is to give up on your hopes and dreams", um sie einfach zu ignorieren. In Wahrheit ist es etwas verwunderlich, dass die Lyrics, immer irgendwo zwischen politischem Protest und persönlichen Durchhalteparolen, nicht langsam alt wirken, McIlraths Fähigkeiten lassen sich aber auch da nicht ganz leugnen.
Wo gerade alles so rosig scheint, sei gesagt, dass man die Band doch schon zwingender erlebt hat. Während das ganze Schauspiel ausbalancierter wirkt als auf dem Vorgänger, war zumindest "Revolutions Per Minute" in all seiner Simplizität und Einförmigkeit eine Spur stärker. Die Band verpasst es nämlich auch ohne jeglichen enttäuschenden Moment, einen wirklich gänzlich zu vereinnahmen. Das wird vor allem gegen Ende deutlicher, wenn die Songs entweder nicht passend (Roadside) oder aber wenig neu (The Good Left Undone) wirken.
Trotzdem drängt sich davor mit Ready To Fall, dankenswerterweise mit genialem Beat ausgestattet, Prayer Of The Refugee, Drones und Behind Closed Doors und, und, und, eine Reihe an Beinahe-Top-Tracks, die einem allesamt die Zeit wert sind, die sie einem 'wegnehmen'. Die Vorzüge der Band gegenüber Kollegen bleiben dabei die gleichen wie immer. Ihre Ursprünge im Melodic Hardcore-Sektor geben ihnen eine Härte, die sie im Allerbesten vom Pop-Punk abhebt. Viel eher wirken Rise Against wie die logischen Nachfolger von Bad Religion als die Band, die sich am besten darin versteht, ihren schnellen Punk mit vielsagenden, gewichtigen Texten zu kombinieren und dabei noch immer Spaß zu machen. Großes Plus dabei ist McIlrath, der zu den Wenigen unter den Punkern der letzten Jahrzehnte gehört, dem man wirklich nachsagen kann, er wäre ein guter Sänger - Erinnerungen an die schwierigen Darbietungen von Rancids Tim Armstrong bleiben einem da erspart. Verstärkt wird das dadurch, dass sein Organ wie kaum ein anderes zum Sound seiner Band passt.
Ja, ja, ich hör schon auf ihm in den Hintern zu kriechen. Negatives herauszufiltern scheint aber doch schwierig. Bei Zeiten wird man das Gefühl nicht los, weniger wäre vor allem von Seiten des Produzenten mehr gewesen, insbesondere in den Momenten die an frühere Outings erinnern. Und, obwohl oben erst dementiert, eine dezente Verdrossenheit mit der ganzen Politikverdrossenheit tut sich dann wohl doch auf. Gerade weil die davon abweichenden Momente, Roadside und der erschreckend schräge Monolog in The Approaching Curve, nicht zu den Top-Momenten der LP gehören, ruht noch mehr auf den Schultern von McIlraths großer Orwell'schen Dystopie, die er in Dutzenden von Songs beschreibt. Und unweigerlich gibt's dann irgendwann Abnützungserscheinungen.
Die sind aber eben doch sehr dezent. Der Eindruck, der sich weit eher aufdrängt, ist ein überaus positiver. Denn die Jungs aus Chicago haben mit "The Sufferer & The Witness" einen kleinen, aber feinen Schritt in Richtung Mainstream gemacht, der ihnen so wenig geschadet hat wie nur möglich. Man wird nämlich weiterhin mit Songs angefüttert die sich ständig zwischen 'gut' und 'großartig' einordnen, eine Eigenschaft, die dann doch nicht allzu vielen Alben zu Teil ist. Dass es trotzdem nicht ihre beste LP ist, spricht in diesem Fall nur für die Band.