von Kristoffer Leitgeb, 26.03.2016
Wenn man reden will und doch nichts zu sagen hat, bleibt nur die penetrante Flucht nach vorne.
So wirklich stimmt es ja nicht, dass uns unsere ach so fortgeschrittene und komplexe Sprache deutlich von anderen Tieren unterscheidet. Die waren nur nicht so blöd, sich zig verschiedene zuzulegen, weswegen eine Stubenfliege aus Kambodscha wahrscheinlich noch immer mit einer aus dem Kleinen Walsertal kommunizieren kann, während in so einem Fall bei der Gattung Mensch unüberwindliche Hindernisse im Weg stehen. Wir brauchen sie ja auch nur so kompliziert, weil wir Tiefgründigeres besprechen könnten als die meisten Tiere. Merkt man nicht unbedingt, beobachtet man die meisten Menschen im Gesprächsmodus. Da geht's schon mal ums Essen oder um Frisuren - noch schlimmer: um die Frisuren anderer - oder am allerschlimmsten: ums Wetter. Es gehört einmal gesagt, wer mehr als drei Worte am Stück über das Wetter verliert, dem geht das Gegenüber sonst wohin oder es herrscht gähnende Leere im Oberstübchen. So wie bei Rihanna, als sie "Talk That Talk" aufgenommen hat.
Eine dreiste Beleidigung ist das allein schon deswegen nicht, weil die Barbadierin im Verlauf ihrer Karriere fast nie den Eindruck gemacht hat, als hätte sie viel zu sagen, das die intellektuelle Tiefe eines Wetterberichts übersteigt. Die Ausnahme war "Rated R", das 2009 zu ihrer ersten und einzigen wirklichen Charakterstudie gereichte. Der Rest war immer nah dran an der Inhaltsleere, was sie und ihre Produzenten gut genug mit ungeahntem Pop-Verständnis zu verdecken wussten.
Selbst davon ist auf der sechsten LP allerdings fast nichts mehr übrig, genauso wie eigentlich keine durchdachte Zeile durchscheint, wie das noch in den Jahren davor hin und wieder der Fall gewesen ist. Nichts davon zu hören. "Talk That Talk" ist so platt, ein Blatt Papier hat mehr Profil. Vielleicht klingt sie im Opener You Da One auch nur deswegen wie ein 12-jähriges Mädchen nach einer Begegnung mit dem Türstock, um einen vor dem zu warnen, was noch kommt. Dank der billigen Elektronik-Sounds mit gestelztem Reggae-Rhythmus vereint sie so die Unwelten von Kesha, Katy Perry und der letzten Maroon 5-Alben zu einem Track, der ähnliche Nebenwirkungen verursacht wie ein Biss in eine Zitrone. Kurz: Es zieht sich einem fast alles zusammen.
Und das ist nur einer von ziemlich vielen Songs, deren Ende man sehr früh herbeisehnt. Mit dem banalen Titeltrack sieht sie wenigstens davon ab, einen zu quälen. Doch die fade Synthie-Hook und das unmotivierte Gastspiel vom ohnehin schon über dem Zenit befindlichen Jay-Z enden nicht. Dank der gewünschten poppigen Eingängigkeit ist es noch nicht einmal einer dieser Songs, die einfach einer Wolke gleich langsam vorbeiziehen. Auch ohne penetrantes Dröhnen bekommt man das langweilige Spektakel mit, ob man will oder nicht. Apropos nicht wollen: Cockiness (Love It). Das ist so unpackbar... schlecht. Eine wahrlich denkwürdige Performance der Sängerin, einerseits wegen des jämmerlich aufdringlichen Gesangs, den sie bietet, andererseits wegen dem Offenbarungseid von einer Refrainzeile: "Suck my Cockiness / Lick my persuasion." Refrain ist eigentlich eh zu viel, denn die robotisch-unterkühlten Gesangsfetzen wirken komplett form- und planlos zusammengestückelt, wiederholen sich ohnehin so lange, bis man in der Embryostellung um Erlösung fleht. Das wirklich Bedenkliche an der Sache ist, dass sogar für den Fall, dass man Rihanna zu ignorieren weiß, nur ein fader, knöcherner Dancehall-Beat und miese Vocal-Samples überbleiben.
Die Frage, was zur Hölle das soll, erübrigt sich aber letztlich, allerdings nur wegen der schmerzhaften Erkenntnis, dass mit Birthday Cake ein ähnlich grässliches Machwerk folgt. Zu diesem Zeitpunkt sind die zwei wichtigsten Eckpfeiler des ganzen Albums offenlegt: Zum einen hätten wir da bis zur Debilität simplifizierte Lyrics, die einfach nur immer und immer wiederholt werden, in der Hoffnung, dass irgendwas daraus wird. Läuft Rihanna zur Höchstform auf, kombiniert sie das mit den grässlichsten sexuellen Metaphern seit, na gut, erst seit Lindemanns "Skills In Pills", aber das muss nicht viel heißen. Die andere Komponente ist elendiglich einförmige Dance-Elektronik, die sich, in für die Sängerin untypischer Manier, fast immer sehr weit von verwertbaren Hooks fernhält. Stattdessen läuft da einfach ein Synth- Schauspiel in mühsamer Endlosschleife. Mal ziemlich penetrant wie in Where Have You Been, das bis zum Beginn des schwer zu verarbeitenden Breakdowns und dem Trance-inspirierten Synth-Exzess sogar fast eingängiges Potenzial beweist. Andernorts in zurückhaltender Langeweile, wie vor allem mit dem zu Tode gesampleten The xx-Track Intro in Drunk On Love, dem der zur Seite gestellte, undynamische Beat eher schadet als hilft.
Was hier überall sehr schnell klar wird, ist, dass Rihanna weit mehr als in früheren Jahren ihrer Stimme songtragende Verpflichtungen auferlegen will. Für die fesselnden Hooks ist weniger denn je die Musik zuständig, stattdessen soll oder muss viel über den Gesang laufen. Jetzt zeigt sie tatsächlich spätestens seit ihrer dritten LP am Mikro auch manchmal große Qualitäten, hat sich zudem stetig verbessert. Doch ihr mangelt es auch an der stimmlichen Wärme und insbesondere der nötigen Kraft, um allzu banale musikalische Untermalung voll ausmerzen zu können.
Die Übung gelingt aber doch sporadisch. Allen voran bei der Leadsingle We Found Love, die theoretisch alle schlechten Eigenschaften der LP vereint. Aber ich oute mich hier: Calvin Harris-Produktion geht oft ganz gut, am ehesten mit weiblicher Qualitätsarbeit im Vordergrund. Nichts anderes hat der Track zu bieten, ersetzt die für Rihanna charakteristischen unterkühlten Synthies mit helleren, wärmeren und aktiveren Klängen, die zwar Fantasie entbehren, aber in ihrer Aufdringlichkeit ziemlich ins Ohr gehen. Daneben regiert das immer wieder vorgetragene "We found our love in a hopeless place", das beim ersten Mal eine wirklich intelligente Zeile ist, nach ein paar Wiederholungen stumpfsinnig und öd klingt, nur um nach noch ein paar mehr Wiederholungen jeglichen Sinn hinter sich zu lassen und schlicht zu einer großartigen Hook zu werden.
Ansonsten streiten sich nur mehr drei Songs um den eigentlich unverdienten zweiten Anspiel-Tipp, allesamt mit eklatanten Schwächen, aber nicht ohne eine gewisse Anziehungskraft. Am ehesten besitzt die vielleicht Roc Me Out, weil es die altbekannte Aggressivität hier am besten und aktivsten verkörpert, so schnell nervig daherkommt, aber auch an starke Minuten auf "Rated R" erinnert. Da hilft Rihannas passender Auftritt, aber auch der Einfluss der Produzenten von Knife Party, die für ordentliche, dichte Synthie-Melodien sorgen. We All Want Love ist dagegen einer dieser Tracks, die nur auf einer schlechten LP gut dastehen können. In Wahrheit klingt der nämlich, als wäre das Ziel ein typischer Song für die Coca Cola-Weihnachtswerbung gewesen. Dementsprechend austauschbar ist das Ding, aber angenehm genug, um hier ein paar Punkte zu sammeln. Genauso wie das textlich ungelenke Farewell, das als Power-Ballade mit pochendem Beat und starker Bridge den ordentlichen Closer markiert.
Das klingt schon wieder ziemlich versöhnlich, fast gut, oder? Naja, jetzt ist es so: Wenn auf einer LP der beste Moment wirklich weit davon entfernt ist, irgendwelchen persönlichen Bestenlisten nahe zu kommen, was kann dann noch draus werden? Gut, bei bestechender Konstanz wäre noch immer ein tolles Album drin, aber davon brauchen wir hier ja nicht reden. In wenigen Worten ist "Talk That Talk" eines dieser Machwerke, die den Pop beinahe in seiner unausstehlichsten Form präsentieren. Inhaltsleer, gefühllos, trotzdem textlich aufdringlich. Und zur Negativ-Perfektion geht einem auch noch die Musik oft genug auf den Wecker, ohne mit ordentlichen Melodien aufwarten zu können. Dass der Super-GAU doch nicht Realität ist, ist wenigen lichtspenden Minuten zu verdanken. Nur deswegen ist das hier noch über Kesha oder Gespräche übers Wetter zu stellen.