von Kristoffer Leitgeb, 30.11.2015
Ein emotionales Hardcore-Geständnis mit nie wieder gesehener Konstanz.
Das Einzige, was besser ist, als bekannt zu sein, ist unbekannt zu sein. Das Internet macht sich das zu Nutzen. Während sich einige wenige Gloryhunter ihre fünf Minuten Ruhm mittels YouTube-Videos, wahnsinnig inspirierenden Posts oder einer 'zu-wahr-um-wahr-zu-sein'-Verschwörungstheorie holen, versinken Unzählige in einer zumindest oberflächlichen Anonymität, die einem eine Art Gesetzlosigkeit vorgaukelt. Hinter Usernamen, in Kommentarbereichen und mit der angenehmen Unsichtbarkeit des addressierten Gegenübers im Rücken lässt es sich wunderbar lästern, angreifen, diskreditieren und denunzieren. Ein Traum. Auch im Musikbusiness hat es seine Vorteile, wenn mit dem eigenen Namen nicht dieses und jenes verbunden wird, man stattdessen nur eine Band unter ach so vielen ist und den eigenen Idolen noch hinterherschwimmt. Da ist man in der Unbekanntheit noch freier und wohl auch weniger zurückhaltend, immerhin gibt's nichts zu verlieren. Mit ihrer zweiten LP können Rise Against aber auch wirklich nur gewinnen.
Denn im Angebot stehen Songs, die die Punker aus Chicago ungefiltert wie später nie wieder zeigen. Von Gesellschaftskritik im aufpolitieren, epische Maße annehmenden Gewand war damals noch nichts zu spüren, stattdessen hat man das Gewand quasi komplett weggelassen - netterweise nur im übertragenen Sinne. Produziert wurde roh, mit offensichtlicher Zuneigung zur brachialen Härte, die Melodic Hardcore näher wirken lässt als alles andere. Und auch der Bauplan der LP wirkt punkiger, verbleibt man doch bei ökonomischen Songlängen, oft genug auch unter der Drei-Minuten-Marke. Das hat natürlich den gehörigen Vorteil der größtmöglichen Unmittelbarkeit, treffen einen doch die damals wütender und kompromissloser geschmetterten Ergüsse weniger geschmeidig, sondern eher wie der nasse Waschlappen ins Gesicht. Sympathischer sind sie einem dabei üblicherweise, auch weil die Zahnräder bestmöglich ineinander greifen, man bläst quasi gemeinschaftlich zum pausenlosen Ansturm. Da ist man schon im Opener Black Masks & Gasoline nicht zimperlich, vor allem Brandon Barnes malträtiert seine Drums im höheren Drehzahlbereich, hängt damit den wacker kämpfenden Todd Mohney ab, der aber an seiner Gitarre auch ein paar andere Sorgen als nur das Tempo hat. Inmitten all dessen steht Tim McIlrath und macht eigentlich auch nicht so viel anders als sonst, auch wenn er dem Geschrei oft näher ist als gepflegter Sangeskunst.
Schön und gut, die Grenzen sind abgesteckt, was tut man nur innerhalb dieser? Business as usual könnte man sagen, Rohfassung der späteren Grandezza könnte man meinen. Ganz so ist es aber nicht, denn vor allem textlich steckt im zweiten Auftritt der Band eine persönliche Note, die Rise Against immer seltener offenbart haben. Die unablässig harte, aber in Wahrheit unglaublich liebevolle Ode an die eigene Tochter in Form von Like The Angel ist dafür Beleg genug. In die klanglich harsche Umwelt dringt eine simpel gehaltene Einfachheit, als wütende Anklage im kurzen To The Core zum Beispiel, dessen frenetisches "If I could paint how I feel / I'd draw a bullseye on your forehead" schon zur Eröffnung für sehr klare Verhältnisse sorgt. Dort liegt auch letztlich die Stärke der LP. Man sieht davon ab, mit lyrischen Feinheiten die Themen gekonnt zu umschiffen, einzukreisen, nachzuzeichnen. Das später entdeckte Malen-nach-Zahlen für die bandtypische Gesellschaftskritik war damals noch nicht bekannt, was allen voran das zwischen Abschluss und Aufbruch steckende Heaven Knows und Torches in eine Liga mit Paper Wings oder Savior befördert. Und da wird McIlrath dann gar kurz romantisch, singt der Liebe ein ziemlich ordentliches Punker-Ständchen:
"I can't remember exactly when this longing began
But I know it wasn't before the day you touched my hand
Laugh and shout in blissful daze and numbers are exchanged
I'm still waiting, yeah I'm still waiting"
"So put your hands where I can see them
Shut your mouth I know who you are
In a world void of feeling or heart I know that
We are the torches in the dark"
Weil sich die Instrumentalfront aber in diesen Momenten doch als Meister des Kaschierens jeglicher tieferer Emotionen versucht, findet man - for better or for worse - andernorts wieder zum Appell an die verkommene Welt zurück. Das klappt aber nicht viel weniger schlecht, insgesamt sogar bärenstark. Ein bisschen vage ist man noch, selbst wenn man einem einen Titel wie Blood-Red, White & Blue präsentiert. Allgemeinplätze paaren sich mit einem unbändigen Rundumschlag, folgen aber damit netterweise dem Albumcredo. Zwar ist man mit der Aussage 'Einfachheit ist Trumpf' garantiert nie weiter entfernt von der Wahrheit als beim Ruf nach gesellschaftlicher Veränderung. Angesichts dessen, dass ein wissenschaftliches Expose zur Lage der Nation relativ schwer in Musik einzubetten wäre, soll das aber mal nicht der größte Vorwurf sein.
Unverdient eingeschleust hat sich ohnehin nur ein Song und der wurde auch gekonnt als Hidden Track versteckt, es ist das merkwürdige Any Way You Want It. Jetzt covert man ja gerne mal und man darf sich auch gerne einen kleinen Spaß gönnen. Und man schlägt sich dabei nicht mal wirklich schlecht. Aber Journey, ernsthaft? Ausgerechnet einen dieser KISS-Abkömmlinge, die diesen weichgekochten, aufgeblasenen Rock im Angebot hatten. Es hätte gut und gerne auch eine der vielen Punk-Bands sein können, die zur Auswahl stehen, man wäre weniger geneigt den Abschluss als missglückt zu bezeichnen.
Aber wo ordentlich zugelangt wird, fällt garantiert etwas unter den Tisch. Warum dann nicht das eine leicht schrumplige Äpfelchen? Lassen wir das also, zurück zur bright side of life und damit zu dem Dutzend Tracks, das neben sporadischer Ausreißer ins Fabelhafte insbesondere mit unglaublicher Konstanz überzeugen kann. Hardcore Punk nahe am Gipfel ist es, den man hier zu hören bekommt. Simpel, geradlinig, kräftig und der Schritt vor dem ersten Schritt in Richtung Mainstream. "Revolutions Per Minute" ist dahingehend noch unverfälscht, erspart sich größere Risiken in Form den Fluss brechender Experimente und läuft stattdessen von der ersten Sekunde an schnurstracks aufs Ziel los. Damit, dass es der beste Auftritt von Rise Against sein sollte, konnte ja damals wirklich keiner rechnen. In Anbetracht des Abgelieferten hätte man es aber durchaus ahnen können.