von Kristoffer Leitgeb & Daniel Krislaty, 23.08.2014
'Melodic Hardcore' sieht anders aus – plötzlich werden akustische Gitarren und Bratwürstchen ausgepackt.
Chicagos Nummer eins Protest-Punk-Export des neuen Jahrtausends möchte sich auch auf dem dritten Longplayer kein Blatt vor den vor Ärger beinahe überquellenden Mund legen, entwickelt sich jedoch bei entscheidenden Punkten im Vergleich zu den Vorgängern geschickt weiter. Zum einen erschließen die vier sehr gut ausbalancierten Singles neue Zuschauerschaften abseits der gewohnten Hardcore-Melodic-Gemeinde und sorgen des Weiteren für die heißherbeigesehnte Abwechslung innerhalb der zuvor vergleichsweise schweißtreibenden rund 40 Minuten von The Unraveling sowie Revolutions Per Minute.
Dabei lässt der von Tim McIlrath hauptsächlich gescreamte Opener, State of the Union, jenen Abstand zu vergangenen Alben zunächst alles andere als erahnen. Nach der ohrenbetäubenden Gesellschaftskritik lehnen sich die doch ansonst als friedfertig bekannten Jungs von Rise Against zum Glück mit The First Drop ein wenig zurück, bevor mit Life Less Frightening die Poweranzeige für die Verhältnisse der Band bereits fast gegen Null geht. Die fehlende Energie gleichen sie aber mit angenehmen, fast schon poppigen Rockrhythmen aus, die wie immer von wutentbrannten Texten über Gott und die Welt passend eingetütet werden. Eingeschworene Hardcore-Verfechter wenden sich angeekelt ab, während der Rest zum ersten Mal überhaupt das riesige Potential erkennt, das Rise Against in zugänglicheren Punk-Gehegen ausschöpfen könnte.
Diesen gefallenden Gedanken zementieren ebenso Paper Wings und Anywhere But Here, weitere heiße Eisen des 'neuen' Gesichts der Band. Aber auch die eigentlich dynamischste Single und Publikumsfavorit bei Live-Auftritten seither, Give It All, die im Grunde bloß auf einen eingängigen, leicht mitzubrüllenden Refrain aufbaut und darauf immer wieder gezielt zurücksteuert, oder die akustischen Gitarrensoli auf Dancing For Rain, die für die passende Atmosphäre sorgen, stehen ganz archetypisch für das smarte Umdenken der Band.
Zum Ende hin verabschieden sich die Veganer aus Überzeugung im Grunde reflexiv zum Anfang des Albums. Obstructed View setzt den brachialen Endpunkt, wie er jedes halbwegs funktionierende Hardcore-Opus stolz machen würde und Rumors of My Demise Have Been Greatly Exaggerated bildet den entsprechenden Brückenschlag zum zurückgelehnten Single-Auszug - hier mit Namen Swing Life Away. Diese liebenswerte Lagerfeuernummer, die man wohl getrost als Letztes der nunmehr bloß noch zwischenzeitlichen Hardcore-Punker erwarten durfte, setzt dem ganzen sympathischen Schlamassel aus Roh- und Schönheit dann noch die Krone auf.
Als Fan des gesamten Rise Against-Albumkatalogs sehe ich mich zwar sehr wohl auch mit den 'wilderen' Frühwerken stark verbunden, bewundere aber besonders die regelrechte Transformation der Band, die mit dem darauffolgenden Longplayer, The Sufferer & the Witness, schließlich vollendet werden sollte. Größere musikalische Variabilität mit dem leichten Bedürfnis, hier und da ein Pop-Fähnchen zu schwenken, gewährleistet jedoch auch schon Siren Song of the Counter Culture, das den idealen Cocktailmix vielleicht noch nicht ganz genau zubereitet, sich aber bereits am richtigen Weg befindet. Diese neugewonnene Heterogenität dürfte jedoch auch sowohl des Albums größte Schwäche wie Stärke sein, als dass nur eine Handvoll Lieder wirklich herausstechen und die zu den Vorgängern eher abwechslungsreiche LP dafür als Gesamtwerk die Vorzüge beeindruckend ausspielt.
D-Rating: 8 / 10
Rise Against zeigen, was Produktivität heißt: Zwei Schritte vor, einen zurück.
Hm, schwierig, schwierig. Soll ich jetzt jubelnd zustimmen oder doch entrüstet widersprechen. Gut, der Magic 8-Ball sagt: Ersteres. Unser aller Punk-Helden aus dem wenig idyllischen Chicago betreten Neuland, lassen aber eben doch einen Fuß auf dem so erfolgreichen Terrain früherer Tage. Das bedeutet, vom Pop gibt's gerade genug, dass man ihn erkennt, aber nicht genug, den Amis ihre heißgeliebte Energie zu rauben.
Stopp. Bevor ich hier des Kollegen treffende Analyse kopiere, beginn ich lieber woanders und sage: 2004 bedeutete für Rise Against einen langsamen Abschied von dem ganz großen Triumph aus dem Jahr 2003. Der Vorgänger "Revolutions Per Minute" bedeutete den Schritt in Richtung Punk-Olymp mit unbändiger Energie, perfekter Stimme und ähnlich gelungenen Texten, schlicht ein Fest für Power Chord-Freunde. Diesmal sieht das im Opener State Of The Union etwas holprig aus, wird zum unmelodischen Gerippe als fehlgeleitete Eröffnung. Und trotzdem mag man nichts zu verreißen. Zu gut der Riff, zu brutal auch der Gesang. Dass der Weg weg von diesem Sound aber mehr recht als schlecht wirkt, scheint auch klar. Deswegen gefällt die starke Mischung aus alter Härte und neuen Anleihen aus dem weiten Reich des Alt Rock. Man gibt sich gesitteter und doch nicht friedlich, macht auf die Art The First Drop oder Tip The Scales zu äußerst hörenswerten Minuten.
Lediglich die vom Kollegen entdeckte und gepriesene Abwechslung verbirgt sich vor mir. Ok, war auch früher nicht die starke Seite der Band, hier gibt's dann aber doch lange Zeit ein Tempo, mehr noch als auf dem Vorgänger eine Stimmung und eine Tonlage bei McIlrath. Viele scheitern daran, bei Rise Against bleibt auch so Grund genug zur Freude. Denn ein göttlicher Riff im Intro von Paper Wings hier, erschreckend schnelle Drums in Anywhere But Here dort und der beste Beat der Bandgeschichte zu Beginn von Dancing For Rain markieren qualitative Leckerbissen. Ähnlich auch die großartige Akustik-Nummer Swing Life Away, wirklich der einzige komplette Neuling hier, der in seiner streichelweichen Art auf der LP etwas verloren scheint, als Solist aber bis heute die beste Ballade der Band markiert.
Man merkt, das mit der Kritik gestaltet sich doch schwierig. Wohl vor allem, weil sich die angebotenen Durchschnittsminuten nicht lange im Gedächtnis halten. Und doch findet man sie mit dem störrischen, in Richtung Mittelalter-Rock abdriftenden Blood To Bleed, dem kurzen Opener oder dem geradlinigen Alibi-Punker Give It All, der sich auch in nur drei Minuten nicht an der Monotonie vorbeischummeln kann.
Akustische Störenfriede gibt's aber trotzdem keine und so muss ich dem Kollegen vollends zustimmen, biete aber wenigstens eine dezent andere Perspektive an - um nicht die Frage 'Wo woa mei Leistung?' stellen zu müssen. Ein Jahrzehnt später markiert "Siren Song Of The Counter Culture" die Zäsur in der Bandhistorie, die die Band fast zwangsläufig auf den Boden der Tatsachen gebracht hat. Der Ursprung des heute starken, kaum aber genialen Alternative Rock liegt in dieser Platte. Ein schwarzes Schaf ist sie trotzdem nicht, dafür ist die Weste, die sie einem hier präsentieren, eindeutig zu weiß.
K-Rating: 8 / 10